Gänsehauterlebnis: Wenn in Düsseldorf musikalische Revolutionen erklingen

Düsseldorfer Symphoniker, Michael Sanderling, Dirigent  Tonhalle Düsseldorf, 7. März 2025

Alina Ibragimova, Michael Sanderling © Susanne Diesner

Zuletzt erschien das Abo-Programm der Düsseldorfer Symphoniker doch etwas Klassisch. Viel Haydn, Mozart, Schumann, Brahms und ab und an Mahler… ja, es scheint, als hätte man hier nur eingeschränkt Berührung mit dem vollen Klang spätromantischer und in Teilen moderner Musik. Auch deshalb wirkt es wie eine kleine Überraschung, dass beim Abokonzert diese Tage gleich zwei Giganten auf dem Programm stehen, die für ihre revolutionären Ansätze bis heute gefeiert werden.

Düsseldorfer Symphoniker
Michael Sanderling, Dirigent

Alina Ibragimova, Violine

Ludwig van Beethoven
Konzert für Violine und Orchester D-Dur op. 61 – 1806

Dmitri Schostakowitsch
Sinfonie N. 11 op. 103 „Das Jahr 1905“ – 1957

Tonhalle Düsseldorf, 7. März 2025

von Daniel Janz

 

Beethovens Violinkonzert mit moderner Ergänzung

Den Anfang macht das zu seiner Zeit längste Violinkonzert der Welt von Ludwig van Beethoven. Seit er es 1806 komponierte, hat dieses bis heute revolutionäre Werk seinen Status im Konzertbetrieb zementiert und gilt Vielen als Juwel seiner Gattung. Und mit Dirigent Michael Sanderling (58) aus Berlin und der russisch-britischen Violinistin Alina Ibragimova (39) stellen sich zwei Kenner diesem Schlüsselwerk.
Den Beginn macht jedoch die Pauke, die in dieser Aufführung eine zentrale Rolle spielt. Denn anders, als man es kennt, wird sie in der heutigen Interpretation immer wieder herausstechen. Selbst in der von Ibragimova hervorragend dargebrachten Solo-Kadenz im ersten Satz erklingt sie. Eine Kombination, die der Rezensent noch nie gehört hat. War das eine individuelle Ergänzung, um auf das zweite Werk heute vorzubereiten? Aus Beethovens Feder stammt diese Kombination jedenfalls nicht.

Generell sticht die individuelle Note heute stark heraus. Seien es die sensible und mit Bedacht gewählte Begleitung des Orchesters, das Sanderling immer wieder in die rechten Bahnen lenkt, oder die von Alina Ibragimova mit Leichtigkeit dargebotenen melodischen Figuren: Man erkennt schnell, dass hier Experten am Werk sind.

Gerade auch der zweite Satz wird dadurch zum Kleinod der Einfühlsamkeit. Wie schon im ersten Satz erscheinen die Themen hier deutlich kontrastiert. Dazu rühren die Streicher unter Sanderlings Anleitung und die Bläser fallen mit einer an Perfektion grenzenden Sauberkeit auf. Und der dritte Satz, der pausenlos auf den zweiten dargeboten wird, begeistert durch geschickt gestaltete Spannungsmomente.

Alina Ibragimova, Michael Sanderling © Susanne Diesner

Damit ist der Erfolg garantiert. Ja, stellenweise hätte es vielleicht noch etwas lauter sein dürfen. Dafür aber waren die feinsinnigen Stellen in einer Exzellenz dargeboten, die es nur selten zu hören gibt. Schade deshalb, dass nach ausdauerndem Applaus keine Zugabe folgt. Aber auf der anderen Seite kann man Sanderling und Ibragimova nicht verübeln, nach fast 50 Minuten Musik eine Pause zu brauchen.

Aufstand, Mord, Revolution und Sturmläuten: Schostakowitschs Musik bringt den Saal zum Beben.

