Was wäre Wagners „Ring“ nur ohne seine treibende Kraft: Tomasz Konieczny rettet die nächste Vorstellung

Richard Wagner, Die Walküre   Wiener Staatsoper, 22. Juni 2023

MERBETH_KONIECZNY © Michael Pöhn

Zum Ende steht das Haus am Kopf. Ganz energisch, nachdem Franz Welser-Möst vor den Vorhang tritt. Er absolviert gerade seinen letzten „Ring“-Durchgang. Irgendwann muss Schluss sein. Mit 63 dann lieber am Höhepunkt kürzertreten, anstatt zum Ende vielleicht ins Schleudern zu geraten. Der „Ring“ sei nun mal ein einzigartiger Gipfel, „der einen lockt und dessen Erreichen mit größter Freude, aber zugleich mit extremen Herausforderungen verbunden ist“. Ausnahmezustand dann bei Tomasz Konieczny.

Richard Wagner, Die Walküre
Wiener Staatsoper, 22. Juni 2023

von Jürgen Pathy

Unglaublich. Das grenzt so ziemlich an sensationell, was Franz Welser-Möst im zweiten Aufzug aus den Wiener Philharmonikern – genau genommen aus dem Staatsopernorchester – rausholt. An der Wiener Staatsoper leitet er gerade seinen letzten „Ring“. Wenn es darum geht, Spannung aufzubauen, im Graben so richtig umzurühren, wellenartig in Dauerekstase zu versetzen, da macht ihm so schnell keiner was vor. Könnte man das auch von Beginn an behaupten, wäre das Dirigat ohne Fehl und tadel. Dort herrscht aber leider fröstelnde Eiszeit.

Im „Rheingold“ war das bereits der Fall. In der „Walküre“ setzt sich das fort. Beinahe scheint es, als bräuchte Welser-Möst immer ein wenig Zeit. Um „in the zone“ zu landen. Dort, wo es so richtig tief geht, alles in einem aufwühlt. Links und Rechts, wohin man auch blickt, alle an der Sesselkante fesselt. Dann allerdings so richtig fest. Ruhe. Knisternde Ruhe. Eine Atmosphäre, wie man sie im Publikum eigentlich nur bei Richard Wagners Opern erleben darf. Musiktheater in Reinkultur!

Das vermeintliche Pech als riesiger Glücksfall

Die Besetzung trägt auch dazu bei. Leider müsse Eric Owens heute w.o. geben, lässt Bogdan Roščić kurz vor Beginn der Vorstellung wissen. Bereits am Vortag beim „Rheingold“ hat Roščić ihn „angesagt“. Einen Kreislaufkollaps habe der Afro-Amerikaner erlitten. Dennoch hatte er den „Rheingold“-Wotan noch irgendwie durchgeboxt. Der „Walküren“-Wotan ist dann aber eine Hausnummer zu groß. Da trennt sich die Spreu vom Weizen. Zum Glück steht KS Tomasz Konieczny bereit.

Was wäre die Welt von Richard Wagner, der Einflussbereich des „Rings“, nur ohne den polnischen Bassbariton? Vermutlich zum Scheitern verurteilt, um es auf den Punkt zu bringen. Er zeigt mal wieder, wo der Hammer hängt in Walhall! Extra über Nacht mit dem Auto aus Bayreuth angereist – dort probt er aktuell auch für den „Ring“ –, rettet er die Aufführung. Wie man den gigantischen Wotan-Monolog mit so viel Energie, so geschmeidig dahingleitender Legato-Kultur und so viel darstellerischer Durchdringung der Partie meistern kann, ist wohl sein großes Geheimnis. Bärenkräfte sind wohl ein Teil davon. Der Rest bleibt unergründlich.

In Bayreuth hatte man schon nach neuen Gesichtern gesucht. In Wien, wo Konieczny unter der Ära Dominique Meyer jahrelang das Zepter geführt hat, ebenfalls. Verspekuliert hat man sich, an beiden Orten. Herausragende Götterväter wachsen nun Mal nicht wie Blätter an den Bäumen. Die müssen lange reifen. So edel die Stimme von Eric Owens im „Rheingold“ auch gewesen sein mag, darstellerisch herrschte da Flaute. Angehalten hat er sich eher am Speer, den Wotan aus der Weltesche geschnitten hat. Gestützt daran vor lauter Schwäche, anstatt mit Würde getragen. Wenn auch zum Teil womöglich des Kreislaufkollaps vom Vortag wegen, einen Oscar wird Eric Owens keinen mehr gewinnen. Den verleiht man sicher an Tomasz Konieczny.

The best of the rest

Die Nebendarsteller an seiner Seite müssen sich auch nicht verstecken. Ricarda Merbeth verströmt wohltuende Hojotoho-Spitzentöne und drückt nicht nur rein aufs Vollgas. Endlich mal eine Walküre, die nicht kreischt und auch keinen Dezibel-Preis gewinnen möchte. Wer kann lauter, wer kann noch mehr pressen, das ist sicherlich nicht ihre Prämisse. Keine Ahnung, warum ihr in gewissen Kreisen so ein schlechter Ruf vorauseilt. So zärtlich durchdrungen, hat man Wotans Lieblingstochter noch selten Abschied nehmen hören.

Daniel Frank als Siegmund gibt sich auch keine Blöße. Neben Konieczny ist er der zweite „Einspringer“ des Abends. Optisch gewinnt der in Schweden geborene Tenor den Johnny-Depp-Lookalike-Wettbewerb. Stimmlich übertrifft er den Hollywoodstar, der sich seit geraumer Zeit als tourender Rockstar versucht, bei weitem. Glasklar in den Höhen, mit ausreichend Hang zur Leidenschaft, wenn gefordert.

Bleiben noch Ain Anger und Simone Schneider. Letztere schließt sich dem Dirigat an. Anfangs stark unterkühlt, taut sie zum Ende hin als Sieglinde dann doch noch ordentlich auf. Ain Anger, der bereits als „Rheingold“-Riese Fafner einen imposanten Eindruck hinterlassen hat, lehrt einem als Hunding ebenso das Fürchten. In dessen Haus sollte man dann wohl lieber nicht rasten.

Zum Ende steht das Haus am Kopf. Ganz energisch, nachdem Franz Welser-Möst vor den Vorhang tritt. Er absolviert gerade seinen letzten „Ring“-Durchgang. Irgendwann muss Schluss sein. Mit 63 dann lieber am Höhepunkt kürzertreten, anstatt zum Ende vielleicht ins Schleudern zu geraten. Der „Ring“ sei nun mal ein einzigartiger Gipfel, „der einen lockt und dessen Erreichen mit größter Freude, aber zugleich mit extremen Herausforderungen verbunden ist“. Ausnahmezustand dann bei Tomasz Konieczny.

Jürgen Pathy (klassikpunk.de), 22. Juni 2023, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

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