Foto: Gwyneth Jones als Sieglinde
„Gwyneth Jones berichtet, wie sie heftig attackiert wurde. Aufgebrachte Alt-Wagnerianer beschimpften sie, spuckten sie an, drohten gar anonym mit Mord. Erst in den Folgejahren erkannte das Publikum zunehmend die Qualitäten der Produktion, an der Chéreau allerdings auch intensiv weiterarbeitete.“
von Kirsten Liese
Unsere letzte persönliche Begegnung liegt zehn Jahre zurück. Am 28. November 2010 hatte ich die Ehre, in der Deutschen Oper Berlin eine Matinée mit Dame Gwyneth zu moderieren. Sie erwies sich als eine begnadete Erzählerin, die auf der Reise durch ihr langes, bewegtes Künstlerleben viele kostbare Erinnerungen einzubringen hatte – an Produktionen, an denen sie beteiligt war, sei es nun Chéreaus Jahrhundert-Ring in Bayreuth oder auch der unvergessene Münchner Rosenkavalier unter Carlos Kleiber.
Gwyneth Jones war es dabei schon in der Vorbereitung auf unser Künstlergespräch sehr wichtig, nicht nur als Wagner-Sängerin gesehen zu werden. Sie hatte sich ja doch als eine sehr vielseitige Sängerin empfohlen mit einem Repertoire, das schon bei Monteverdi anfing (Poppea) und neben ihren großen Wagner-Partien auch die Donna Anna in Mozarts Don Giovanni, die Leonore im Fidelio, die Elisabeth in Verdis Don Carlos und Puccinis Turandot umfasste sowie mit der Marschallin im Rosenkavalier, Elektra und der Färberin in Die Frau ohne Schatten große Rollen von Richard Strauss. Außerdem durfte ich Gwyneth Jones in einem kostbaren Video aus ihrem Privatarchiv noch in dem Einpersonenstück La voix humaine von Poulenc entdecken, in dem sie einmal mehr ihre attraktive Erscheinung und ihre starke Bühnenpräsenz einbrachte.
Aber auch der Markt gibt zahlreiche Video-Dokumente her, die die Wandlungsfähigkeit der Sopranistin dokumentieren, die wie Catarina Ligendza einen neuen jugendlicheren Typ für das hochdramatische Fach etablierte, auf den der Begriff der Heroine weniger passte. Ein schönes Beispiel ist Jones‘ laszive Venus im Tannhäuser, schon äußerlich im raffinierten Kleid mit halb entblößten Brüsten ungemein verführerisch. Dass diese Produktion der Bayreuther Festspiele in einer Inszenierung von Götz Friedrich 1972, in der Jones auch die Elisabeth sang, zum Skandal avancierte – heute kaum noch nachzuvollziehen.
Dagegen friert es mich, wenn ich an eine andere Erzählung von Gwyneth Jones zurückdenke, die ein Licht auf den gnadenlosen Opern- und Festspielbetrieb wirft. Die Episode ereignete sich ebenfalls in einer Tannhäuser-Aufführung in Bayreuth. Der Tenor in der Titelrolle, dessen Namen die Sängerin diskret verschweigt, hatte plötzlich im ersten Akt ein fatales Blackout. Die Souffleuse konnte nicht weiterhelfen, weil ihm nicht der Text fehlte, sondern die Melodie. Nach Akt-Ende wurde er gnadenlos ausgebuht. Und gleich danach von Wolfgang Wagner durch einen anderen Sänger im zweiten Akt ausgetauscht. Damit war das Karriere-Ende des Unglücksraben besiegelt. Gwyneth Jones zeigte sich darüber sehr erschreckt: „Dieser ganze Betrieb ist so brutal, so etwas kann einmal passieren, jedem von uns. Niemand ist unfehlbar.“
Von Skandalen weiß Dame Gwyneth überhaupt so einiges zu berichten. Dies freilich insbesondere im Hinblick auf den Bayreuther Jahrhundert-Ring, der es mit sich brachte, dass sich der Unmut des damaligen Premierenpublikums nicht nur von Abend zu Abend unter Einsatz von Trillerpfeifen steigerte, sondern sich sogar auch gegen die Mitwirkenden richtete. Gwyneth Jones jedenfalls berichtet, wie sie, etwa wenn jemand sie in einem Restaurant erkannte, heftig attackiert wurde. Aufgebrachte Alt-Wagnerianer beschimpften sie, spuckten sie an, drohten gar anonym mit Mord. Erst in den Folgejahren erkannte das Publikum zunehmend die Qualitäten der Produktion, an der Chéreau allerdings auch intensiv weiterarbeitete.
Mich berührt Gwyneth Jones besonders in der großen Auseinandersetzung mit ihrem Wotan in Gestalt von Donald McIntyre im dritten Akt der Walküre. „War es so schmählich, was ich verbrach, dass mein Verbrechen so schmählich du bestrafst“: Die ambivalenten Emotionen zwischen Entsetzen und Traurigkeit über die Härte des Gottvaters und zugleich Zärtlichkeit und Liebe für ihn bringt Gwyneth Jones so ergreifend rüber, dass man ganz vergisst, sich im Theater zu befinden. Die Emotionalität wirkt wie aus dem Moment empfunden.
