Le nozze di Figaro © W. Hösl
Wolfgang Amadeus Mozart
Le nozze di Figaro
Libretto von Lorenzo Da Ponte basierend auf der Komödie La folle Journée ou Le Mariage de Figaro von Pierre-Augustin Caron de Beaumarchais.
Musikalische Leitung Stefano Montanari
Bayerisches Staatsorchester
Bayerischer Staatsopernchor
Inszenierung Evgeny Titov
Bühne und Kostüme Annemarie Woods
Licht D. M. Wood
Dramaturgie Katja Leclerc, Janine Ortiz
Chor Christoph Heil
Il Conte di Almaviva Huw Montague Rendall
La Contessa di Almaviva Elsa Dreisig
Susanna Louise Alder
Figaro Konstantin Krimmel
Cherubino Avery Amereau
Nationaltheater, München, 30. Oktober 2023 PREMIERE
von Frank Heublein
An diesem Abend wird Wolfgang Amadeus’ erste Opernzusammenarbeit mit dem Librettisten Lorenzo Da Ponte, Le nozze di Figaro, im Nationaltheater in München aufgeführt.
Ich höre drei der vier Stimmen der zwei Paare, die bei der Münchner Così van tutte Neuinszenierung im letzten Jahr ebenfalls mitgewirkt haben. Figaro-Sänger Konstantin Krimmel, Louise Alder in der Rolle der Susanna und hier in der Hosenrolle des Cherubino Avery Amereau. Sind sie ein eingespieltes Mozartteam? Aber ja! Das gesamte Ensemble ist an diesem Abend eine einzige großartige Einheit. Jede Rolle ist stimmlich hervorragend besetzt. Auch der Chor ist bestens disponiert. Es braust mir kraftvoll, leidenschaftlich, voll agiler Geschwindigkeit entgegen. Ein Highlight ist für mich die Schlussszene des zweiten Akts und ich möchte mit den „Bösen“ mitsingen „Qualche nume a noi propizio / qui ci/li ha fatti capitar“ (eine uns günstig gesonnene Gottheit hat uns/sie hierher geführt).
Die titelgebende Rolle des Figaro singt Bass Konstantin Krimmel genauso wohltemperiert und locker wie seinen Guilelmo aus Così fan tutte. In der Schlussarie des ersten Aktes „Non più andrai, farfallone amoroso“ (Verliebter Schmetterling, du wirst nicht mehr herumflattern) transportiert er mit der Wärme seiner Stimme eindringlich das Mitgefühl für das Schicksal des Cherubino, der zum Militär muss. Die Vifheit und die Kombination aus Leidenschaft und Eifersucht, die er in seiner Arie im vierten Akt „Tutto è disposto: l’ora“ (Alles ist vorbereitet, die Stunde) stimmlich aufscheinen lässt, ist zutiefst menschlich und diese Echtheit beeindruckt mich.
Sopranistin Louise Alder hat die anspruchsvollste Rolle des Abends. Susanna ist fast immer auf der Bühne. Im vierten Akt dann lässt sie mich in ihrer Arie „Giunse alfin il momento“ (Endlich ist der Augenblick gekommen) an ihren Lippen und Stimmbändern hängen. Sie träumt verliebt von Figaro und ich höre aus ihrer Stimme all das Umschmeichelnde, Zärtliche und Reine. Herzerwärmend.
Der Graf, il Conte d’Almaviva, wird von Bariton Huw Montague Rendall gegeben. Er ist der auf seinen Vorteil ausgehende Mächtige, der trickst und laviert, um seine Gier zu befriedigen. Fühlt er sich hereingelegt, dann gibt’s was auf die Zwölf. Ein intriganter Macho. Das beweist er am eindrucksvollsten in seiner Arie „Hai già vinta la causa! Cosa sento!” (Du hast den Prozess schon gewonnen! Was höre ich!). Huw Montague Rendall drückt das Verschlagene, das „an mir und meinem Willen kommt ihr nicht vorbei“ eindrucksvoll aus. Souverän und von sich überzeugt – das ist seine Rolle! Stimmlich stets höchst präsent und konzentriert.
