Szymanowski top, Strauß flop: Das Hamburger Staatsorchester begeistert mit spätromantischer Kammermusik in der Elbphilharmonie

Foto: Kammerkonzert EPKS (c) Claudia Hoehne

Auch die Mitglieder des  Hamburger Staatsorchesters können der hiesigen Johann-Strauß-Euphorie-Welle nicht entkommen und ehren mit einem schmackhaften Kammermusikprogramm den Walzer-König in der Elbphilharmonie. Am besten geraten allerdings zwei Quartette von Gustav Mahler und Karol Szymanowski.

Elbphilharmonie Hamburg, 25. Februar 2024

Mitglieder des Philharmonischen Staatsorchesters Hamburg

Rupert Burleigh, Harmonium
Gottlieb Wallisch, Klavier

Werke von Johann Strauß (Sohn), Arnold Schönberg, Gustav Mahler und Karol Szymanowski

von Johannes Karl Fischer

Die Wiener-Walzer-Stimmung schwappt ans Elbufer herbei:  Aufspielen tut nun auch das Hamburger Staatsorchester mit drei der populärsten Werke des Walzer-Königs Johann Strauß. Schwungvoll brachten sie den Kleinen Saal der Elbphilharmonie in Stimmung, die Streichinstrumente ließen die Rosen aus dem Süden auch im winterlich frischen Hamburg blühen. Wie eine schöne Begleitung zur morgendlichen Kaffeestunde. Fehlt nur die Melange! „Philharmonisches Kammerkonzert
Elbphilharmonie, 25. Februar 2024“
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Brahms und Strauss rahmen Szymanowski – Die Berliner Philharmoniker begeistern in der Hamburger „Elphi“

Lisa Batiashvili © André Josselin

Johannes Brahms, Tragische Ouvertüre d-Moll op. 81

Karol Szymanowski, Konzert für Violine und Orchester Nr. 1 op. 35

Richard Strauss, Sinfonia domestica für großes Orchester F-Dur op. 53

Großer Saal der Hamburger Elbphilharmonie, 23. Februar 2024

Kirill Petrenko, Dirigent
Lisa Batiashvili, Violine
Berliner Philharmoniker

von Dr. Andreas Ströbl

„Die Ouvertüre fließt in einem ununterbrochenen Zuge, ohne Tact- und Tempowechsel dahin, durchweg erfüllt von einem pathetischen Ernste, der mitunter das Herbe streift“, so Eduard Hanslick über Brahms’ „Tragische Ouvertüre“ – dem Hamburger stand der gestrenge, oft selbstgefällige Kritikerpapst ja ausgesprochen wohlwollend gegenüber. Und so möchte man seine Worte hier einmal als treffend wahrnehmen, denn tatsächlich prägt das Werk, das so ein bisschen wie ein Symphoniesatz daherkommt, eine ernste, zuerst düstere Stimmung, die aber durchzogen ist von kraftvollen Schlagwerk- und Tutti-Einsätzen, die dem Ganzen eine feierliche Größe und Wuchtigkeit geben. Ja, Brahms spielt hier mit Pathos, aber das wirkt nicht übersteigert; auch bricht er das namengebende Tragische immer wieder durch hoffnungsvollere, tröstliche Aspekte. Aber es gibt auch ausgesprochen melancholisch-lyrische Passagen. „Kirill Petrenko, Dirigent, Lisa Batiashvili, Violine, Berliner Philharmoniker
Elbphilharmonie, 23. Februar 2024“
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„Nacht und Stürme werden Licht“ – Das 6. Philharmonische Konzert in der Hamburger „Elphi“

