Kent Nagano © Felix Broede
An der Hamburgischen Staatsoper endet diese Tage die Ära von Kent Nagano. Schon jetzt ist klar, Hamburg verliert einen glühenden Advokaten zeitgenössischer Musik wie auch einen großen Interpreten französischen Repertoires. Da mag es überraschen, dass der Generalmusikdirektor sich ausgerechnet mit Wagners Oper Tristan und Isolde verabschiedet. Doch diese Wahl war kein Zufall. Wenn man doch bloß der Isolde einen gescheiten Tristan zur Seite gestellt hätte, es wäre ein Wagner-Fest gelungen.
Richard Wagner, Tristan und Isolde
Philharmonisches Staatsorchester Hamburg
Chor der Hamburgischen Staatsoper
Kent Nagano, Dirigent
Hamburgische Staatsoper, 9. Juni 2025
von Jörn Schmidt
Kent Naganos ästhetische Prägung passe nicht zum deutschen spätromantischen Repertoire, war eine oft gehörte Kritik. In Hamburg, aber auch schon in München. Passt eine feinnervige musikalische Rhetorik vielleicht besser zu französischer Oper?
Entkleidet die Präzision, mit der Kent Nagano Uraufführungen und moderne Musik dirigiert, Wagners Überwältigungsmusik vielleicht ihrer emotionalen Wucht? Mitnichten. Wo keine strikte Disziplin herrscht, kehren Schlendrian und Mittelmaß ein.
Und dem Tristan-Akkord, dem steht Naganos französiche Feinnervigkeit blendend. Claude Debussys Oeuvre hätte ohne diesen harmonisch undurchsichtigen Akkord, und wie Wagner ihn auflöst, möglicherweise eine weniger geniale Richtung genommen.
Nagano hat jede einzelne Stimme der komplexen Partitur durchdrungen. Und münzte das in ein nicht prunkvolles, sondern hochelegantes Klangbild um. Künstlerische Wahrhaftigkeit statt Glamour. Die Emotionen echt statt aufgesetzt.
Ebenso vornehm waren die Klangfarben gestaffelt, speziell in den Holzbläsern. Den Streichern war Schwermut in unzähligen Facetten, zuweilen auch Zurückhaltung verordnet. Was dann zugelassenen kraftvollen Steigerungen mehr Nachdruck und Ekstase verlieh.

Überhaupt, Spielkultur und Spielfreude des Philharmonischen Staatsorchesters Hamburg haben in den letzten zehn Jahren merklich zugelegt. Auch dafür steht die Ära Nagano.
René Pape als König Marke passte wunderbar in Naganos Konzept, sein mächtiger Bass erdete den filigranen Orchesterklang. Auf dem Papier war Catherine Foster desgleichen die perfekte Isolde, ein großartiges Abschiedsgeschenk an Kent Nagano.
Allein, der Foster-typische Glanz fehlte. Vielleicht vermisste die Sopranistin schlichtweg einen Tristan, der inspiriert und an dem sie sich abarbeiten konnte. Simon O’Neill (Tenor) hatte einfach nicht die Kragenweite der Foster.
Zu leise, zu wenig Volumen und so gar nicht verliebt. Als ob schon trister Alltag in die Beziehung gekommen wäre und man sich nichts mehr zu sagen hat.
Brangäne und Kurwenal waren mit Katja Pieweck (Sopran) und Christoph Pohl (Bariton) stimmlich bestens besetzt, konnten den vom Tenor angerichteten Schaden indes nicht kompensieren. Eheberatung stand nicht im Jobprofil…

Im September tritt Omer Meir Wellber die Nachfolge von Kent Nagano an. Mit Robert Schumann, Das Paradies und die Peri. Das ist auch eine Ansage. Aber wie verabschieden sich große Dirigenten in Hamburg? Mit einem umwerfend dirigierten Jahrhundertwerk. Nagano und Tristan, das passt perfekt.
Jörn Schmidt, 10. Juni 2025, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
Richard Wagner, Tristan und Isolde Hamburgische Staatsoper, 29. Mai 2025
Klein beleuchtet kurz 58: Tristan und Isolde Staatstheater Cottbus, 1. Mai 2025
Richard Wagner, Tristan und Isolde Theater Lübeck, 19. April 2025