Demis Volpi © Matthias Baus Aus dem Spielzeitbuch der Hamburgischen Staatsoper 2025/2026
Eine Betrachtung von Dr. Ralf Wegner
Das Jahrbuch der Saison 2025/26 liegt vor. Und John Neumeiers Werk, welches den Weltrang des Hamburger Balletts ausmacht, gerät in die Hinterhand.
Zwar lässt Demis Volpi Neumeiers tiefsinniges Ballett Die Möwe zur Wiederaufnahme vorbereiten, die von Neumeier ebenfalls gepflegten, auf Petipa etc. zurückgreifenden klassischen, noch zuletzt neu erarbeiteten Ballette Schwanensee und Dornröschen sind aber wieder nicht dabei.
Und zwei außerordentliche Protagonisten, die auch dieses klassische Repertoire beherrschen, wie die 30-jährige Madoka Sugai und der
24-jährige Alessandro Frola, verlassen die Compagnie. Das ist mehr als bedauerlich, denn beide stehen mitten in der Blüte ihrer tänzerischen und darstellerische Fähigkeiten. Sie ans Haus für die nächsten 10 bis 15 Jahre zu binden, wäre so wichtig gewesen. Denn vor allem Sugai meistert nicht nur das klassische und das neoklassische Repertoire, ebenso liegen ihr moderne Interpretationen. Keine wie sie vereint so Unerschrockenheit, technische Meisterschaft und darstellerische Kraft, jedenfalls nicht im Vergleich mit Tänzerinnen ihrer Generation.
Zurück zum Neumeier-Repertoire. Die Fülle der von ihm in den letzten
5 Jahrzehnten geschaffenen Werke ist nahezu unüberschaubar, kein anderer Choreograph erreichte in seinen Werken solch eine narrative Kraft verbunden mit in der Seele verankerter Tiefenspannung. Was Neumeier vorgelegt hat, würde mehrere Jahrzehnte reichen, um das Hamburger Haus fürderhin zu füllen und den außerordentlichen Ruf des Hamburger Balletts in der Welt zu erhalten.
Deshalb ist es umso bedauerlicher, dass Neumeiers Repertoire von jetzt 65% in der kommenden Saison noch weiter auf etwa 40% gekürzt wird. Zwar wird der mir vor allem mit ausgewalzten Rekonstruktionen (La Bajadère, Le Corsaire) in Erinnerung gebliebene Alexei Ratmansky (Alice im) Wunderland auf die Bühne bringen, dafür gibt es aber wieder einen mehrteiligen Abend, genannt Kein Zurück, der die Schwierigkeiten von Choreographen zeigt, einen ganzen Abend zu gestalten. Dann könnte man auch einen sinfonischen Abend mit jeweils einem Satz aus verschiedenen Symphonien arrangieren (beim Philharmonischen Staatsorchester scheint sich ja so etwas Ähnliches anzubahnen). Mit den Mehrteilern aus der jetzigen Saison The Times are Racing und Slow Burn werden 2025/26 32% der vorgesehenen Ballettabende mit solchen Kurzballetten gefüllt.
Mit welchen anderen Compagnien will Demis Volpi mit dieser Auswahl konkurrieren? Und herausragende Tänzerinnen und Tänzer hat er ja trotz des vorgesehenen Abgangs von Madoka Sugai und Alessandro Frola immer noch. Aber wie lange noch. Sie schienen mir mit den genannten Mehrteilern unterfordert, dass es einem leid tat.
Wie schön war es, Madoka Sugai, Emilie Mazon, Ida Praetorius und Alina Cojocaru bei den schweren klassischen Soli und Pas de deux von Marius Petipa erleben zu dürfen, und zwar in Neumeiers Dornröschenversion.
Gleiches gilt für Schwanensee mit den 32 Fouettés oder die ebenso häufigen Entrechat six in Neumeiers genialer Giselle-Version. Wenn dieses Schwierigkeiten auf der Bühne nicht mehr hinreichend gefordert und gepflegt werden, geht es dem Ballett an den Kragen und die Hamburger Compagnie gibt die Krone ab nach Stuttgart, wo Neumeier mit Anna Karenina als Heimkehrer gefeiert wird, oder sogar nach Wien, Berlin oder München.
Dr. Ralf Wegner, 7. März 2025, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
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