Im goldenen Raum gefangen und den Gefühlen ergeben: Die Dresdner „Aida“ ist ein musikalisches Schmuckstück

Giuseppe Verdi, Aida  Semperoper Dresden, 21. Dezember 2022

© Semperoper Dresden/Ludwig Olah

Aida
Giuseppe Verdi

Opera lirica in vier Akten                      Libretto von Antonio Ghislanzoni

Sächsischer Staatsopernchor
Sinfoniechor Dresden – Extrachor der Semperoper Dresden
Mitglieder der Komparserie
Sächsische Staatskapelle Dresden

Musikalische Leitung,  Leonardo Sini
Inszenierung,  Katharina Thalbach

Semperoper Dresden, 21. Dezember 2022

von Pauline Lehmann

Auf den ersten Moment scheint Giuseppe Verdis Oper „Aida“ nicht so recht in die Zeit um das Weihnachtsfest und den Jahreswechsel zu passen. Wenn die Semperoper Dresden im Dezember 2022 und Januar 2023 ihre diesjährige Neuproduktion in der Regie von Katharina Thalbach wiederaufnimmt, so ist dies eine Hommage an die überaus erfolgreiche Uraufführung vor fast auf den Tag genau 151 Jahren. Es war am Heiligabend des Jahres 1871, als sich am damals neu errichteten Kairoer Opernhaus erstmals der Vorhang für Verdis Opera lirica öffnete und diese ihren internationalen Siegeszug antrat.
Die Dresdner „Aida“ ist ein musikalisches Drama, das unter die Haut geht. Die Regisseurin Katharina Thalbach spürt der psychologischen Tiefe der Oper nach und bietet eine überzeugende Inszenierung, indem sie die Gefühle und Passionen der Figuren in den Mittelpunkt stellt. Die Berlinerin lotet die Gefühlstiefen seismografisch aus und forscht nach den archetypischen Größen menschlichen Daseins und Miteinanders – aufopferungsvolle Liebe, Vaterliebe und die Sehnsucht nach der Heimat ebenso wie Neid, Hass und Wut, Treue und Verrat, Schuld und Unschuld, Ehre und Moral. Katharina Thalbach spricht davon, wie „verletzlich“ die Figuren seien. Das Zeichnen dieser psychologischen Landkarte macht die Inszenierung stark und gleichsam zeitlos wie aktuell. Intimität und Monumentalität, Individualität und Gesellschaft prallen aufeinander. Ein kriegerischer Staat und eine übermächtige Kirche lassen kein privates Glück zu, dieses kann allein als Utopie bestehen. Die patriarchalische und streng religiöse Gesellschaft findet in der Rolle des Priesters eine übermächtige Repräsentationsfigur. Schließlich verweisen auch die einheitlichen hautfarbenen Kostüme der ägyptischen Männer auf eine Gesellschaft, die keine Individualität kennt und zulässt.

Für das Bühnenbild und die Kostüme steht der Berliner Regisseurin Ezio Toffolutti zur Seite, mit dem sie eine langjährige Zusammenarbeit verbindet. Der gebürtige Venezianer schafft einen hölzernen, golden glänzenden und mit einer Höhe von zehn Metern übergroßen Bühnenraum, der das alte Ägypten in abstrahierter Form als ein gigantomanisches Faszinosum erscheinen lässt. Es entsteht ein fantastischer Raum, in dem die Figuren ebenso gefangen wie verloren sind, andererseits aber auch ganz auf ihre innere Stimme hören können. So irritiert es auch nicht, wenn Aida, Amneris und Radamès im monumentalen goldenen und leeren Bühnenraum jeder für sich im Lichtkegel stehen.

© Semperoper Dresden/Ludwig Olah

Ein eigener, reflexiver Blick bleibt aus, stattdessen will Katharina Thalbach eine traditionelle Inszenierung schaffen und das Libretto erzählen – also eine „Aida“, wie sie wohl im Sinne Verdis gewesen wäre. „Ich habe versucht, […] in sehr einfachen Bildern […] diese Geschichte zu erzählen. Ich hatte nie die Absicht, mit irgendwelchen Interpretationen mich regielich […] in den Vordergrund zu drängen, weil ich die Geschichte so stark finde“, sagt die Regisseurin. So geschieht es, dass die Dresdner „Aida“ am Leimtopf des 19. Jahrhunderts kleben bleibt, denn für die Tatsache, dass bei Verdi das alte Ägypten einen puren Deko-Charakter darstellt und sich im ägyptisch-exotischen Schmuck vielmehr zeitgenössische staatspolitische Statements eines imperialistischen Europas verbergen, denen das Ägypten unter dem Khediven Ismael Pascha nacheiferte, findet Katharina Thalbach keinen Zugang. Stattdessen verliert sie sich im Nacherzählen und in großer Kulisse. Dann ist da auch noch die Tanz-Parodie, in der der Choreograf Christopher Tölle den altägyptischen Kult hochgradig sexualisiert, Erotik im Lendenschurz.

