Foto: Bernd Uhlig (c)
Luigi Cherubini, Medea (Médée)
Staatsoper Unter den Linden, Berlin, 7. Oktober 2018 – Premiere
Daniel Barenboim,Musikalische Leitung
Andrea Breth, Inszenierung
Martin Zehetgruber, Bühnenbild
Sonya Yoncheva, Médée
Elsa Dreisig, Dircé
Charles Castronovo, Jason
Iain Paterson, Créon
von Yehya Alazem
Wenn man nach einer Vorstellung aus der Oper kommt, und die ganze Welt sieht total anders aus als zuvor, dann weiß man: Es wurde etwas Großes, ja sogar Gigantisches geschaffen.
Wer könnte es glauben, dass man nach Maria Callas, die das Interesse für diese (leider vergessene) großartige Oper von Luigi Cherubini Mitte des 20. Jahrhunderts erweckte, etwas auf dem gleichen Niveau 60 Jahre später erleben könnte? Doch gibt es eine: Vom ersten bis zum letzten Ton verleiht die bulgarische Star-Sopranistin Sonya Yoncheva dieser Welt etwas PHÄNOMENALES. Ihre Darstellung der verrückten Frauenfigur Medea (Médée) ist sowohl gesanglich als auch darstellerisch wirklich kaum zu glauben.
Yoncheva hat ihr eigenes, persönliches Timbre, das dunkel, warm und rund ist, dazu kommt eine solide Höhe mit perfektem Vibrato. Die Stimme besitzt eine unglaubliche Intensität, Ausdruckskraft, Einfühlungsvermögen und klingt total unerschöpflich. Jeder Ton und jede Phrasierung ist im kleinsten Detail durchdacht, und alles kommt gerade vom Herzen heraus. Wie sie die mütterliche Leidenschaft, die Liebe und die glühende Rache sowohl musikalisch als auch dramatisch authentisch darstellt, ist unfassbar. Besser geht es einfach nicht: Sonya Yoncheva IST Medea.
Obwohl sie nur die Nebenrolle der Dircé singt, zeigt die junge französische Sopranistin Elsa Dreisig erneut, dass sie eine einzigartige Begabung hat, und dass sie in einigen Jahren als eine der besten Sopranistinnen betrachtet werden wird. In ihrer Arie am Anfang der Oper brilliert sie mit ihrem symphatischen, schwellenden Klang und schmiedet wunderschöne glitzernde Gesangslinien aus Gold in den Saal.
Als Jason ist der amerikanische Tenor Charles Castronovo überzeugend. Sein Spinto-Tenor passt zu der Rolle eigentlich sehr, jedoch klingt er oft unfrei, da er zu viel aus dem Hals singt. In der Rolle des Créon bietet der schottische Bass-Bariton Ian Peterson, der vor ein paar Jahren den Wotan mit Daniel Barenboim im Schiller Theater gesungen hat, eine sehr schöne Leistung mit seinem warmen, cremigen Klang.
Die Staatskapelle Berlin bietet unter ihrem Maestro Daniel Barenboim ein frisches, wohlfließendes Spiel voller Präzision und Spannung. Insbesondere brillieren die Holzbläser an diesem Abend. Durch fast die ganze Oper spürt man die starken Gefühle, die Cherubini in diese Partitur hineingesteckt hat: Wut, Tragödie, Liebe und Rache. Allerdings fehlt es ein wenig an Dramatik am Ende des 1. Aktes, aber insgesamt ist es eine tolle Leistung aus dem Orchestergraben. Auch hervorragend ist die Kommunikation mit den Sängern auf der Bühne – Barenboim lässt die Sänger nie übertönen.
Das einzige, was an diesem musikalisch gesehen wunderbaren Abend scheitert, ist die Inszenierung. Andrea Breth und ihrem Team gelingt es nicht, den psychologisch grauenhaften Kern dieser Oper zu treffen. Zwar ist die Personenregie durchdacht und überzeugend, das ganze harmonisiert jedoch weder mit dem Libretto noch mit der Musik. Alles spielt in einem nichtssagenden Lagerkeller auf einer Drehbühne (Bühnenbild von Martin Zehetgruber), in dem die Handlung verlorengeht. Am Ende bleiben leider viele Fragen unbeantwortet.
Glücklicherweise kann die Heldin des Abends alles retten. So etwas wie die Verkörperung der Medea von Sonya Yoncheva erlebt man wirklich sehr selten im Leben. Man verlässt das Theater mit 40 Grad Fieber. Ihre Leistung als „Weltklasse“ zu beschreiben ist gar zu wenig – das ist einfach zu gut für diese Welt.
Yehya Alazem, 8. Oktober 2018, für
klassik-begeistert.de
Wer sang denn die Rolle der Neris, die eine berührende Arie hat? Oder wurde die im Besprechungsüberschwang vergessen? Simionato, Berganza, Cossotto sangen die Rolle in der Vergangenheit.
Fred Keller