Pathys Stehplatz (47): Was ist die Hauptzutat einer guten Kritik?

Diana Damrau als Königin der Nacht © Royal Opera House

Alles richtig, bis ins kleinste Detail zerpflückt. Die Vorstellung, das sei der Kern einer guten Kritik, ist nur bedingt zu unterschreiben. Unabhängig davon, dass Kritik sowieso subjektiv ist, legt jeder seinen Focus noch dazu auf unterschiedliche Aspekte. Historische Aufführungspraxis, Technik oder feinstoffliche Energien wie Spannung und Harmonie zum Beispiel. Die Quintessenz einer Kritik liegt sowieso woanders.

von Jürgen Pathy

„Hiermit erlaube ich mir, Sie auf die Kritik über Guillaume Tell von Herrn Prochazka aufmerksam zu machen. Wenn Sie so weit sind, eine solche bis ins Detail fundierte Kritik zu verfassen, werden Sie nicht mehr als Blogger gelten, sondern als Kritiker.

Worte, die zugegeben, am Ego einer Person kratzen könnten. Aber genauso die Motivation ankurbeln, der eifrigen Kommentatorin zu vermitteln, was meine Vision der Kritik ist. Und meine tiefe Überzeugung davon, was Kritik heutzutage schaffen muss.

„Pathys Stehplatz (47) – Was ist die Hauptzutat einer guten Kritik?
klassik-begeistert.de, 27. März 2024“
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„Die Schule der Liebhaber“ – die Welsh National Opera nimmt Mozarts „Così“ beim Wort

WNO-Così fan tutte, Rebecca Evans-Despina © Elliott-Franks

Lorenzo Da Ponte, Mozarts genialer und erfolgreichster Librettist seiner drei Glanzwerke, mit Spitznamen „Mozarts jüdischer Priester“, geboren im Ghetto von Ceneda, noch im Alter von 11 weder des Lesens noch des Schreibens kundig, hätte für diese Oper statt „Così fan tutte“ den umständlichen Titel „Schule der Liebhaber“ vorgezogen. Es blieb aber beim Untertitel.

Wolfgang Amadeus Mozart, Così fan tutte
(„So machen sie’s, oder: Die Schule der Liebhaber“)
Libretto: Lorenzo Da Ponte

Welsh National Opera WNO, 23. März 2024
Gastspiel in Southampton, Mayflower Theatre,  italienische Originalsprache

von Dr. Charles E. Ritterband

Die Welsh National Opera – unter Kennern weltweit längst kein Geheimtipp mehr – hat jedoch diesen Untertitel zum Thema ihrer brillanten „Così“-Produktion (Inszenierung: Max Höhn) gemacht: Bühnenbild ist ein nüchternes Schulzimmer, hinter der Wandtafel verbirgt sich die Schulkantine, welche den üblichen englischen Kantinenfrass anzubieten hat – bedient von Despina, die als pfiffige Putzfrau und Faktotum amtiert. „Wolfgang Amadeus Mozart, Così fan tutte
Welsh National Opera WNO, 23. März 2024“
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Die English National Opera ENO erschüttert mit ihrer faszinierenden „Jenůfa“

The Cast of ENOs-Jenůfa 2024 © Ellie Kurttz

Die „Jenůfa“ der ENO, eine Produktion aus dem Jahr 2006 (David Alden, mit zwei „Olivers“ preisgekrönt) erweist sich bei ihrer Wiederaufnahme fast zwei Jahrzehnte später als genau vital, erschütternd und in der aktuellen Besetzung schauspielerisch und stimmlich als nicht minder herausragend.

JENŮFA
von Leoš Janáček
English National Opera,  London Coliseum, 25. März 2024 in englischer Übersetzung
Wiederaufnahme der Produktion von 2006

von Dr. Charles E. Ritterband

Das karge aber ausdrucksstarke Bühnenbild (Charles Edwards) gibt in seiner post-kommunistischen Tristezza und Ärmlichkeit den adäquaten Rahmen für das erschütternde Drama dieser verzweifelten Frau zwischen zwei rivalisierenden Brüdern und dominiert von ihrer bigotten, mörderischen Stiefmutter Kostelnicka. „Leoš Janáček, Jenůfa
London Coliseum, 25. März 2024“
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Der Zauberer des Abends stand im Graben

Camilla Nylund (Die Kaiserin), Evelyn Herlitzius (Die Amme), Damen des Sächsischen Staatsopernchores © Semperoper Dresden/Ludwig Olah

Die Aufführung endete mit tosendem Applaus und Ovationen, gefühlt unendlich lang. Wir werden diese geniale Aufführung von „Frau ohne Schatten“ nie vergessen.

