Giacomo Meyerbeer, Dinorah ou Le Pardon de Ploërmel (konzertant)
von Peter Sommeregger
Man muss der Deutschen Oper durchaus dankbar sein, dass sie sich den Werken des Komponisten Giacomo Meyerbeer so engagiert widmet. Lange waren seine umfangreichen Grand Operas von allen Spielplänen verschwunden, galten als veraltet und schwer aufführbar. Dabei war Meyerbeer Berliner, ist auch hier begraben, und die Wiederaufführung seiner Werke scheint ein Anliegen der Leitung des Hauses zu sein. „Giacomo Meyerbeer, Dinorah, Deutsche Oper Berlin, 4. März 2020“ weiterlesen
Allein die Arie „La mamma morta“, die nicht länger als FÜNF Minuten dauert, ist die ganze Reise aus der schwedischen Hauptstadt Stockholm nach Berlin wert, und für die würde ich sogar zum Mond fliegen.
Foto: Yehya Alazem und Anja Harteros in der Deutschen Oper Berlin, (c) klassik-begeistert.de
Deutsche Oper Berlin, 18. Januar 2020 Umberto Giordano, Andrea Chénier
von Yehya Alazem
„La mamma morta“ („Sie haben meine Mutter umgebracht“)… so heißt die großartige Arie der Maddalena in Umberto Giordanos Oper Andrea Chénier. Wenn ich diese Arie von einer guten Sopranistin höre, frage ich mich immer, ob es für dieses Stimmfach (Spinto-Sopran) eine Arie gibt, die eine größere Lebenskraft hat als diese.„Umberto Giordano, Andrea Chénier, Deutsche Oper Berlin, 18. Januar 2020“ weiterlesen
Deutsche Oper Berlin, 12. Januar 2020
Leos Janacek, Jenufa
Foto: Bettina Stöß (c)
Steva Buryja Ladislav Elgr Laca Klemen Robert Watson Die Küsterin Evelyn Herlitzius Jenufa Rachel Harnisch Inszenierung Christof Loy Dirigent Donald Runnicles
von Peter Sommeregger
Diese Inszenierung von Janaceks erfolgreichster Oper stammt bereits aus dem Jahr 2012. Kritik und Publikum reagierten damals positiv, die Produktion ist schon länger auch auf DVD erhältlich. Der Blick ins Programmheft zeigt aber, dass diese Wiederaufnahme erst die insgesamt 10. Aufführung dieser Inszenierung ist.
Christof Loy, inzwischen fast schon der Hausregisseur der Deutschen Oper Berlin, hat einen etwas eigenwilligen Ansatz für das Stück. Obwohl die Handlung und ihre Figuren fest ins ländlich-bäuerliche Milieu eingebunden sind, zäumt er das Pferd sozusagen von hinten auf. Wir sehen zu Beginn die Küsterin bereits in Haft, sie erlebt die Handlung gleichsam retrospektiv. Dazu öffnen sich immer wieder kleinere, mal größere Segmente des weißen Bühnenhintergrundes und geben den Blick auf die ländlichen Szenen frei. Das ist nicht ohne Reiz. Warum allerdings Jenufa und die Großmutter in eleganten Pumps mit hohen Absätzen agieren müssen, die Männer teilweise Schlips und Kragen tragen, ist schwer nachvollziehbar. Sie alle scheinen in einem modebewussten Dorf zu leben. „Leos Janacek, Jenufa Deutsche Oper Berlin, 12. Januar 2020 “ weiterlesen
Wer hätte das gedacht? Eine Repertoirevorstellung an der Deutschen Oper Berlin zu Jahresende wird zu einer der beglückendsten Berliner Opernerfahrungen des ablaufenden Jahres. In der 40. Vorstellung seit der Premiere am 8. September 2013 bildet Keith Warners Inszenierung, optisch im Industriezeitalter des 19. Jahrhunderts angesiedelt, mit all den Druckmaschinen, Eisenleitern und schweren Metallmauern noch immer einen dramaturgisch brauchbaren Rahmen für diesen frühen Verdi mit ihrer „immensen, ungezähmten, brutalen und wilden Energie des Lebens“.
Vor allem aber ist musikalisch und sängerisch von einem ereignisreichen Abend zu berichten. Das beginnt mit dem italienischen Dirigenten Carlo Montanaro, der das Orchester der Deutschen Oper Berlin zu einer Spitzenleistung animiert. Die Partitur des Nabucco ist wohl diejenige, die von den frühen Werken dem genialen Wurf des „Macbeth“ wohl am nächsten steht. In diesem Werk um die Hybris eines sich zum Gott erhebenden babylonischen Herrschers steht am Ende dessen Bekehrung und Verzeihen. Das Orchester muss also die wilden mit Trompeten, Pauken und archaischen Rhythmen brüllenden Eifersüchteleien und den Machtrausch der Abigaille genau so effektvoll unterlegen können wie die zärtlichsten Piani – Arie des Nabucco im vierten Akt und die Schlusssequenz „Ah, torna Israello“.
Montanaro vermag vor allem mit einer ausgetüftelten Temporegie zu überzeugen. Neben lyrisch blühenden Bögen drückt er bei all den Strettas und knackigen Ensembleszenen ordentlich aufs Gas. Das erzeugt eine beeindruckenden Binnenspannung, wirkt aber dennoch dank gekonnt gesetzter Rubati nie banal. Zu einem kammermusikalischen Wunder meilenweit abseits aller Umtata-Banaliät gerät sogar der ach so abgedroschene Gefangenenchor „Va pensiero, sull‘ali dorate“, den Montanaro ganz leise klangvoll mit dem gestern auch bestens disponierten Chor der Deutschen Oper Berlin als delikat intimes Stück serviert.Der Schlussakkord lässt Montanaro a cappella lange nachhallend im Raum stehen.
In der Titelpartie war der mongolische Bariton Amartuvshin Enkhbat zu hören. Wir haben es hier endlich wieder einmal mit keinem Kavaliersbariton, der sich dramatisch aufplustert, zu tun, sondern Enkhbat ist ein heldisch disponierter genuin im italienischen Fach verankerter Bariton, der für Partien wie Rigoletto, Luna oder eben Nabucco alle Vorzüge bietet, die diese Rollen verlangen: Dramatischer Biss, „unendliche“ Höhe, männliche Tiefe, Samt in der Mittellage, füllige Piani und über allem ein stilistisch treffsicheres, elegantes Phrasieren. Die Wandlung vom königlichen Monster zum menschlich anteilnehmenden Zeitgenossen gelingt ihm sowohl darstellerisch als auch mit bloßen Mitteln der Farb- und Tongebung seiner überaus wohlklingenden Stimme mehr als überzeugend. Seit den Tagen Renato Brusons am Zenit seiner Kunst habe ich nicht mehr solch eine Verdi-Stimme, bei der noch dazu jedes Wort verständlich artikuliert ist, gehört.
Kaum weniger beeindruckend war Anna Pirozzi in der eigentlich unsingbaren Partie der Abigaille, Sprössling des Nabucco mit einer Sklavin. Die wunderbar individuell timbrierte dramatische Sopranistin begeht dabei nicht den Fehler, die wohl längste Partie der Oper durchzubrüllen – wie andere das tun – sondern bemüht sich um Ausdruck, gestaltet Piani (wo sie hingehören) und beeindruckt auch mit einer sinnvollen Ausstattung der vielen vertrackten Verzierungen, gewaltigen Intervallsprünge und Ensembles mit dem punktgenau passenden affektiven Gehalt. Ein paar Schärfen in der extremsten Höhe (welche Abigaille-Interpretin hatte die nicht?) fallen angesichts solch einer insgesamt grandiosen Gesangsleistung kaum ins Gewicht. Sie durfte am Ende auch den größten Bravo-Jubel beim Solovorhang einheimsen.
Ihre Halbschwester und Gegenspielerin in Liebessachen Ismaele war mit der mädchenhaft wirkenden Jana Kurucová goldrichtig besetzt. Kurucová ist keine Abigaille II, sondern konnte mit ihrem schön timbrierten, hell-höhenlastigen Mezzo vom Stimmcharakter her den nötigen lyrischen Kontrast zu der dämonisch blutrünstigen Abigaille setzen.
