München: Elisabeth Kulman betört mit ihrer feurig glänzend warmen Stimme

„La femme c’est moi“, Elisabeth Kulman,  Bayerische Staatsoper München, Prinzregententheater,

Foto: www.elisabethkulman.com
Bayerische Staatsoper München, Prinzregententheater,
12. Juli 2018
„La femme c’est moi“
Werke Saint-Saens, Porter, Bizet, Warren, Britten, Lloyd Webber, Schubert, Bahler, Seress, Mozart, Strauss, Lennon/McCartney, Reiter, Wagner, Weill, Verdi und Dumont
Elisabeth Kulman, Gesang
Aliosha Biz,Violine
Tscho Theissing, Viola
Franz Bartolomey, Violoncello
Herbert Mayr, Kontrabass
Gerald Preinfalk, Klarinette und Saxophon
Maria Reiter, Akkordeon
Eduard Kutrowatz, Klavier

von Raphael Eckardt

Liebe und Politik, Licht und Schatten, Mozart und McCartney – in einem Abend voller Gegensätze präsentierte die grandiose Elisabeth Kulman bei den diesjährigen Münchner Opernfestspielen einen denkwürdigen Soloabend („La Femme c’est moi“), der neben einer Zeitreise durch die verschiedensten Epochen europäischer und amerikanischer Musikgeschichte vor allem eines war: ein musikalischer Brückenbauer über die immer weiter auseinanderdriftenden Scherben unserer Zeit.

Tausende Seelen in einer Person, charakterliche Vielfalt in weich timbrierter Stimme, Seeräuberjenny und Carmen gleichermaßen: Wenn Elisabeth Kulman die großen Bühnen dieser Welt betritt, wird der Zuhörer mit beeindruckender Regelmäßigkeit in eine surreal anmutende Welt mit zauberhaft vernebelter Aura entführt, die sich in größter Mannigfaltigkeit und höchster musikalischer Klasse präsentiert, ohne dabei auch nur ansatzweise gekünstelt oder fadenscheinig zu wirken. Denn im Berühren verschiedenster Protagonistinnen, die die Musikwelt über all die Jahrhunderte erschaffen hat, zeigt Kulman seit jeher ihr wahres Genie: Heiter-Sarkastisches wird da mit salonreifen Chansons kombiniert, auf Camille Saint-Saens’ Arie der Dalila (Samson et Dalila) folgt Cole Porters zynische Kate-Ballade, die auf den brisanten Titel „I Hate Men“ hört. Kurzum: Kulmans Repertoirespektrum ist nicht nur das vielleicht beste und vielfältigste unserer Zeit, sondern auch ein genial kombiniertes. Fabelhaft!

Da überrascht es dann freilich wenig, dass auch dieser Abend durch grandios Unerwartetes zu glänzen wusste, und sich die Freiheit nahm, einen Bogen von Camille Saint-Saens über Paul McCartney und John Lennon bis hin zu Richard Wagner zu spannen. Dass dieses Vorhaben nicht nur außerordentlich gut gelingen durfte, sondern auch zu fulminanten musikalischen Momenten am Fließband führte, ist neben einer fabulös aufgelegten Solistin vor allem dem Bratscher Tscho Theissing zu verdanken, der mit abwechslungsreichen und außergewöhnlichen Arrangements zu begeistern wusste.

Einzelne Stücke wurden da nicht bloß Song an Song aneinandergereiht, sondern in unzertrennbarer Art und Weise miteinander verwoben. Theissing verknüpfte beispielsweise Bizets „Habanera“ mit Dean Martins „That’s amore“ und garnierte Kurt Weills Lied eines Abwaschmädchens, im Volksmund besser als „Seeräuberjenny“ bekannt, mit Herwig Reiters Portrait einer Chansonette. Dabei kam aber nicht einmal das Gefühl auf, dass Theissings Arrangements allein mit gutem Willen funktionierten, sondern man stellte sich eher die Frage, wieso zuvor noch niemand auf die Idee gekommen war, so gut zusammenpassende Stücke in dieser Art und Weise zu kombinieren.

Aber nicht nur kreativ ausgestaltete Neukombinationen, sondern auch Opernklassiker aus beinahe vier Jahrhunderten sollten an diesem Abend in neuem Glanze erstrahlen: Etwa Mozarts „Der Hölle Rache kocht in meinem Herzen“, das neben Kulmans fein-zynischer Interpretation vor allem durch ausgefeiltes Nuancenreichtum und grandiose dynamische Kontraste zu begeistern wusste. Ja, dass Theissings Bearbeitungen derart gut funktionierten, war vor allem einer hervorragend besetzen Band aus Violine, Viola, Violoncello, Kontrabass, Klarinette, Saxophon, Akkordeon und Klavier zu verdanken, die trotz Kammerbesetzung gleichermaßen für große Oper und swingende Elemente sorgen konnte und somit einen idealen Rahmen für eine großartige Solistin bot, die an diesem Abend nicht zuletzt deshalb künstlerische Freiheit par excellence zelebrieren konnte.

Kulman betört ihr Publikum auch diesmal von Beginn an mit ihrer feurig glänzend warmen Stimme: Dunkle Tiefen schwingen sich da beinahe mühelos in schwindelerregende Höhen hinauf, Pianissimi münden in eindrucksvolle Fortissimi. Wie auf einem reißenden Gebirgsfluss wandelt Kulman auf dem schmalen Grat zwischen musikalischem Genie und Wahnsinn. Donnernde Wasserfälle wechseln sich mit seicht dahingleitenden Passagen ab, grollende Crescendi münden in lieblich solistische Passagen zum Dahinschmelzen. Genre-, Fach- und Technikgrenzen sprengend, gelingt es Kulman in beeindruckender Manier gleichermaßen, eine dahinleidende Pamina und eine mit allen Wassern gewaschene Seeräuberjenny lebendig werden zu lassen. Franz Schuberts „Gretchen am Spinnrade“, das in Expertenkreisen gerne als die Geburtsstunde des Kunstlieds gehandelt wird, singt Kulman zwar dosiert nachdenklich, keineswegs aber ohne die nötige Portion Entschlossenheit. Manchmal augenzwinkernd, dann zynisch dreinblickend bringt Kulman sämtliche Facetten des menschlichen Empfindens allein mit ihrer fesselnden Präsenz und ihrer über schier endlose Reserven verfügenden Stimme aufs Parkett. Fabelhaft!

Als sie dann sowohl den ersten Teil ihres furiosen Programms (About love and time) als auch den zweiten Teil (All about politics) mit dem Beatles-Hit „When I’m Sixty Four“ (Sgt. Pepper) beschließt, wird auch der Tiefgrund des Abends klar: Mit einem Song, der aus dem ersten Konzeptalbum der Musikgeschichte stammt, baut Kulman eine musikalische Brücke zwischen zwei gesellschaftsbestimmenden Themen, die in diesen Tagen nicht immer unter einen Hut zu bringen sind: Liebe und Politik.

Raphael Eckardt, 13. Juli 2018, für
klassik-begeistert.de

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