Dafür spielt die Sächsische Staatskapelle unter der Leitung des italienischen Dirigenten Leonardo Sini (geb. 1990), der kürzlich mit „La Traviata“ sein Hausdebüt an der Elbe gab, einen Verdi de luxe. Das Dresdner Orchester zeichnet einen einzigartigen musikalischen Spannungsbogen – vom leisen und flirrenden Beginn bis hin zum verhauchenden Liebestod. Die Sächsische Staatskapelle schimmert kammermusikalisch filigran und kristallin, wenn die Holzbläser und repetierende Streicher Aidas Sehnsucht nach ihrer äthiopischen Heimat begleiten – ganz so, wie es Christian Thielemann, der die Musikalische Leitung der Premiere am 5. März 2022 innehatte, beschreibt: „Man hat irgendwie bei Aida immer das Gefühl, da ist ein Elefant auf der Bühne und unglaubliche Ausstattungsorgien werden gefeiert.“ Stattdessen bestehe die „Partitur aus Pianissimi und dreifachen Piani und vierfachen Piani“. Mit Verve kostet die Sächsische Staatskapelle die Passagen der Grand Opera aus, während Radamès’ Verrat und der anschließenden Urteilsfällung drängt das Orchester emphatisch vorwärts.

Mit der russischen Sopranistin Elena Stikhina (geb. 1986), die für die erkrankte Maria José Siri einspringt, ist die Titelpartie erstklassig besetzt. Im kommenden Jahr übernimmt Elena Stikhina in der Neuproduktion der „Aida“ an der Bayerischen Staatsoper (Premiere: 15. Mai 2022) unter der Musikalischen Leitung von Daniele Rustioni und in der Regie von Damiano Michieletto ebenfalls die Titelpartie. Elena Stikhinas Aida ist ebenso zerbrechlich wie entschlossen, eine leidenschaftliche und reine Frauengestalt, deren Gefühle die Sopranistin mit einem beweglichen und in der Höhe klaren Sopran und viel Empathie auszudrücken weiß. Der aus Venezuela stammende Tenor Jorge Puerta, der seit Kurzem Ensemblemitglied an der Deutschen Oper Berlin und erstmalig an der Semperoper Dresden zu Gast ist, lässt den Ägypter Radamès mehr Krieger als Liebhaber sein. „Celeste Aida“ und auch das Schlussduett mit Aida „Morir! Sì pura e bella“ sind mit viel italienischem Schmelz. Christa Mayer, die mit der Wiederaufnahme der „Aida“ ihr Rollendebüt als Amneris gibt, lässt die Pharaonentochter erst ganz zum Schluss ihre harsche und feindselige Fassade ablegen, was sie zu einer ebenso zerbrechlichen Figur werden lässt wie ihre dem Tod entgegenblickende Gegenspielerin. So wirkt Christa Mayers dunkel timbrierter Mezzosopran in ihrem Gebet für Radamès wie ein zarter, seidiger Trauerschleier.

Pauline Lehmann, 27. Dezember 2022, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

Musikalische Leitung,  Leonardo Sini
Inszenierung,  Katharina Thalbach
Bühnenbild und Kostüme,  Ezio Toffolutti
Licht,  Fabio Antoci

Chor,  André Kellinghaus
Choreografie,  Christopher Tölle

Dramaturgie,  Johann Casimir Eule

Der König,  Tijl Faveyts
Amneris,  Christa Mayer
Aida,  Elena Stikhina
Radamès,  Jorge Puerta
Ramfis,  Vitalij Kowaljow
Amonasro,  Andrzej Dobber
Ein Bote,  Simeon Esper
Eine Tempelsängerin,  Ofeliya Pogosyan

Tänzerinnen,   Lea Birkhoff, Gabriella Lemma, Carley Marholin, Amanda Mitrevski, Erica Passante, Mascha Schellong, Malwina Stepien, Rebecca Wolbeck

Tänzer,   Petr Buchenkov, Davide de Biasi, Leon Damm, Gerardo Mussuto, Mattia Saracino, Arthur Troitsky, Michael Tucker, Nigel Watson

Sächsischer Staatsopernchor
Sinfoniechor Dresden – Extrachor der Semperoper Dresden
Mitglieder der Komparserie
Sächsische Staatskapelle Dresden

Giuseppe Verdis „Aida“, Großes Festspielhaus Salzburg, 12. August 2022

Giuseppe Verdi, Aida Arena di Verona, 28. August 2022

Giuseppe Verdi, Aida, Abschluss der italienischen Opernwochen, Staatsoper Hamburg, 8. April 2022

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