Psychodrama zwischen Waldsee und Bungalow: Dvořáks „Rusalka“ an der Oper Halle

Antonín Dvořák, Rusalka,  Oper Halle, 25. Januar 2020

Foto: © Falk Wenzel

Oper Halle, 25. Januar 2020

Antonín Dvořák, Rusalka

von Guido Müller

Im Mittelpunkt des „lyrischen Märchens“, einer großen Romantischen Oper in drei Akten von Dvořák und Kvapil, das 1901 in Prag uraufgeführt wurde, steht ein Wassermädchen. Diese Rusalka sehnt sich nach einer Seele und der Menschenwelt. Sie will die kalte Unterwasserwelt des Wassermanns und ihrer Schwestern verlassen, um die Liebe eines Menschen für sich zu gewinnen. Dieser Mensch kommt als Prinz immer wieder an ihren Waldsee, um zu baden. Dort hat sich Rusalka als Welle in ihn verliebt.

Rusalka ist kein Eigenname sondern steht für die slawischen „Rusalky“, die deutschen Nixen, Undinen, Loreleien. Diese weiblichen Wassergeister symbolisieren in der Mythologie die dem Menschen Unheil bringenden Frauen aus einer anderen Welt. Sie werden oft mit den unverheiratet schwanger gewordenen jungen Frauen gleich gesetzt, die den Freitod im Wasser gesucht haben.

In dieser psychologischen Problemstellung hat die Inszenierung Veit Güssows ihren Ansatz. Dabei will er die bei Dvořák und Kvapil bereits vorhandene Anlage, gute Geisterwelt und böse Menschenwelt zu kontrastieren, also eine Umkehrung der ursprünglichen Mythologie, psychologisch und symbolistisch noch vertiefen.

Um sich in einen Menschen zu verwandeln geht Rusalka trotz der Warnungen des Wassermanns einen Handel mit der Hexe Jezibaba ein. Sie gibt der Hexe ihre attraktive Fischhaut und ihre Stimme. Damit beginnen die Tragik und das Psychodrama der Oper.

Foto: © Falk Wenzel

Der Prinz will Rusalka zunächst ehelichen. Doch aufgrund ihrer Kälte und Sprachlosigkeit wendet er sich von ihr ab und einer fremden Fürstin zu. Mit dem Betrug Rusalkas fordern das Wasservolk und die Hexe den Tod des Prinzen ein, da dies eine Bedingung des Handels mit der Hexe war.

Dem stellt sich Rusalka selbstbewusst entgegen. Damit wird aus der kalten Nixe eine freie Frau voller Leidenschaften und Sehnsüchte. Der Prinz hat mittlerweile den Verstand verloren und irrt zum Waldsee. Dort bittet er Rusalka um den todbringenden Kuss. Nach dem Tod des Prinzen im Waldsee betet Rusalka für die Erlösung ihrer Menschenseele durch Gott.

So wie Dvořák und Kvapil in ihrer Oper die mythologische Wasser- und Geisterwelt der Menschenwelt gegenüberstellen, setzt die Bühnenbildnerin Daniela Kerck einen riesigen, realistischen, im Laufe der Oper immer stärker verkümmernden Baumstumpf an einem Waldsee auf die Bühne, der für die Natur steht. Für die Moderne steht eine am Bauhaus orientierte Bungalowarchitektur mit variablen Vorhängen.

In diesem Bungalow wohnt nicht nur der Prinz mit Rusalka. Hier empfängt er auch die attraktive fremde Fürstin am Abend vor der Hochzeit, die ihn verführt. Dort vollzieht die Hexe als eine Art strenger Lehrerin oder Gouvernante einer sich ihr unterwerfenden Frauensekte auch die Menschwerdung Rusalkas. Im Bungalow unterzieht sich der Prinz aufgrund seiner Jagdträume nach einem weißen Reh einer gruppentherapeuthischen Sitzung, die in einen Gewaltexzess von ihm an den Frauen kumuliert.

Foto: © Falk Wenzel

An die Erkenntnisse Siegmund Freuds aus den 1890iger Jahren zur Traum- und Märchendeutung sucht die Inszenierung Veit Güssows immer wieder anzuknüpfen, um die stark erotisch geprägten Traumata der Figuren zu erhellen.