Die Frau ohne Schatten
Richard Strauss, 10. Oktober 1919,
Libretto von Hugo von Hofmannsthal

Inszenierung: David Bösch
Bühnenbild: Patrick Bannwart
Kostüme: Moana Stemberger
Licht: Fabio Antoci
Video: Falko Herold und Patrick Bannwart

Dirigent: Christian Thielemann

Sächsische Staatskapelle Dresden
Sächsischer Staatsopernchor Dresden
Kinderchor der Semperoper Dresden

Semperoper Dresden, Premiere 23. März 2024


von Olaf und Brigitte Barthier

Nach dem Ende des Ersten Weltkrieges wurde nach über 30 Bühnenproben an der Wiener Staatsoper dieses Stück am 10. Oktober 1919 uraufgeführt. Der damalige Operndirekter Richard Strauss überantwortete die musikalische Leitung an Franz Schalk.

„Richard Strauss, Die Frau ohne Schatten
Semperoper Dresden, Premiere 23. März 2024“
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Nachkontrolle – Verdi revisited

Il Trovatore © Brinkhoff-Mögenburg

Die Premiere vor zwei Wochen scheint ja in Buh-Rufen untergegangen zu sein, wie auf diesen Seiten zu lesen war. Grund genug für mich, der Sache  auf den Grund zu gehen…

Il Trovatore
Musik von Giuseppe Verdi
Libretto von Salvadore Cammarano nach Antonio García Gutiérrez

Staatsoper Hamburg, 23. März 2024

 von Harald Nicolas Stazol

und in Nullkommanix stellt mir die Direktion dankenswerterweise und meine Neugier befriedigend ein Ticket zur Verfügung. Nichts also, wie ab, in die dritte Vorstellung, was soll man sich an einem Samstag-Abend schon Sinnvolleres vornehmen, her mit dem Anzug, raus mit dem Hemd, rum die Krawatte, ab in den Bus und also: Vorhang auf! Staatsoper Hamburg, Verdis, „Il Trovatore“.

„Die Oper ist eher holzschnittartig“, sagt mir der junge Mann, der es sich im Schneidersitz auf der Fensterbank oben im Foyer bequem gemacht hat samt seiner Freundin. Schneidersitz?  Holzschnittartig? Unerhört! Aber jetzt bin ich wirklich gespannt wie ein Flitzebogen. Und schon gehts los!

„Giuseppe Verdi, Il Trovatore
Staatsoper Hamburg, 23. März 2024“
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Klein beleuchtet kurz Nr 25: Bizets Carmen in der Elbphilharmonie mal so ganz anders

Bizet, Carmen Ensemble; Foto Patrik Klein

Halbszenische Carmen mit einer Titelheldin zum Niederknien

Eines war gewiss an so einem Abend in der Elbphilharmonie Hamburg: über eine schwache Inszenierung, wie sie gelegentlich an anderen Orten der Stadt zu erleben war, musste man sich bei dieser konzertanten, halbszenischen Version nicht ärgern. Das macht die Intendanz des Hauses sehr erfolgreich, indem sie große Opern mit geeigneten Solisten, Chören und Orchestern auf das Podium hebt; und das mehrere Male pro Saison.

