Liliom, eine grandiose Choreographie (John Neumeier), eine grandiose Musik (Michel Legrand) und ein großartiges Ensemble

Ballett Liliom, Wiederaufnahme beim Hamburg Ballett,  Hamburgische Staatsoper, 20. Februar 2022

Wiederaufnahme beim Hamburg Ballett,
Hamburgische Staatsoper, 20. Februar 2022

Eines der zentralen Höhepunkte ist das Arbeiterballett am Ende des ersten Teils. Von stakkatoartigen Rhythmen getrieben stampfen, sprin­gen und kämpfen 22 Jobsuchende um die wenigen freien Stellen bei der Arbeitsvermittlung. Allein schon dieser Einschub lohnt den Besuch dieses Balletts.

Foto: Louis Musin (Louis), Alina Cojocaru (Julie), John Neumeier (Choreographie, Kostüme und Licht), Nathan Brock (musikalische Leitung), Karen Azatyan (Liliom), Anna Laudere (Frau Muskat), Florian Pohl (der Mann mit den Luftballons), Nicolas Gläsmann (Konzipist im Jenseits), Aleix Martinez (Ficsur) (Foto R.W.)

von Dr. Ralf Wegner

Das Ballett Liliom verliert auch nach mehrfachem Sehen nichts von seiner Kraft. Vielmehr gewinnt es mit jeder neu erlebten Aufführung. Die Handlung basiert auf einem Theaterstück des ungarischen Autors Ferenc Molnár. Ein Kirmesgi­go­lo (Liliom), Geliebter der Karussellbesitzerin Frau Mus­kat, findet an dem schüchternen Serviermädchen Julie Gefallen. Er schwängert sie, begreift, dass er kei­ne Mittel und wohl auch nicht den Willen hat, eine Familie zu unterhalten. Er beraubt mit dem Gangster Ficsur Frau Muskat, wird von der Polizei überwältigt und ersticht sich. Im Vorhimmel bereut er seine Taten und darf auf die Erde zurück. Er begeht dieselben Fehler wie vorher.

Neumeier kreierte mehr als 12 wichtige Rollen, von Liliom (Karen Azatyan) und Julie (Alina Cojocaru) über Julies Freundin Marie (Emilie Mazoń) und derem Verehrer Wolf Beifeld (Alessandro Frola) zu Louis, Lilioms Sohn (Louis Musin) und Frau Muskat (Anna Laudere), Ficsur (Aleix Martinez) sowie dem Julie bedrängenden Ma­trosen (Artem Prokopchuk), um nur die wichtigsten zu nen­nen. Als bindendes Glied der Handlungsstränge fun­giert mit ge­dehn­ten Bewegungen ein Mann mit Luftballons (Florian Pohl).

Aleix Martinez (Ficsur) (Foto: R.W.)

Am meisten beeindruckten mich der darstellerisch großartige Aleix Martinez mit einer geradezu widerwärtig authentischen Präsenz als feiger, sich ständig die Nase mit den Fingern säubernder Räuber Ficsur und die schöne Anna Laudere, die der Karussellbesitzerin Frau Muskat ein ausgesprochen erotisches Flair verlieh. Die beiden Pas de deux mit Azatyan als ihr Geliebter knisterten vor innerer Spannung, was man von Lilioms Beziehung zu Julie nicht sagen konnte. Schwierig zu erkennen, was beide verbindet. Er liebt sie wohl, zumindest ein wenig, sie ihn aber umso deutlicher mit sklavischer Ergebenheit, häusliche Gewalt und Fremdgehen ohne Zagen erduldend. Man möchte Julie manchmal rütteln oder zerren, damit sie ihr selbst gewähltes Schneckenhaus verlässt und auch einmal aufbegehrt.

Großartig sind die Va­ter-Sohn-Szenen choreographiert und von Azatyan und Musin ebenso überzeugend getanzt. Die ausdrucksstarke Emilie Mazon, die man sich auch gut als Julie vorstellen könnte, und Alessandro Frola als aufstrebender Wolf Beifeld bildeten zudem ein reizen­des, den Frohsinn, der auch in dem Stück steckt, unterstreichendes Paar.

Neben den solistischen sind auch die Leistungen des En­sembles großartig. Eines der zentralen Höhepunkte ist das Arbeiterballett am Ende des ersten Teils. Von stakkatoartigen Rhythmen getrieben stampfen, sprin­gen und kämpfen 22 Jobsuchende um die wenigen freien Stellen bei der Arbeitsvermittlung. Allein schon dieser Einschub lohnt den Besuch dieses Balletts.

Florian Pohl, Alina Cojocaru, Karen Azatyan und Louis Musin (Foto: Kiran West)

Die Hamburger Phil­harmoniker und die auf der Hinterbühne pos­tierte NDR Bigband spielten unter der Leitung von Nathan Brock. Es war eine Freude, der als Auftragswerk für dieses Ballett ge­schaffenen Musik des französischen Komponisten Mi­chel Legrand zuzuhören, sie passte zur Choreo­gra­phie wie sinnbildlich der richtige Deckel zum Topf. Lang anhaltender Jubel für alle Mitwirkenden.

Dr. Ralf Wegner, 22. Februar 2022, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

John Neumeiers Ballett Beethoven-Projekt II, Hamburgische Staatsoper, 6. Februar 2022

Hamburg Ballett, Tod in Venedig, John Neumeier, Staatsoper Hamburg, 19. Januar 2022

 

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