Wolfgang Wagner, so hörte ich weiter von Gwyneth Jones, wollte sie 1970 schon weitaus früher für diese Partie gewinnen als sie sich reif dafür fühlte. Sie vertröstete ihn und ging unbeirrt ihren Weg, der stets von den kleinen Partien zu den ganz großen führte. Im Ring von der Wellgunde, Ortlinde und dritten Norn zu Gutrune, Sieglinde und Brünnhilde.
Zu den großen Häusern, an denen die gebürtige Waliserin häufig zu erleben war, zählte glücklicherweise die Deutsche Oper Berlin, wo ich sie viele Male in meiner Jugend hören konnte, als ich noch keine Chance hatte, nach Bayreuth zu gelangen.
Eine Heldin war Gwyneth Jones auch in ihrem Wagemut, wie sie ihn in einer Aufführung des Fliegenden Holländers einmal an den Tag legte. 1982 in Bayreuth. Im letzten Moment und ohne eine Probe sprang sie da für eine erkrankte Kollegin ein. In der letzten Szene sollte sie sich von einem Plafond aus beträchtlicher Höhe stürzen, konnte aber die Auffangmatratze nicht sehen, riskierte gleichwohl aber den Sprung ins Ungewisse. Glücklicherweise ohne einen Bühnenunfall.
Eine Geschichte, die mir Dame Gwyneth in einem Interview erzählte, das wir anlässlich ihres 70. Geburtstags in ihrer Villa am Zürichsee führten, stimmte mich damals schon sehr traurig. Die Sopranistin berichtete von einer Meisterklasse, die sie gegeben hatte und in der sie einer Elevin deutlich machte, dass sie „mit dem Herzen singen“ müsse. Später traf sie die Teilnehmerin auf der Damentoilette und bemerkte, dass sie geweint hatte. Bestürzt widmete sie sich ihr und erfuhr: Die junge Kollegin wusste nicht, wie sie das machen solle – von Herzen singen.
Ich mache mir dazu auch so manche Gedanken: Was nur läuft da in der Ausbildung schief, wie kann es sein, dass eine Sängerin oder ein Sänger nichts beim Singen fühlt? Aber nun erleben wir gerade eine Zeit, in der ich mich immer häufiger frage, ob so manche Menschen, die mir im Umgang mit anderen sehr rüde auffallen, ihr Herz verloren haben.
In ihrer letzten Bühnenrolle sang dafür die Grande Dame Jones die Herzkönigin in einer Uraufführung von Alice im Wonderland von Unsuk Chin in München. Auch das ist schon wieder lange her. Heute hat die Sängerin Geburtstag. Ich gratuliere sehr herzlich.
Kirsten Liese, 7. November 2020, für
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Die gebürtige Berlinerin Kirsten Liese (Jahrgang 1964) entdeckte ihre Liebe zur Oper im Alter von acht Jahren. In der damals noch geteilten Stadt war sie drei bis vier Mal pro Woche in der Deutschen Oper Berlin — die Da Ponte Opern Mozarts sowie die Musikdramen von Richard Strauss und Richard Wagner hatten es ihr besonders angetan. Weitere Lieblingskomponisten sind Bruckner, Beethoven, Brahms, Schubert und Verdi. Ihre Lieblingsopern wurden „Der Rosenkavalier“, „Die Meistersinger von Nürnberg“, „Tristan und Isolde“ und „Le nozze di Figaro“. Unvergessen ist zudem eine „Don Carlos“-Aufführung 1976 in Salzburg unter Herbert von Karajan mit Freni, Ghiaurov, Cossotto und Carreras. Später studierte sie Schulmusik und Germanistik und hospitierte in zahlreichen Radioredaktionen. Seit 1994 arbeitet sie freiberuflich als Opern-, Konzert- und Filmkritikerin für zahlreiche Hörfunk-Programme der ARD sowie Zeitungen und Zeitschriften wie „Das Orchester“, „Orpheus“, das „Ray Filmmagazin“ oder den Kölner Stadtanzeiger. Zahlreiche Berichte und auch Jurytätigkeiten führen Kirsten zunehmend ins Ausland (Osterfestspiele Salzburg, Salzburger Festspiele, Bayreuther Festspiele, Ravenna Festival, Luzern Festival, Riccardo Mutis Opernakademie in Ravenna, Mailänder Scala, Wiener Staatsoper). Als Journalistin konnte sie mit zahlreichen Sängergrößen und berühmten Dirigenten in teils sehr persönlichen, freundschaftlichen Gesprächen begegnen, darunter Dietrich Fischer-Dieskau, Elisabeth Schwarzkopf, Mirella Freni, Christa Ludwig, Catarina Ligendza, Sena Jurinac, Gundula Janowitz, Edda Moser, Dame Gwyneth Jones, Christian Thielemann, Riccardo Muti, Piotr Beczala, Diana Damrau und Sonya Yoncheva. Kirstens Leuchttürme sind Wilhelm Furtwängler, Sergiu Celibidache, Riccardo Muti und Christian Thielemann. Kirsten ist seit 2018 Autorin für klassik-begeistert.de .