Philharmonisches Staatsorchester Hamburg (c) Claudia Höhne

Dmitri Schostakowitsch, Symphonie Nr. 13 b-Moll op. 113 „Babi Jar“

Iryna Aleksiychuk, Trisagion für Frauenchor a cappella und Solovioline

Ludwig van Beethoven, Phantasie für Klavier, Chor und Orchester c-Moll op. 80

Kent Nagano, Dirigent

Alexander Vinogradov, Bass
Konradin Seitzer, Violine
Martin Helmchen, Klavier

Philharmonisches Staatsorchester Hamburg

Damen des Harvestehuder Kammerchors
Estnischer Nationaler Männerchor

Großer Saal der Hamburger Elbphilharmonie, 19. Februar 2024

von Dr. Andreas Ströbl

Mochte man sich vor dem Konzert noch über die sehr spezielle Kombination solcher Werke wie der emotional hochanspruchsvollen 13. Symphonie von Schostakowitsch, dem intimen „Trisagion“ von Iryna Aleksiychuk und der klangleuchtenden Chorphantasie von Beethoven wundern, so ergab am Ende alles Sinn und „was sich drängte rauh und feindlich, ordnet sich zu Hochgefühl“, wie es in den Worten Christoph Kuffners zur letzten Komposition dieses Abends heißt. „Beethoven: Fantasie op. 80 / Aleksiychuk: Trisagion / Schostakowitsch: Sinfonie Nr. 13
Elbphilharmonie, 19. Februar 2024“
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Wahnsinn in der "Musikstadt Hamburg": Generalmusikdirektor Kent Nagano muss innerhalb von 33 Stunden DREI schwerste Werke dirigieren – 2 in der Elphi und 1 in der Oper

Eigentlich müsste man als Opern- und Klassikfreund Ihr Konzert am Montagabend in der Elphi boykottieren. Aus einer Fürsorgepflicht heraus. Ich werde wohl trotzdem hingehen… ich hoffe Sie fühlen sich an dem Abend wohl, lieber Herr Nagano.

Kent Nagano © Antoine Saito

So, 18.2.2024 – 11 Uhr & Mo, 19.2.2024 – 20 Uhr

ELBPHILHARMONIE GROSSER SAAL
PHILHARMONISCHES STAATSORCHESTER HAMBURG / KENT NAGANO
Beethoven: Fantasie op. 80 / Aleksiychuk: Trisagion / Schostakowitsch: Sinfonie Nr. 13

So, 18.2.2024 – 19 Uhr
Staatsoper Hamburg

Philharmonisches Staatsorchester Hamburg
Kent Nagano

Benjamin Britten, Peter Grimes

von Andreas Schmidt

Was sich an diesem Wochenende in der selbst ernannten „Musikstadt Hamburg“ im so genannten Profi-Bereich ereignete, kann nur mit dem Wort „Wahnsinn“ beschrieben werden.

Negativer „Wahnsinn“. Oder auch „Unsinn“, oder „Schwachsinn“.

Die Verantwortlichen – hier: der bald scheidende Opernintendant Georges Delnon und der bald scheidende Generaldirektor Kent Nagano himself – muteten es jenem vor nicht allzu langer Zeit noch schwerst erkrankten Kent Nagano zu, binnen 33 Stunden DREI Schwerstwerke der Opern- und Konzertliteratur aufzuführen.

Zwei Mal in der Elphi – Sonntag um 11 Uhr und Montag um 20 Uhr – und einmal in der Oper – vor nur 730 Zuschauern (fast 1700 passen hinein) – am Sonntag um 20 Uhr.

Noch einmal zum Genießen das Programm:

2 MAL ELPHI: Beethoven: Fantasie op. 80 / Aleksiychuk: Trisagion / Schostakowitsch: Sinfonie Nr. 13

1 MAL STAATSOPER HAMBURG: Benjamin Britten, Peter Grimes.

(Am Mittwoch, 21. Februar 2024, dirigiert Nagano erneut Brittens Oper ab 19 Uhr.)

Die Elphi-Konzerte dauern inkl. Pause je gut zwei Stunden.
Die Britten-Oper dauert inkl. Pause gut drei Stunden.

