Carmen – ein modernes Ballett von Johan Inger

Carmen, Ballett in zwei Akten von Johann Inger,  Semperoper Dresden, 30. März 2022

Es handelt sich bei Ingers Stück nicht um ein mit klassischen Schrittfolgen, Sprung- und Hebefiguren beeindruckendes Ballett. Vielmehr verwendet er ein modernes, Jüngeren anfangs vielleicht zugänglicheres Bewegungsmuster. Im Vordergrund stehen die Obsessionen des Don José. Angezogen von Carmens lasziv-erotischen Bewegungen verstrickt er sich mit krankhafter Faszination in eine von Erynnien und Todesboten dominierte Parallelwelt, die für ihn nur mit dem Tod des angebeteten Objekts zu beenden ist.

Foto: Nastazia Philippou (Junge), Ayaha Tsunaki (Carmen), Jón Vallejo (Don José), Joseph Gray (Torero) (Foto: RW)

Semperoper Dresden, 30. März 2022

Carmen
Ballett in zwei Akten von Johann Inger

von Dr. Ralf Wegner

Ingers Ballett handelt auch von Carmen, im Vordergrund stehen aber die Obsessionen des Don José (Jón Vallejo). Angezogen von den lasziv-erotischen Bewegungen der Hauptdarstellerin (Ayaha Tsunaki) verstrickt er sich mit krankhafter Faszination in eine von Erynnien und Todesboten dominierte Parallelwelt, die für ihn nur mit dem Tod des angebeteten Objekts zu beenden ist. Liebe kommt auch vor, sie blitzt im Pas de trois gegen Ende des Stücks auf, als José mit Carmen und den von Inger als Beobachter hinzuerfundenen Jungen (Nastazia Philippou) zur Melodie von Bizets Blumenarie ein Familienidyll zelebriert.

Carmen genießt diesen Moment, aber bar ihres erotischen Ausdrucks. Die zeigt sie anschließend in einem Pas de deux mit dem selbstverliebten, in der Welt der Liebe erfahreneren Torero, getanzt von Joseph Gray. Die Flatterhaftigkeit der Frauen ohne große Gefühlsausbrüche, nur mit einer kleinen Handbewegung wegsteckend, gelingt auch dem hochgewachsenen Offizier Zuniga (Marcelo Gomes). Gegen diese beiden Männer hat der körperlich kleinere, mit Bart zudem eher bieder wirkende José keine Chance. Am Ende hält er nur Carmens rotes Kleid in Händen, während die von ihm Getötete als eine Art Geist in hautfarbenem Trikot im Hintergrund verschwindet. Die zahlreich die Bühne bevölkernden Todesboten erinnern an jene aus dem Film Ghost, Nachricht von Sam, in dem die Bösen nach dem Ableben von schwarzen Figuren in die Hölle gezogen werden.

Es handelt sich bei Ingers Stück nicht um ein mit klassischen Schrittfolgen, Sprung- und Hebefiguren beeindruckendes Ballett. Vielmehr verwendet er ein modernes, Jüngeren anfangs vielleicht zugänglicheres Bewegungsmuster, was zum Teil auch an Pina Bausch erinnert. Etwa wenn acht Tänzerinnen in der Zigarettenfabrik vom Bühnenhintergrund unter ausdrucksstarker Bewegung von Hüften und Schultern den Gang nach vorn zelebrieren und diese Aktion um zackig wirkende Handbewegungen ergänzen.

Ein vergleichbar erinnernswertes Bewegungsmuster choreographierte Inger für die vor der Zigarettenfabrik lungernden Männer nicht. Sie waren vielmehr auf ein zappeliges Bewegungsmuster festgelegt, unterbrochen durch surfartiges Rutschen auf der Bühne. Dass diese Männer Carmen kalt lassen, ist nachzuvollziehen. Offenbar wirkte der wie eine Salzsäule im Hintergrund stehende José für sie interessanter; vielleicht lag es in Carmens Sinn, eine ihr bisher unbekannte Facette der männlichen Natur ihrem amourösen Weltbild hinzuzufügen. Anders als in Bizets Oper geht es Ingers Carmen offenbar nicht um weibliche, selbst den Tod in Kauf nehmende Emanzipation, vielmehr schien Carmen dieses Ende nicht erwartet zu haben.

Das eher karge Bühnenbild zeigte neun hochschrankartige, seitlich auch spiegelnde Container, die für verschiedene Raumsituationen hin und her gefahren werden konnten. Anfang sollten sie wohl die Mauern der Zigarettenfabrik darstellen. Die Wirkung glich jedoch eher der Wand einer Umkleidekabine. Insgesamt fällt auf, dass Inger für sein Ballett nur 18 nach Ende des Stücks zum Applaus erscheinende Tänzerinnen und Tänzer einsetzte. Für die große breite Bühne der Semperoper hätte man etwas mehr Fülle auf der Bühne erwartet, was natürlich tänzerisch-logistisch einen höheren Aufwand erfordert hätte.

Die musikalische Darbietung (Georges Bizet, Rodion Schtschedrin, Marc Álvarez) kam vom Band. Bizets zu Beginn noch vor Erlöschen der Lichter im Zuschauerraum über Lautsprecher hereingespieltes Prélude schepperte grauslich in den Raum. Vielleicht hätte der Verzicht auf Bizet die Wirkung des Stücks noch verstärkt. Am Ende gab es begeisterten Applaus vom Publikum.

Dr. Ralf Wegner, 02. April 2022, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

Giuseppe Verdi, Aida, Christian Thielemann Semperoper Dresden, 9. März 2022

Giuseppe Verdi, „Aida“ Semperoper Dresden, Premiere, 5. März 2022, 18 Uhr

Daniels Anti-Klassiker 41: Georges Bizet – „Habanera“ aus „Carmen“ (1875), klassik-begeistert.de

Schreiben Sie einen Kommentar

Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert