Foto: © Daniel Dittus
Elbphilharmonie, Großer Saal, 13. April 2022
Christina Pluhar mit dem Ensemble L’Arpeggiata
Leitung und Theorbe: Christina Pluhar
Sopran: Céline Scheen
Countertenor: Kacper Szelążek
von Dr. Andreas Ströbl
Bei Dokumentationen barocker Grüfte stoßen die Forscher immer wieder auf eine Formel, die als Abschluss von Sarginschriften gerne verwendet wurde. Den Verstorbenen hat man, nach Nennung von Namen und Lebensdaten, oft eine „fröhliche Auferstehung“ gewünscht. Das klingt so gar nicht nach Trauer und Düsternis, sondern lenkt den Blick fort vom Tod auf das, was nach ihm kommt – zumindest in der Gewissheit der Gläubigen.
Ausgesprochen fröhlich und entgegen dem, was man für ein Konzert in der Karwoche, noch dazu mit dem Titel „Via Crucis“, also Kreuzweg, hätte erwarten können, strahlte auch das Ensemble „L’Arpeggiata“ am Mittwoch vor Ostern zusammen mit zwei herausragenden Solisten im Großen Saal der Hamburger Elbphilharmonie. Diese sympathische Gruppierung unter der Leitung der Grazerin Christina Pluhar überrascht bekanntermaßen seit 20 Jahren immer wieder mit Neuinterpretationen alter Musik und einem ganz speziellen, charakteristischen Klang. Der entsteht aus dem Zusammenspiel von historischen Saiteninstrumenten, fein eingesetztem Schlagwerk und vor allem funkelnd gespieltem Psalterium sowie trompetenhellem Zink.
Alle Mitglieder sind hervorragende Solisten und vermitteln den Eindruck von großer Spielfreude und herzlichem Miteinander. Pluhar, die auch die Theorbe spielte, führte das Ensemble, gemäß ihrem unprätentiösen Auftreten, sehr diskret und gab eher zurückhaltende Winke.
Die belgische Sopranistin Céline Scheen und der polnische Countertenor Kacper Szelążek erweiterten die für die kammermusikalische Größe sehr starke Formation um zwei besondere Stimmen, die den barocken Klang zum Leuchten brachten. Typisch für diese Zeit ist ja die enge Verflechtung von Leben und Tod und die beständige Mahnung, der eigenen Vergänglichkeit zu gedenken. Das bedeutet aber auch im Umkehrschluss, dass gegenüber Sterben und Abschied das pralle Leben lacht und ohnehin nach dem Durchschreiten des irdischen Jammertals ein Jenseits in ewiger Verklärung erhofft werden darf.
Diese spannungsreiche Dialektik sprach auch aus den Texten der Stücke aus dem Via-Crucis-Programm, denn der Abend begann mit zwei Wiegenliedern Marias für ihren kleinen Sohn, dessen grausames irdisches Ende ihr visionär vor dem inneren Auge steht; das erste ist anonym, das zweite stammt von Tarquinio Merula.
Musikalisch verblieb die Stimmung noch ganz in trauter Intimität, erzeugt durch das von Margit Übellacker gespielte Psalterium, dessen Klang an vom Balkan oder den Alpenländern vertraute Hausmusik erinnert. Kleine Sternenfunken entließ David Mayoral mit einem Glöckchen in den Saal. Gesanglich gesellten sich dazu hohe, feine Töne, die mitunter an Vogelgesang denken ließen, und zu denen sich Céline Scheen mit müheloser Leichtigkeit aufschwang. Klagende, ja flehende Ausrufe Mariens unterstrich Christina Pluhar durch eine Steigerung der Dynamik durch die Theorbe, der das Psalterium folgte, bis fast ruppige Abschnitte an den drohenden Kreuzweg Christi gemahnten.
Sehr eigen für das Ensemble war die Auflockerung der längeren Gesangspassagen durch reizvolle Instrumentalstücke wie eines von Heinrich Ignaz Franz Biber oder gekonnte Solo-Einlagen durch Jorge Jiménez an der Barockgeige.