Elbphilharmonie © Maxim Schulz

Babi Jar von Schostakowitsch ist ein höchst anspruchsvolles Werk mit Chor und Solo-Gesang. So sehen es die Elphi-Schreiber:

Dmitri Schostakowitschs 13. Sinfonie von Anfang der 1960er Jahre deutet mit dem Beinamen »Babi Jar« bereits den historischen Zusammenhang an: das von deutschen Einsatzkräften verübte Massaker an zehntausenden Juden im Jahre 1941 in der gleichnamigen Schlucht bei Kiew. Schostakowitsch wirft mit dieser Sinfonie endgültig politische Fesseln ab und zeigt sich als unbeirrbarer Künstler, der sich mit einem ungemein aufrüttelnden Werk bedingungslos für Humanismus und Freiheit einsetzt. Dass er erstmals seit seiner Dritten wieder Instrumentalmusik und Gesang verbindet – zumindest diese Parallele zu Beethoven liegt dann doch auf der Hand – mag vor diesem Hintergrund kein Zufall sein…

Peter Grimes (1945) ist auch Schwerstkost für alle Beteiligten: Dirigent, Sänger, Chor, Orchester. Besonders hervorzuheben sind die Orchesterzwischenspiele zwischen den einzelnen Bildern. Sehr expressiv und ausdrucksstark, zeichnen sie das Bild des englischen Meeres an der Ostküste – bedrohlich, gewaltig, düster und unberechenbar gefährlich. Vier davon veröffentlichte Britten später unter dem Titel Four Sea Interludes.

Ich war Zeuge der Opernaufführung am Sonntagabend – im 4. Rang, Balkon, frontaler Blick auf die Bühne, den Dirigenten und das Orchester. Kent Nagano, US-Amerikaner mit japanischen Wurzeln, dirigierte (wie so oft) meist lasch und kraftlos. Er dirigierte das Nötigste und meist immer brav „auf die 1“, den ersten Schlag eines Taktes. Selbst in fortissimo-Stellen blieb er meist blass – das Orchester hätte es wohl auch ohne ihn geschafft.

Zur Farce wurde sein Dirigat (nur knappe 6!!!!! Stunden nach Ende des sehr anstrengenden Vormittagsprogrammes ) im Hinblick auf die Einsätze, die er den Solisten und dem Chor gab. Bei 20 zu frühen – also falschen – Einsätzen hörte ich auf zu zählen. Vor allem als Chorsänger hätte ich mich veräppelt gefühlt.

Staatsoper Hamburg © Westermann

Oh my God, Mr. Nagano, warum muten Sie sich nach so schwerer Krankheit in Ihrem Alter von 72 Jahren so einen absurden STRESS zu? Warum haben Sie den Sonntagabend nicht delegiert an einen Ihrer Schüler? Hatte die Oper und somit der Hamburger Steuerzahler nicht genug Kohle, um Sie – altersgerecht – zu entlasten? Konnte der Multi-Milliardär (33 SIC Milliarden Euro Vermögen), Opernförderer und Opernfantast/-fantasierer Michael Kühne nicht für 8.000 Euro einen guten Ersatz beordern? Ist Georges Delnon als Hausherr seiner Fürsorgepflicht nachgekommen? Warum haben Sie, Herr Nagano, ihm nicht die rote Karte gezeigt? Hat das Publikum der zweitgrößten deutschen Stadt nicht Anrecht auf einen AUSGERUHTEN Dirigenten?

Mr. Nagano dürfte NETTO zwischen den beiden Aufführungen zu Hause in Hamburg nur 3 Stunden netto Ausruh- und Vorbereitungszeit zwischen den beiden Mega-Werken gehabt haben….

Ich denke, man darf einen vor nicht allzu langer Zeit schwersterkrankten 72-Jährigen – ganz gleich in welchem Beruf – nicht mit DREI Hammerwerken binnen 33 Stunden überfordern. Dass Herr Nagano in der Tat überfordert war, zeigte sein schlechtes Dirigat in der Staatsoper am Sonntagabend.

Eigentlich müsste man als Opern- und Klassikfreund Ihr Konzert am Montagabend in der Elphi boykottieren. Aus einer Fürsorgepflicht heraus. Ich werde wohl trotzdem hingehen… ich hoffe Sie fühlen sich an dem Abend wohl, lieber Herr Nagano.