Gestern Abend gab es eine ganz besondere Version von Bizets Gassenfeger Carmen. „Klein beleuchtet kurz Nr 25: Bizets Carmen in der Elbphilharmonie mal so ganz anders
Elbphilharmonie, 25. März 2024“
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DIE DIENSTAG-PRESSE – 26. MÄRZ 2024

Evelyn Herlitzius (Die Amme), Miina-Liisa Värelä (Baraks Frau) in Strauss’ „Die Frau ohne Schatten“ an der Semperoper © Semperoper Dresden/Ludwig Olah

Für Sie und Euch in den Zeitungen gefunden
DIE DIENSTAG-PRESSE – 26. MÄRZ 2024

Dresden/Semperoper
Grandioses Märchen der Moderne
(Dresden, 23.3.2024) Christian Thielemann offenbart in seiner letzten Neuproduktion an der Semperoper, wie unglaublich differenziert sich die Partitur auffächern lässt. Musik und Szene harmonieren bestens an diesem erfüllenden Opernabend, da Regisseur David Bösch sich ganz auf die Menschwerdung der Kaiserin konzentriert.
Concerti.de

Kommentar
Klassikwoche: Muss das sein, Herr Müller?
Heute mit einem fatalen Münchner Narrativ, mit Orchester-Solidarität in den USA , Buhrufen in Hamburg und einer großartigen Elektra!
crescendo.de

Salzburg
„La Gioconda“ punktet in Salzburg mit Netrebko und Kaufmann
DerStandard.at/story

„DIE DIENSTAG-PRESSE – 26. MÄRZ 2024“ weiterlesen

Ein unschlagbares Team beschert im „Siegfried“ und der „Götterdämmerung“ ungetrübtes Wagner-Glück

Andreas Schager (Siegfried), Stephan Rügamer (Mime) © Monika Rittershaus

Das war eine Leistung für die Ewigkeit, das Publikum dankte es ihr, und allen Beteiligten, mit frenetischem Jubel. Philippe Jordan und die blendend disponierte Staatskapelle feierten einen verdienten Triumph, es geht also auch ohne Christian Thielemann!

Siegfried

Zweiter Tag des Bühnenfestspiels
DER RING DES NIBELUNGEN (1876)
Text und Musik von Richard Wagner

Staatsoper Unter den Linden, 21. März 2024


Götterdämmerung

Dritter Tag des Bühnenfestspiels
DER RING DES NIBELUNGEN (1876)
Text und Musik von Richard Wagner


Staatsoper Unter den Linden,
24. März 2024

von Peter Sommeregger

Der „Siegfried“ steht selbst bei eingefleischten Wagnerianern nicht unbedingt ganz oben in ihrem persönlichen Ranking. Die sehr lange, streckenweise statische Opernhandlung fordert auch vom Publikum hohe Konzentration und Sitzfleisch.

Erlebt man allerdings eine so geschlossene Aufführung wie im aktuellen Zyklus Unter den Linden, so relativiert sich das schnell. Dmitri Tcherniakovs Inszenierung reduziert die Optik erneut auf den Kern der menschlichen Interaktionen. Ein Kabinettstück ist die geifernde Auseinandersetzung zwischen dem Wanderer und Alberich, beide vom Alter gezeichnet und mit Gehhilfen auf der Drehbühne unterwegs. Rastlos irren sie durch die verlassenen Räume und Gänge des Forschungsinstitutes Esche. Man könnte Einsamkeit und Vereinzelung kaum besser optisch beschreiben. „Ring-Zyklus I, Richard Wagner, Siegfried und Götterdämmerung
Staatsoper Unter den Linden, 21. und 24. März 2024“
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Charles Court Opera London brilliert mit einer umwerfenden „Barber of Seville“-Parodie

The Barber of Seville, Wilton’s Music Hall (Foto Dr. Charles Ritterband)

Der „Barbier von Sevilla“ – Rossinis spritzigste, meist gespielte und daher bekannteste Oper – statt in Sevilla in einem Saloon tief im Wilden Westen, mit Cowboys, Gangstern und einem Sheriff: wie soll denn das gehen? Es geht nicht nur, es überzeugt und brilliert!

Der „Barbier“ ist ja bereits eine turbulente Komödie mit Elementen aus der „Commedia dell’arte“, parodistischen Anspielungen auf die Tragik der „Opera seria“ – weshalb denn nicht dieses so humorvolle Stück eine parodistische Ebene weiter hinauf katapultieren, von Sevilla in den Wilden Westen! Es funktioniert, da intelligent und konsequent bis ins letzte Detail durchgearbeitet, mit Sängerinnen und Sängern, die nicht nur musikalisch Hervorragendes leisten, sondern mit überschäumender Spielfreude und großartiger, ja kaum zu bremsender komödiantischer Begabung und bestem englischen Humor das Ganze in Schwung bringen und das Publikum zu frenetischem Applaus hinreißen.