Ein Klagelied von Antonio Caldara sang Kacper Szelążek mit seiner geschmeidigen, klaren Altus-Stimme und sehr reduziert eingesetztem Vibrato; das Stück erreichte durch an Vivaldi erinnernde Accelerandi eine barock-lebhafte Dynamik. Dass die Sopranistin den herzlichen Applaus für den Kollegen eröffnete, wirkte völlig authentisch und entsprach ganz dem Habitus dieser Gruppierung, die in überzeugend freundschaftlicher Harmonie einander zugewandt zusammenspielten und -sangen.
Bei Scheens „O gloriosa Domina“ von Ignazio Donati antwortete ihr Doron Sherwin mit seinem virtuos gespielten Zink vom Rang aus; gemeinsam mit Dani Espasas Orgelpositiv und der Theorbe entstand eine beeindruckende Raumwirkung von Gesang und wenigen Instrumenten.
Zu dem Countertenor mit beachtenswert deutlicher Artikulation gesellten sich die drei Viole da gamba von Lixsania Fernándes, Rodney Prada und Friederike Heumann in „Ach, daß ich Wassers g’nug hätte“ von Johann Christoph Bach; in einem Interludium setzte die Mandoline feine Akzente. Bei Christian Ritters Liebeslied für Jesus – er wird hier tatsächlich als Bräutigam angesungen – entstanden durch Tambourin und Psalterium eine beschwingte, tänzerische Fröhlichkeit.
Nach „Kommt ihr Stunden“ von Philipp Heinrich Erlebach mit charmanten Improvisationseinlagen durch Zink, Trommel und Violine (Jorge Jiménez und Catherine Aglibut) gaben die Gesangssolisten ein Duett von Giovanni Legrenzi in melancholischem Grundton. Beider Stimmen harmonisierten wunderbar miteinander, Céline Scheens schlanker, aber raumfüllender Sopran und Kacper Szelążeks’ Altus mit weiblich-warmem Schmelz malten ein wehmütiges Stimmungsbild, auf das inhaltlich passend ein Klagegesang von Antonio Caldara folgte.
In „La Vinciolina“ von Giovanni Antonio Pandolfo Mealli mit einem bezaubernden Violinsolo warfen die Musiker einander die thematischen Bälle zu, bevor man mit dem Stabat Mater, einem Werk von Giovanni Felice Sances, wieder unter dem Kreuz stand, mit all den Schmerzen und eindringlichen Klagen einer Mutter angesichts ihres hingerichteten Sohnes. Steigerungen wechselten mit kurzen Generalpausen, was zusammen mit der fast weinend wirkenden Trauerklage eine faszinierende Spannung erzeugte.
Diese Düsternis brach das Ensemble anschließend mit einem ihrer Klassiker, der Ciaccona von Maurizio Cazzati, licht- und schwungvoll mit Gitarre und Trommel auf. Spinett und Perkussion bereiteten im Tempo das tänzerische „Su, lieti“ von Caldara vor. Fröhlich, ja ausgelassen kam das instrumentale Canario aus der Feder von Lorenzo Allegri daher, um endlich in Claudio Monteverdis „Laudate dominum“ zu münden, in dem nochmals die Sopranistin brillierte. Die lichtvolle Konsequenz von Jesu Kreuzestod ist das Evangelium, die Frohe Botschaft, und die erhob sich jubilierend in diesem Stück wie eine Lerche in die Lüfte, unterstützt von einer Zink-Fanfare und lebhafter Rhythmik durch Psalterium, Trommel und Gitarre.
Nach begeistertem, zum großen Teil stehendem Applaus war die Zugabe eines weiteren Klassikers von L’Arpeggiata, dem Duett „Pur ti miro“ aus Monteverdis „L’incoronazione di Poppea“, Ehrensache. Mit frohen Gesichtern verabschiedeten sich die Musikerinnen und Musiker von einem dankbaren Publikum. Das war die Mitte der Karwoche, nun folgt die fröhliche Auferstehung!
Dr. Andreas Ströbl, 15. April 2022, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
Fromental Halévy, DIE JÜDIN, Opernhaus Kiel, Theater Kiel, 10. April 2022
Leoš Janáček, JENUFA, Theater Bremen, Theater am Goetheplatz, 9. April 2022 PREMIERE
Benjamin Britten,The Turn of the Screw, Theater Lübeck, 11. März 2022 PREMIERE