Sopranistin Elsa Dreisig spielt und singt die Contessa d’Almaviva. Sie fügt sich nahtlos ein in hochqualitative Gesangsensemble. Ihrer Arie im dritten Akt „E Susanna non vien! sono ansiosa“ (Und Susanna kommt nicht! Ich bin begierig) gestaltet sie ihre Zweifel, den Gatten hereinzulegen, differenziert. Sie singt sich diese selbst aus. Nachdenklich, bedächtig, zunehmend entschlossen. Auch hier empfinde ich was ich höre als fast dokumentarisch anmutenden menschlichen Moment. Das füllt mich innerlich vollständig aus.
Avery Amereau erfüllt die Hosenrolle Cherubino mit sopranstrahlendem Leben. Ihre Arie im ersten Akt „Non so più cosa son, cosa faccio“ (Ich weiß nicht mehr, was ich bin, was ich tue) ist ein erster betörender Höhepunkt des Abends. Berührend filigran zerbrechlich und doch voller Kraft. Im zweiten Akt lässt sie mich erneut dahinschmelzen mit „Voi che sapete / che cosa è amor“ (Ihr, die ihr wisst / was Liebe ist). Ein weiteres Mal unerschütterlich, verwirrt, zart, allein der Liebe folgend.
Stefano Montanari leitet ein dynamisches Bayerisches Staatsorchester. Anfangs so stürmisch, dass die Sänger und Sängerinnen kämpfen müssen, um gegen den Orchesterton bestehen zu können. Die Abstimmung wird im Laufe des ersten Aktes angepasst. Reizvolle Tempi, starke Dynamik, plötzliche doch nicht schroffe sondern überraschend und emotional passende Wechsel zwischen laut und leise, zwischen schnell und innehaltend. Das agile Klangbild gefällt mir sehr. Ein weiteres schönes Detail: die verspielt detailliert kommentierende Hammerklavierbegleitung der Rezitative besorgt Montanari selbst.
Die Inszenierung von Evgeny Titov funktioniert leidlich. Zu den herrschaftlichen Ausschweifungen des Grafen gehört der Hanfpflanzenanbau. Oder ein „Liebesstuhl“. Das alles wirkt auf mich nicht als unmittelbare Stütze der Handlung, stört die Handlung und mich aber auch nicht. Warum ein Kabinett in einem Keller eingerichtet ist, da werden meine Zweifel größer. Schwamm drüber könnte ich sagen, doch auch hier gelingt der Inszenierung nicht, den komödiantischen Höhepunkt der Oper im zweiten Akt „wer versteckt sich im Kabinett?“ zu unterstützen. Das ficht die Sängerinnen und Sänger nicht an, daraus eine außergewöhnlich reizvolle Spiel- wie Gesangsszene zu gestalten.
Der erste Teil gefällt mir besser. So real als schaue ich nicht einem Spiel, sondern durchs Schlüsselloch der Wirklichkeit zu, so habe ich den – ersten Teil des – Figaro noch nicht gesehen. Die explosive Kraft zwischen den Figuren empfinde ich als deutlich stärker herausgespielt und -gesungen als im zweiten Teil nach der Pause. Dadurch entsteht für ich persönlich nach der Pause eine klitzekleine Länge. Die wundervollen Stimmen, egal ob als Solo, in der kleinen Gruppe oder im Ensemble pusten diese im Nu weg. „Ah! tutti contenti / saremo così“ (ah, so werden wir alle zufrieden sein). So heißt es fast am Ende der Oper. Mich schließt das an diesem Abend mit ein.
Frank Heublein, 31. Oktober 2023, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
Wolfgang Amadeus Mozart, Le nozze di Figaro Semperoper Dresden, 18. September 2023
Wolfgang Amadeus Mozart, Le nozze di Figaro Haus für Mozart, Salzburg, 30. Juli 2023
Le Nozze di Figaro, Musik von Wolfgang Amadeus Mozart Wiener Staatsoper, 11. März 2023 PREMIERE