Herzlich grüßt Sie,

Andreas Schmidt, 19. Februar 2024, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

So lebt die Klassik-Szene auch im 21. Jahrhundert: Das Belcea Quartet gastiert in der Hamburg Elbphilharmonie mit zwei Beethoven-Quartetten und einem Auftragswerk

Belcea Quartet © Marco Borggreve

Beethoven umrahmt ein Auftragswerk von Julian Anderson: Das Belcea Quartet ehrt die neuen wie die alten Meister mit einem fabelhaft gespieltem Streichquartettabend in der Hamburger Elbphilharmonie. Solcher Konzerte wegen lebt die Klassik-Szene weiterhin so fröhlich wie in Zeiten der Wiener Klassik!

Belcea Quartet

Corina Belcea, Violine
Suyeon Kang, Violine
Krsysztof Chorzelski, Viola
Antoine Lederlin, Violoncello

Werke von Ludwig van Beethoven und Julian Anderson

Elbphilharmonie Hamburg, 16. Februar 2024

von Johannes Karl Fischer

Ein paar Töne von Julian Andersons frisch komponiertem 4. Streichquartett (2023) sind gezupft und gestreift, schon kommt die Musik zu einem abrupten Stillstand. Eine Bratschensaite ist geplatzt, so kann es natürlich nicht einfach weiter gehen. Kurze Unterbrechung, ehe der Bratschist mit seinem heilen Instrument samt frisch aufgezogener Saite wieder die Bühne betritt. „Gehört das dazu?“ fragt meine Sitznachbarin halbironisch. Naja, in den Noten wird es wohl kaum drinstehen. Aber zum Geist dieser lebendigen Klänge? Da passt es bestens! „BELCEA QUARTET, Streichquartette von Beethoven und Julien Anderson
Elbphilharmonie, 16. Februar 2024“
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„Remember me!“ – zwei barocke Dramen mit Starbesetzung in der „Elphi“


Joyce DiDonato singt die berühmte Arie „Remember me!“ mit solch berückender Innigkeit und sichtlicher Ergriffenheit, dass eines klar ist: Jeder, der diesen Abend miterlebt hat wird genau das tun – sich erinnern und mit Dankbarkeit an ein Kunstereignis zurückdenken, das schließlich mit größtem Jubel und stehenden Ovationen gefeiert wird.


Giacomo Carissimi, Historia di Jephte – Oratorium

Henry Purcell, Dido and Aeneas – Oper in drei Akten

Konzertante Aufführung mit deutschen Übertiteln

Ensemble „Il Pomo d’Oro“

Maxim Emelyanychev, Cembalo und Dirigent

Joyce DiDonato, Sopran
Andrew Staples, Tenor
Fatma Said, Sopran
Carlotta Colombo, Sopran
Beth Taylor, Mezzosopran

Großer Saal der Hamburger Elbphilharmonie, 14. Februar 2024

von Dr. Andreas Ströbl

„O lachend frevelnder Leichtsinn!“ – das ist Frickas Kommentar zum Handel, den die Herren Götter und Riesen ausgemacht und als Bezahlung für das neue Wotan-Hauptquartier einfach mal die für die Götter lebenswichtige Freia geopfert haben – vorläufig, meint der Göttervater, das kriegen wir schon irgendwie hin!

Wenn es um Macht, den Nachweis unbedingten Gehorsams oder das eigene Überleben geht, sind Männer schnell dabei, Gelübde abzulegen, ohne sich über die Folgen Gedanken zu machen. Abraham ist bereit, seinen Sohn Isaak zu schlachten, nur weil ihn ein archaisch anmutender Gott auf die Probe stellen will. Idomeneo will seinen Sohn opfern, weil sein Versprechen, nämlich das erste Lebewesen, was ihm zu Hause begegne, den Göttern zu schenken, falls er in einer Notlage überlebe, ihn bindet. Genauso ist es mit Jephta, der dem Allmächtigen gelobt hat, ihm im Falle eines Sieges dasjenige Geschöpf darzubringen, was ihm auf der heimischen Schwelle entgegenträte – das ist Drama mit Ansage. „Purcell, Dido and Aeneas / Joyce DiDonato, Fatma Said, Andrew Staples
Elbphilharmonie, 14. Februar 2024“
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Zwei Planeten leuchten im „Kosmos Bartók“

Bartók, Levit und Gilbert © Andy Spyra

Die Husterei hält sich an diesem Abend in Grenzen, aber viele haben immer noch nicht begriffen, dass man sich an der Garderobe gratis Hustenbonbons holen kann, die man vor Beginn des nächsten Stücks auswickelt. Man fragt sich auch, was Eltern dazu bringt, sehr kleine Kinder in solch ein Konzert mitzunehmen, die zwischendrin gähnen, einschlafen, gestikulieren und mit ihrem Gezappel die Umsitzenden, die viel Geld für die Karten bezahlt haben, nerven. Damit verleidet man nicht nur den anderen und sich selbst den Musikgenuss, sondern sorgt dafür, dass die Kinder solche Veranstaltungen im künftigen Leben meiden werden.


Abschlusskonzert des Festivals „Kosmos Bartók“ vom 2 bis zum 10. Februar 2024

Béla Bartók, Konzert für Klavier und Orchester Nr. 3 Sz 119 und

Herzog Blaubarts Burg Sz 48

 Großer Saal der Hamburger Elbphilharmonie, 10. Februar 2024 

Alan Gilbert, Dirigent

Igor Levit, Klavier
Michelle De Young, Mezzosopran
Gerard Finley, Bassbariton
Dávid Csizmár, Sprecher

NDR Elbphilharmonie Orchester

von Dr. Andreas Ströbl

„Viel Spaß“ wünschte am Ende seiner Einführung Harald Hodeige dem Publikum, nachdem er kenntnisreich und mit zahlreichen Musikbeispielen die beiden Werke, mit denen das Abschlusskonzert des vom NDR veranstalteten Festivals „Kosmos Bartók“ bestritten wurde, vorgestellt hatte. Der Sender hatte am vergangenen Dienstag bereits auf „Käpt’n Blaubarts Burg“ als besonderen Höhepunkt verwiesen und vielleicht darf man sich ja auch mit humoriger Brechung dem komplexen Werk dieses vielfältigen Komponisten nähern, mit dessen „Mikrokosmos“ sich so mancher Klavierschüler herumgeschlagen hat, um später erst zu begreifen, was Bartók tatsächlich ausmacht. „Abschlusskonzert des Festivals „Kosmos Bartók“ vom 2. bis zum 10. Februar 2024
Elbphilharmonie, 10. Februar 2024“
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Bartók, kosmisch

Stanislav Kochanovsky © NDR, Marco Borggreve

Ein Überblick über das Festival des NDR, „Kosmos Bartók“ – Elbphilharmonie, 2. Februar – 10. Februar 2024

Béla Bartók
Konzert für Violine und Orchester Nr. 2 Sz 112
Zwei Bilder Sz 46
Suite aus »Der wunderbare Mandarin« Sz 73

NDR Radiophilharmonie

Valeriy Sokolov  Violine
Stanislav Kochanovsky    Dirigent

von Harald Nicolas Stazol

Dass mir ein Knopf vom Anzug springt vor und vom Wahnsinns-Applaudieren, ein goldener von Gieves & Hawkes, weil ich derart frenetisch bin, ist mir in meiner 35-jährigen Karriere noch nie passiert, aber wer denkt jetzt schon an Maßanzüge?

„Mir tränen die Ohren“, sagt meine Begleiterin Dorothy Nora, sie selbst ganz ergriffen von diesem Béla Bartók – und die Dame, die mich ein wenig an meine Großmutter erinnert, samt Perlenkette, im blauen Twin-Set, ganz außer sich: „So was hab ich ja noch nie erlebt!!!!!! Wie heißt der Geiger?“

„Valeriy Sokolov heißt er!“ schreie ich ihr freundlich-aufklärend zu, dann schreien wir alle wieder „Bravo“ und jubeln „Huihuihui!!!“

Valeriy Sokolov

Bartók selbst wäre von dieser hyper-rasanten Interpretation (geschlagene Minuten früher fertig als Hadelich), der eines mühelosen-rasend schnellen Meisters der Geige, hingerissen gewesen.