In die Reihe der frischen balsamischen Stimmen fällt auch die Besetzung der Bass-Partie des Oberpriesters Zaccaria mit dem Finnen Mika Kares. DenHöhepunkt seiner Kunst setzte er mit einem mächtig georgelten “Oh, chi piange? Del futuro nel buio discerno“ mit Chor im dritten Akt. Kein Wunder, dass dieser auch stilistisch so überzeugende Sänger bei den Salzburger Festspielen 2020 im Don Giovanni unter Currentzis der Commendatore und in „I Vespri Siciliani“ (neben Domingo) der Giovanni da Procida sein wird.
Attilio Glaser verfügt in der für das zentrale Drama eher nebensächlichen Tenorwurzenpartie des Ismaele über das nötige Metall und die selbstverständlichen Höhen, um tarzanhaft auch in den Ensembles bestehen zu können. Einige Grade kultivierter und geschliffener könnte sein Vortrag allerdings schon sein.
In den kleineren Rollen erfreuten Padraic Rowan (Oberpriester des Baal), Gideon Poppe (Abdallo) und Aviva Fortunato (Anna). So wie sich das für ein allererstes Haus gehört!
Fotos: Markus Lieberenz (c)
Deutsche Oper Berlin, 25. Oktober 2019 Georges Bizet, Carmen
von Inge Boese
Liebe Berlinerin, lieber Berliner,
bei Euch ist, aus Hamburger Sicht, alles extremer, schneller, emotionaler.
Ick war bei Euch in der Oper der Opern – und ick mache es kurz: „Carmen“ in der Deutschen Oper Berlin an der Bismarckstraße war eine Offenbarung! Ein Festival für die Ohren! Eine Orgie für die Augen! Ein Sinnenstimmenfang.
Ihr Berliner könnt so glücklich sein, wenn Ihr Euch für klassische Musik interessiert. Ihr habt drei supertolle Opernhäuser: Die Deutsche Oper Berlin in Charlottenburg, die Staatsoper Unter den Linden in Mitte und die Komische Oper Berlin, auch in Mitte. „Georges Bizet, Carmen, Deutsche Oper Berlin, 25. Oktober 2019“ weiterlesen
Es ist ein kein Ende nehmen wollender, zäher und freudloser Abend!
Deutsche Oper Berlin, 8. September 2019 Giuseppe Verdi, Forza del Destino
von Peter Sommeregger
Schon der Beginn des Abends verheißt nichts Gutes: das wild bewegte Vorspiel zur Oper wird ziemlich trocken und undifferenziert dargeboten, die Bühne ist vollgestellt mit Gerümpel, an ihrem oberen Rand wird eine Video-Leinwand entrollt, auf der die Bühnenaktion verdoppelt gezeigt wird. Das kann nur eines bedeuten: Frank Castorf ist am Werk!
Es ist bemerkenswert, wie sehr sich dieser Miterfinder der neuen, destruktiven Theaterästhetik treu geblieben ist: man meint, sich auf einer Zeitreise in die Berliner Volksbühne der 1990er-Jahre zu befinden. Da werden stückfremde Texte optisch eingeblendet oder gesprochen, die gezeigten Videos lassen keinerlei Bezug zu der Handlung erkennen, eine markante Personenregie ist nicht erkennbar, die Sänger, solcherart allein gelassen, flüchten sich ins Rampensingen. „Giuseppe Verdi, Forza del Destino, Deutsche Oper Berlin, 8. September 2019“ weiterlesen
„Adriana Lecouvreur“ mit Anna Netrebko an der Deutschen Oper Berlin
Deutsche Oper Berlin, 4. September 2019 Francesco Cilea: Adriana Lecouvreur
von Peter Sommeregger
Die 1902 uraufgeführte Oper „Adriana Lecouvreur“ des Komponisten Francisco Cilea entstand zwar in der Blütezeit des Verismo, orientiert sich stilistisch aber eher an älteren Vorbildern wie Massenet. Sie ist das einzige Werk Cileas, das sich dauerhaft auf den Opernbühnen halten konnte.
