Konstantin Lorenz (Fürst Gremin), Iana Salenko (Tatjana), Marian Walter (Onegin), Alizée Sicre (Olga), Suren Grigorian (Lenski) (Foto: RW)
Auch der letzte Pas de deux wurde von Iana Salenko und Marian Walter phantastisch interpretiert und technisch überwältigend getanzt. Wie er sie hob, herumwirbelte und mit weit geöffneten Armen mit der Brust auffing, ging unter die Haut. Zwischen beiden stimmte die Chemie.
Staatsoper Unter den Linden, Staatsballett, 13. Mai 2023 Nachmittagsvorstellung
Onegin
Ballett von John Cranko (Stuttgart 1967)
Nach dem Versroman von Alexander S. Puschkin
Bühnenbild und Kostüme: Elisabeth Dalton
Musik von Peter I. Tschaikowsky, bearbeitet von Kurt-Heinz Stolze
Staatskapelle Berlin
Musikalische Leitung: Jonathan Stockhammer
von Dr. Ralf Wegner
Von den Handlungsballetten John Crankos hat sich nicht viel im Repertoire gehalten. Mit Ausnahme von Romeo und Julia sowie der eher selten aufgeführten Widerspenstigen Zähmung wird vorwiegend seine Onegin-Version auf den Bühnen gezeigt. Und das zu recht, handelt es sich doch um ein psychologisch ausdifferenziertes, den Tänzerinnen und Tänzern viel darstellerischen Spielraum lassendes und trotzdem technisch anspruchsvolles, mit vielen Hebungen, Sprüngen und Drehungen durchzogenes Tanzstück.
Wie in Tschaikowskys Oper Eugen Onegin durch ariosen Gesang gelingt es Cranko, Tatjanas emporschießende Empfindung mittels Tanz zum Ausdruck zu bringen. Tschaikowsky bedachte Tatjana mit einer Arie, Cranko schuf für sie aber nicht nur ein dieser Arie entsprechendes Solo, sondern zieht Onegin durch einen Spiegel in die Innenwelt Tatjanas hinein.
Formal ergibt das einen großartigen Liebes-Pas de deux, der ganz hervorragend von Iana Salenko und Marian Walter getanzt wurde. Auch der letzte Pas de deux, wieder in Tatjanas Schlafzimmer, diesmal aber nicht nur geträumt, wurde von beiden phantastisch interpretiert und technisch überwältigend getanzt. Wie er sie in diesem großen Pas de deux hob, herumwirbelte und mit weit geöffneten Armen mit der Brust auffing, ging unter die Haut. Zwischen beiden stimmte die Chemie.
Auch nach mehrmaligem Sehen nutzt sich dieses Ballett nicht ab. Immer wieder aufs Neue berührt die tänzerische Interpretation von Liebe, Lust und Leid, von Qualen der Seele, von Enttäuschungen, Verrat und vor allem von Verzicht; von Erfahrungen im Leben, die auch wir als Zuschauer, wenn vielleicht nicht selbst, dann aber bei oder mit anderen durchlebt haben.
Mit Alizée Sicre stand zudem eine bezaubernde Olga auf der Bühne, wie Maiglöckchen früh am Morgen (Puschkin), die mit dem ebenfalls hervorragend tanzenden Lenski von Suren Grigorian ein bezauberndes Paar abgab. Ihr Pas de deux im ersten Bild im Garten des Larin’schen Anwesens zeugte von fröhlicher Verliebtheit und einer Unbeschwertheit, der sich weder Tatjana noch Onegin je hingeben konnten. Ein viel beklatschter Höhepunkt waren wieder die zweimal diagonal getanzten Spagatsprünge der Tänzerinnen des Ensembles, geführt von den sie haltenden und dabei fortwärtsstürmenden Tänzern. Konstantin Lorenz füllte die Rolle des Fürsten Gremin perfekt aus.
Wenn man etwas an diesem Ballett bemängeln könnte, wäre es die Erinnerung Onegins an seine verflossenen Liebschaften, die nacheinander den allein im Ballsaal des Gremin’schen Palastes sitzenden Onegin bedrängen. Inhaltlich hat diese Szene weder Erleuchtendes noch tänzerisch-technisch Spektakuläres. Dass Onegin während der verflossenen letzten 10 Jahre nicht mönchisch gelebt hat, mag man sich auch ohne diesen Einschub vorstellen. Spektakulärer wäre der Übergang vom Ballsaal direkt in das Boudoir Tatjanas.
Aber selbst Puschkin lässt längere Zeit verstreichen und Onegin mehrere Briefe an Tatjana schreiben, bevor er sie nach Monaten, in Tränen aufgelöst, über seine Briefe geneigt, endlich sprechen kann. Ihre Antwort? „Ich liebe Sie – heut darf ich’s klagen – , doch hat ein andrer mich gefreit; ihm bleib ich treu für alle Zeit“. So geht sie. Wie vom Blitz getroffen, zerschmettert bleibt Onegin stehn, sieht voll Verzweiflung all sei Hoffen unwiederbringlich untergehn (Puschkin).
Großer Jubel und stehende Ovationen für eine herausragenden Ballett-Aufführung beendeten den Nachmittag in der Berliner Staatsoper Unter den Linden.
Dr. Ralf Wegner, 14. Mai 2023, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
Peter I. Tschaikowsky, ONEGIN, Ballett Staatsoper Unter den Linden, 20. Mai 2022
Ballett-Gala: Polina & Friends, Staatsoper Unter den Linden, Berlin