Die kleine englische „Charles Court Opera“ hat das geschafft – und beschämt gleichsam mit ihrer fulminanten Produktion die Heerscharen von autistischen Regisseuren des aktuellen „Regietheaters“ mit ihren bisweilen geradezu schwachsinnigen Umsetzungen altbewährter Opern.

Dort gäbe es nur den vehementen Zuruf: „Lasst die Finger davon!“. Solchen Regisseuren fehlt nicht nur die kritische Selbstdistanz, sondern auch der Humor. Und den gab es in diesem englischen Wildwest-Barbier in Hülle und Fülle…

Gioachino Rossini
The Barber of Seville
(in englischer Übersetzung)

Regie: John Savournin
Musikalische Leitung, englische Fassung und Piano: David Eaton

Charles Court Opera, Wilton’s Music Hall, London, 22. März 2024

Figaro: Jonathan Eyers
Graf Almaviva: Joseph Doody
Rosina: Samantha Price
Bartolo: Matthew Kellett
Basilio: Hugo Herman-Wilson
Berta: Ellie Laugharne
Fiorello/Sheriff: Arthur Bruce

von Dr. Charles E. Ritterband

Allein schon die Spielstätte ist ein Ereignis: Wilton’s Music Hall, rund 10 Gehminuten vom Tower of London entfernt,  wurde vor immerhin 173 Jahren gegründet und ist somit eine der ältesten, immer noch intensiv genutzten Spielstätten Londons. Der denkmalgeschützte, rohe Backsteinbau, gelegen in einem unscheinbaren Gässchen, hat Patina, viel Atmosphäre und ist sogar ziemlich „spooky“ gespenstisch in einer sehr englischen Art. Der ovale Saal mit seinen herrlichen, gedrechselten Holzsäulen und den Fresken indischer Tänzerinnen bietet rund 350 Zuschauern Platz. „Rossini, The Barber of Seville (in englischer Übersetzung)
Charles Court Opera, Wilton’s Music Hall, London, 22. März 2024“
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Die Choreographin Yolanda Morales identifiziert sich auf Kampnagel mit austrocknenden Mooren

Yolanda Morales (ganz links) mit ihrem Ensemble (Foto: RW)

Assoziativ dachte ich an die evolutionäre Entwicklung des Lebens, an die Schöpfungsgeschichte. Anfangs gelangt das Leben aus dem Nebelmeer (resp. dem Moor) an Land, richtet sich auf, beginnt mit Lauten zu kommunizieren und erreicht mit dem Schöngesang der einen Tänzerin den entwicklungsgeschichtlichen Höhepunkt.

I want to be a swamp

Choreographie: Yolanda Morales
Musik: Dong Zhou, Kostümbild: Lea Theres Lahr-Thiele
K3 – Zentrum für Choreographie / Tanzplan Hamburg

TanzHochDrei Festival 2024

Hamburg, Kampnagel k4, 23. März 2023

3. Aufführung nach der Uraufführung, 20. März 2024

von Dr. Ralf Wegner

Erst kurz nach 21 Uhr wurde die Halle k4 geöffnet, und sie war mit ca. 100 Zuschauern auch voll besetzt. Allerdings gab es keine Stühle, sondern Kissen auf dem Boden und Treppenstufen, auf denen man sich niederlassen konnte. Die vier Tänzerinnen (Yolanda Morales, Sakshi Jain, Beatriz Silva Aranda, Joana Kern) und ein Tänzer (Anand Dhanakoti) waren schon beim Arbeiten. In Theater-Nebelschwaden wanden sie sich lemurenhaft auf den Hüften, später auch auf den Knien rutschend, wie in Zeitlupe, am Boden entlang, manchmal nur die Köpfe aus dem Nebel streckend. Es waren Klickgeräusche zu hören, später meinte man, auch ein Froschquaken zu vernehmen.

„TanzHochDrei Festival 2024, I want to be a swamp
Hamburg, Kampnagel k4, 23. März 2024“
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