Ambroise Thomas‘ große Shakespeare-Oper „Hamlet“ konnte auf deutschen Bühnen nie so recht heimisch werden, was erstaunt, ist es doch ein ausgesprochen wirkungsvolles Werk, das außerdem noch über dankbare Aufgaben für Sänger verfügt.
Es ist ein Verdienst der Deutschen Oper Berlin, wenn schon keine szenische Realisierung, so doch wenigstens drei konzertante Aufführungen anzubieten. Enttäuschend, dass schon am Premierenabend viele, sehr viele Plätze frei blieben. Dabei hatte man an der Bismarckstraße doch eine sehr respektable Sängerbesetzung aufgeboten. Allen voran den Bassbariton Florian Sempey, der mit seinem schönen, runden Bassbariton aus dem Vollen schöpfen kann. Schade nur, dass er mehr das Raubein in der Person Hamlets hervorkehrt – die grüblerische, gebrochene Natur des unglücklichen Dänenprinzen bleibt er uns weitgehend schuldig. Ein wenig mehr geschmeidige Eleganz hätte dieser Interpretation gut getan. „Ambroise Thomas, Hamlet, konzertante Premiere, Deutsche Oper Berlin, 24. Juni 2019“ weiterlesen
Emmanuel Villaume, Musikalische Leitung
Jakop Ahlbom, Inszenierung
Alex Esposito, Don Quichotte
Seth Carico, Sancho Pansa
Clementine Margaine, Dulcinee
von Peter Sommeregger
Der musikalisch schmissig beginnende Abend offenbart sein größtes Manko schon in den ersten fünf Minuten: die spanische Fiesta im Hause Dulcinees findet hier in einer Autobahn-Raststätte statt – in der Dulcinee Kellnerin ist. Damit könnte man diese Kritik eigentlich schon beschließen, denn besser wird eine Sache nicht, die schon mit dem falschen Ansatz begonnen hat.
Massenet hat dieses Spätwerk für das kleine und intime Opernhaus von Monte Carlo und dem weltberühmten Bass Schaljapin in die Kehle geschrieben. Die Voraussetzungen für die aktuelle Aufführung sind völlig andere: hier spielt man in Berlins größtem Opernhaus und besetzte den Titelhelden mit dem eher kleinen und schmalen Alex Esposito. Eines der vielen Missverständnisse des Abends. „Jules Massenet, Don Quichotte, Deutsche Oper Berlin, Premiere am 30. Mai 2019“ weiterlesen
Giacomo Puccini, Turandot Deutsche Oper Berlin, 23. Mai 2019
Musikalische Leitung: John Fiore Inszenierung: Lorenzo Fioroni Bühne: Paul Zoller Kostüme: Katharina Gault Chöre: Jeremy Bines Kinderchor: Christian Lindhorst
Turandot: Anna Smirnova Altoum: Clemens Bieber Calaf: Stefano La Colla Liù: Meechot Marrero Timur: Andrew Harris Ping: Samuel Dale Johnson Pang: Gideon Poppe Pong: Michael Kim Ein Mandarin: Byung Gil Kim Erste Damenstimme: Cornelia Kim Zweite Damenstimme: Amber Fasquelle
Chor der Deutschen Oper Berlin
Kinderchor der Deutschen Oper Berlin
Orchester der Deutschen Oper Berlin
von Gabriel Pech
Giacomo Puccinis letztes Werk kam erst nach seinem Tod zur Aufführung und vereint alles, wofür der Maestro steht: komplexe Frauenrollen, Musik, die sofort unter die Haut geht, und schließlich alles, was sich Puccini musikalisch und thematisch unter dem Orient vorstellte. Vieles davon gibt es auch in der Deutschen Oper Berlin zu sehen und zu hören, ein paar Dinge dieser Liste fehlen aber. „Giacomo Puccini, Turandot, Deutsche Oper Berlin, 23. Mai 2019“ weiterlesen