Die Auflösung dieser Verrätselungen gelingt allerdings nicht immer. Ist der Zuschauer nicht mit der Bedeutung der Rusalky vertraut, dürfte sich ihm die Erkenntnis des Balletts der jungen Mädchen mit den Föten in der Mitte des zweiten Aktes nicht erschließen (Choreografie des Ballettstudios der Oper Halle: Paloma Figueroa). Oder warum reicht eine dieser jungen Wassergeister am Ende der Oper nach dem spätromantisch-dramatischen Finalduett Rusalka ein Speiseeis?

Entsprechend des Regieansatzes singt und spielt Anke Berndt die Rusalka auch nicht mit dem lyrisch-silbrig-zarten Sopran einer jungen Märchennixe, sondern eher mit der hochdramatischen Anlage einer sich emanzipierenden Frau zwischen den Welten. Besonders glaubwürdig und packend ergreift Anke Berndt mit dieser Gestaltung musikalisch und darstellerisch im dritten Akt.

Foto: © Falk Wenzel

Ki-Hyun Park formt und singt den Wassermann mit allen Mitteln seines kultiviert und schön, mit der Hingabe allen lyrischen und dramatischen Ausdrucks geführten Basses, nicht nur in seiner großen Arie im zweiten Akt. Bereits vor vielen Jahren hat er mit dieser Arie in Prag den Dvořák-Preis und weitere Preise sehr verdient gewonnen. Ganz zu recht ist auch das Publikum in Halle von seiner Rollengestaltung besonders begeistert.

Der Tenor Matthias Koziorowski gefällt als Prinz vor allem in den lyrischen und feinen Passagen seiner Rolle. Im ersten und zweiten Akt tendiert er noch etwas dazu, seine kräftige Stimme zu laut zu forcieren. Das hat er überhaupt nicht nötig, wie dann das ergreifend gesungene Finale verdeutlicht.

Marlene Lichtenberg als Gast singt und spielt sowohl die Hexe wie die sich daraus verwandelnde fremde Fürstin mit stimmlicher Hingabe und großer körperlicher Präsenz. Robert Sellier als Heger und Jäger wie Vanessa Waldhart als Küchenjunge steuern ihr komisches Talent zu dieser eher düster-dramatischen Oper bei. Für Liudmila Lokaichuk, Yulia Sokolik und Regina Pätzer als Elfen sehen Regie und farbenfrohe Kostüme (Otto Krause) eine pointiert überdrehte Prise Erotik vor.

José Miguel Esandi leitet die Staatskapelle Halle pointiert und sängerfreundlich auch in den hochdramatischen Passagen. Den Damenchor führt souverän Johannes Köhler.

Zum Schluss sei noch angemerkt, dass die deutsche Textfassung von Bettina Bartz und Werner Hintze die Verständlichkeit je nach Vermögen der Sänger nicht immer erhöht. Sie klingt zudem doch deutlich hölzerner und härter als die tschechische Fassung, der auch bei dieser Oper der Vorzug zu geben ist. Die Schönheit der tschechisch gesungenen Sprache wurde durch den Tenor Matthias Koziorowski im Finale deutlich.

Das Publikum reagierte einhellig begeistert auf die Premiere. Das ist sicher auch dem Umstand zu schulden, dass diese Oper über eines der schönsten und am stärksten berührenden Finale der Geschichte der romantischen Oper verfügt.

Guido Müller, 27. Januar 2020, für
klassik-begeistert.de

Inszenierung: Veit Güssow

Musikalische Leitung: José Miguel Esandi

Bühnenbild: Daniela Kerck

Kostüm: Otto Krause

Dramaturgie: Kornelius Paede

Choreografie: Paloma Figueroa

Choreinstudierung: Johannes Köhler.

Deutsche Übersetzung von Bettina Bartz und Werner Hintze.

 

2 Gedanken zu „Antonín Dvořák, Rusalka,
Oper Halle, 25. Januar 2020“

  1. Scheint recht interessant zu sein,zumal sich gerade ein Vergleich mit der aktuellen Leipziger Neuinszenierung anbietet.
    Ein Wort irritiert mich: „Rusalka betet um die Erlösung ihrer Menschenseele“ – bloß ein Versehen oder ist das so?
    Dann widerspräche es dem Text: „Za vsecko, cím klet je osud muj, lidska duse, Buh te pomiluj!“ Sie betet also für die Seele des Prinzen!

    Klaus Thiel

    1. Vielen Dank für Ihr Interesse an der Premiere und meine Kritik wie Ihren Hinweis auf das tschechische Original. Ich habe mich dabei auf die deutsche Übersetzung gestützt, die in der Oper gesungen wird. Das wäre nun also eine Frage an die beiden Übersetzer, deren Text mir nicht vorliegt.

      Guido Müller

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