Revolutionär im programmatischen Sinn geht es im zweiten Werk des Abends zu. Schostakowitschs elfte Sinfonie ist das womöglich malerischste Werk des lange unter Repressalien lebenden Sowjetischen Komponisten. Laut Widmung vertonte er hier das Massaker am so genannten „Petersburger Blutsonntag“ im Jahr 1905, das als Anlass für die erste russische Revolution gilt. Wie der Intendant der Tonhalle in einer kurzen Einleitung erklärt, sei diese Widmung aber doppelzüngig: Nach ihm habe Schostakowitsch hier eigentlich auf den Ungarischen Volksaufstand 1956 angespielt.

Alina Ibragimova, Michael Sanderling © Susanne Diesner

Ob man dieser – dem Rezensent unbekannten – Erklärung folgt oder nicht; diese Musik verkörpert das kriegerische Moment erschreckend aktuell. Bereits beim durch leise Töne bestimmten ersten Satz fährt einem Gänsehaut über den Rücken. Immer wieder kehren die brillant vibrierenden Streicher zu Pedaltönen der Harfen in einen von Hoffnung getragenen Choral ein. Trompeten- und Hornsignale stören die Idylle, während die Pauke jenen Rhythmus der Gewalt einführt, der das Werk bestimmt.

Im zweiten Satz bricht sich dann die Katastrophe Bahn, als Pauken und Schlagzeug nach einem zwischen Glanz und Wahnsinn wankenden Triumphzug alles brutal niederdonnern. Auch der Grabgesang unter dem Namen „ewiges Andenken“ in Satz drei bewegt. Besonders Fagott, Bassklarinette und Hörner ergreifen hier. Und im vierten Satz steuert dann erst alles auf ein erlösendes Finale hin, nur um abzubrechen. Klagend greift das Englischhorn noch einmal den Choral aus Satz 1 auf, bevor die düster spielende Bassklarinette in den tosenden Untergang markiert und damit auch den letzten kalten Gefühlsschauer einleitet. Das ist schon ein Erlebnis für sich!

Trotzdem fallen Makel auf, bei denen unsicher bleibt, ob sie auf das Orchester oder die Beschaffenheit des Konzertsaals zurückzuführen sind. So starten die im späteren Verlauf soliden Blechbläser mit mehreren Kieksern in die Sinfonie. Generell kommen Posaunen und auch Trompeten in ihrer Schärfe etwas gedämpft zur Geltung. Gleiches gilt für das Becken. Und die Schläge der Glocken, denen der Rezensent weit entfernt gegenübersitzt, vermatschen im Finale stellenweise sehr mit dem Klangkörper des Orchesters. Deutlicher konnte man das vor zweieinhalb Jahren in Köln hören.

Michael Sanderling © Nikolaj Lund

Trotzdem bleibt es in Summe eine gute bis sehr gute Aufführung. Bemerkenswert auch: Mit dem letzten ausschwingenden Glockenschlag ist das Publikum derart erschlagen, dass es still Minuten lang erstarrt. Selbst, als Sanderling seinen Taktstab ablegt, ist kein Mucks zu hören. Als nach einer gefühlten Ewigkeit dann erster Beifall ertönt, ist dieser aber derart stürmisch, dass sich nahezu alle geschlossen aufrichten, um den Künstlern Tribut zu zollen. Selbst, wenn zur Perfektion noch kleine Details fehlten, so macht diese Reaktion klar, dass das heute ein denkwürdiger Abend war!

Für diejenigen, die diese Aufführung ebenfalls miterleben möchten: Sie wird noch zweimal, am Sonntag den 9.3. und Montag den 10.3., in der Düsseldorfer Tonhalle wiederholt. Es gibt nur noch wenige Karten.

Daniel Janz, 8. März 2025, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

Ludwig van Beethoven, Konzert für Violine und Orchester D-Dur op. 61 Gewandhaus Leipzig, 16. Februar 2023

Daniels vergessene Klassiker Nr 16: Dmitri Schostakowitsch – Violinkonzert Nr. 2 (1967)

CD-Rezension: Schostakowitsch – Doppeltes Spiel. Eine Hörbiographie von Jörg Handstein klassik-begeistert.de

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