Das 2. Violinkonzert des Komponisten ist ursprünglich als einsätzig gedacht, doch der Geiger und Auftraggeber Zoltán Székely besteht auf einer dreisätzigen Form, die schon im ersten Satz zu Beginn mit einer himmlischen Harfenserenade einsetzt – Harfen spielen bei Bartók in den Orchesterwerken immer eine besondere Rolle, und unsere Circe harft, die des wie im Rausche sich gebärdenden NDR Elbphilharmonieorchesters, dass die Kameras des NDR alle Linsen voll zu tun haben, um sich diesen Geiger auch nur annäherungsweise anzunähern.

Einmal stehen nur zwei Saiten im wie in einer Gruft stillen Saal: Die eine der Harfe – und die andere des Sokolov.

Denn der ist einfach auf Mach 2. Ich bin gespannt, ob jemand diesen Rekord zu meinen Lebzeiten noch durchbricht, das blaue Bartók-Band.

Und gebannt-steinern liegen und schweben die Ränge, während Valeriy Sokolov nichts weniger als ein Wunder vollbringt: Den per-fek-ten Ungarn!

Oft kommt er in Tracht ins Konservatorium, der junge Musikstudent Béla Bartók, so patriotisch ist er, Ungarn ist im Umbruch, sein erstes Werk widmet er Lajos Kossuth: Der, schnell nachgeschlagen, „in den Jahren 1848/49 einer der Anführer der Ungarischen Unabhängigkeitserhebung gegen Österreich war. Auch nach der Niederschlagung der Revolution setzte er sich im Exil bis zu seinem Tod für die Unabhängigkeit Ungarns vom Kaisertum Österreich (ab 1867 Österreich-Ungarn) ein. Bis in die Gegenwart gilt Kossuth als ungarischer Nationalheld.“

10 000 (in Worten: Zehntausend) Aufnahmen prägt Béla auf Walzen, auf weiten Reisen über die Puszta bis nach Transsilvanien – im Ernst! – sie führen ihn nach Rumänien, Bulgarien, Slowenien, er lässt sich vorsingen und nimmt singende Weiblein auf – manche der Damen können 500 (in Worten: fünfhundert) Lieder auswendig – oder Chöre, auf Wachswalzen, ich versuche gleich, eine Aufnahme zu finden, ah, hier: Die Originale der Rumänischen Tänze:

Auf seinen Reisen, oft zu Fuß oder auf Pferdekarren, auch in Begleitung seines Freundes Zoltán Kodály, nimmt er sie auf, und kommt bis dorthin, in die fernen Karpatendörfer, wo die Hirten bis auf den heutigen Tag virtuos Flöten und Dudelsack spielen – und am Vorabend ist wundersamerweise ebensolch einer auf der Bühne – ich wette der erste Dudelsack in der Geschichte der Elbphilharmonie überhaupt?

Denn es ist Festival!  Einen „Kosmos Bartók“ führt der NDR hier 6 Tage lang auf, eine Reise durch das Gesamtwerk des Ungarn, durch das gesamte Ungarn, hochkarätig besetzt, beispiellos und faszinierend, im reinen bildungsbürgerlichen Auftrag – und man kann sagen:

Ohne diesen Dudelsack des virtuosen Flötisten Szokolay Dongó Balász und seiner Begleitung Júlia Kubinyi, sie gilt als beste Sängerin dieser Lieder überhaupt – ohne dessen Melodien gerade gäbe es kein 2. Violinkonzert, ja, keinen nächsten Abend!

Kein Concerto für Orchester (am Eröffnungsabend). Und kein 3. Klavierkonzert.

Die letzten 17 Takte schreibt ein Schüler, einer der bedeutendsten Komponisten der Europäischen Musikgeschichte stirbt am 26. September 1945 im Exil in New York City an Leukämie, er, den die Kritiker New Yorks nach der Premiere 1928 eine „Grenzenlose Hässlichkeit“ bescheiden.

Es existierte kein Quartett Nr.6 (wiederum am weiteren Vorabend, dem Dienstag), vom Jerusalem Quartett innig-hingegeben – hier, im dritten Satz werden die Saiten harsch, die Bögen gehackter, in den Rhythmen, die der so Fernreisende den Bauernfidlern abhört.

Und von dem man sich bei der folgenden Ton- und Bildaufnahme einen schönen Eindruck machen kann:

Besonders ist mir die innige Bewunderung im Auge des Jungdirigenten dort den Zigeunergeigern gegenüber, die bei den „Rumänischen Tänzen“ ganze Partien übernehmen und sich mit dem großen Orchester nahtlos die Passagen teilen. Der Geiger der Truppe verzieht keine Miene, nickt Richtung Pult für den Einsatz, und da lächelt er. Solche Töne kann man nun im Kleinen Saal der Philharmonie hören, einen Hirten beim Flötenspiel.

Die Gesänge der Bauernfrauen und jungen Männer – bis ins hohe Alter werden jene vom Besuch mit der Thomas Edison Maschine noch erzählen, fast alle Walzen sind erhalten – sie fließen in „Vier altungarische Volkslieder für Männerchor“ SZ 50:

„Turteltäubchen, sei so träg nicht!
Bau dein Nest so nah am Weg nicht!
Hier, wo alle Welt vorbeigeht                                                                                                  Auf dein Nest los mit Schrei geht.“

Wie es das NDR-Vokalensemble vermag, auf perfektem Ungarisch zu intonieren, bleibt am Vorabend ein Geheimnis! Doch sicherlich ist dies dem Chorleiter Zoltán Pad zu danken. Dann wieder Dudelsack und „Heyheya-hey“ der Sängerin.

Zurück zu gestern Abend:

Valeriy Sokolov – jetzt ist kein Halten mehr, im sich ob seines Spiels in reiner Trance  befindenden Rundes – der Mann biegt sich mehrfach mit durchgedrücktem Rücken, wenn er die Violine nach oben reißt, den Bogen wirft er, dass es das Mikro über ihm fast wegschlägt.

Passagen, Flageoletts, Triller, im Rausche der Geschwindigkeit. Er macht es allein, innige Blicke zum Dirigenten, aber hier gibt Sokolov den Ton und Tempo vor, er reißt das Orchester geradezu mit sich. Die Zugabe, eine Partita von Bach, ich sagte es meiner Begleitung voraus – zerbrechlich, per-fekt, und zukunftsweisend – auch die erkläre ich hier und jetzt zum Bach’schen Goldstandard.

Und die Musikanten im Frack und in Lackschuhen, man hört ein Glockenspiel, Pauken, phantastischen Posaunen und Trompeten, dort ein Gong von Manneshöhe, eine lachende Oboistin, nun, das Orchester kann endlich mal so richtig loslegen, dass die Fetzen in die Puszta fliegen, und von der die Bourgeoisie Budapests in Bartóks Jugend kaum Kenntnis nimmt. Zum ersten Mal in Berührung mit jener originalen Volksmusik kommt der 23-Jährige im Gesang eines Hausmädchens.

Und diese Freude und der Stolz auf sich selbst strahlt nun über die Musiker im Lichtdom des eigenen Erfolges morpht da in den kompliziertesten 12-Ton-Passagen ein einziger, völlig verschmolzener Klangkörper zusammen, unter dem fast lässig-schwingenden Stanislav Kochanovsky, wie beim „Wunderbaren Mandarin“, dem jagenden Werk, majestätisch-aufstrahlenden, vorher, rhythmisch schwerst gebrochen und wieder zusammengesetzt.

Den heutigen Freitagabend aber kann ich tatsächlich voraussagen: Ich habe Igor Levit – „over, in, and under the Steinway“ berichte ich scherzend auf Insta an Garrett, den Dirigenten der „Berlin Academy of American Music“ – beim heißblütigen Vortrag schon gehört, vor einer Woche, dem Auftakt: Es ist eine Tour de Force für alle Pianisten, bei Argerich angefangen, das 3., eingewechselt „aus künstlerischen Gründen“ statt des 1. – wenn Levit es morgen, am Samstag dann, beim Abschlusskonzert dieses „Kosmos Bartók“, vor laufenden Kameras zum dritten Male spielen wird…

Es wird sein bestes sein!

Ist es doch Bartóks Bestes auch.

Harald Nicolas Stazol, 9. Februar 2024, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

So bringt man auch die neueste Musik unter die Leute: Matthias Pintscher begeistert als Komponist wie Dirigent in Hamburg

https://www.matthiaspintscher.com/#news

Ganz wie zu Beethovens Zeit: Im angesagtesten neuen Konzertsaal der Klassik-Szene dirigiert Matthias Pintscher sein eigen komponiertes Violinkonzert und begeistert dabei das Hamburger Publikum für die neueste Musik. So sind diese eher dissonanten Klänge auch für klassisch gestimmte Ohren ein wahrer Genuss!  

Elbphilharmonie Hamburg, 7. Februar 2024

Die Deutsche Kammerphilharmonie Bremen
Matthias Pintscher, Dirigent

Leila Josefowicz, Violine

Werke von Maurice Ravel, Matthias Pintscher und Robert Schumann

von Johannes Karl Fischer

Eine meterhohe Partitur liegt auf dem Dirigentenpult, auch die Solistin des Abends bekommt einen Notenständer. Was gibt’s denn heute feines zu hören… Boulez, Ligeti, Stockhausen? Nein, ein Violinkonzert von Matthias Pintscher. Der hat doch aber gerade erst Ravel dirigiert? Richtig, und gut so!

„Deutsche Kammerphilharmonie Bremen, Matthias Pintscher, Leila Josefowicz
Elbphilharmonie Hamburg, 7. Februar 2024“
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An der schönen blauen Elbe – Alles Walzer! Vielmehr – Alle Walzer!

Johannes Wildner, https://wjso.at/de-at/Home/Kontakt/Presse-Bilder

Elbphilharmonie, 3. Februar 2024, Matinee

Wiener Johann Strauss Orchester
Dirigent Johannes Wildner

PROGRAMM

Johann Strauss (Sohn)
Ouvertüre zu »Die Fledermaus«
Tritsch-Tratsch-Polka op. 214
Wiener Blut / Walzer op. 354
Im Krapfenwaldl / Polka française op. 336

Eduard Strauss
Ohne Bremse / Polka schnell op. 238

Franz Lehár
Gold und Silber / Walzer op. 79

Josef Strauss
Eingesendet / Polka schnell op. 240

Johann Strauss (Sohn)
An der schönen blauen Donau / Walzer op. 314

Zugaben:

Hans Christian Lumbye
Champagner-Galopp op. 14

Johann Strauss (Sohn)
Vergnügungszug / Polka schnell op. 281

Johann Strauss (Sohn)
Leichtes Blut / Polka schnell op. 319

Johann Strauss (Vater)
Radetzky-Marsch op. 228

von Harald Nicolas Stazol

Ich habe nun in der Elbphilharmonie schon VIELES erlebt, auch im Orchester sitzende Dirigenten – wir denken an Joshua Bell – aber, dass einer sich langsam, fiedelnd, um 360 Grad im Dreivierteltakt dreht, langsam, um alle Ränge zu erfreuen, nun, das ist schon einmalig! Einmalig Johannes Wildner, der Dirigent des „Wiener Johann Strauss Orchester“ tut es bei „Wiener Blut“, ganz hinreißend und unterhaltsam und eben total lebendig.
„Wiener Johann Strauss Orchester, Dirigent Johannes Wildner
Elbphilharmonie, 3. Februar 2024, Matinee“
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