CD-Rezension: BERG
SFS Media SFS 0080
Violin Concerto
Seven Early Songs
Three Pieces for Orchestra op. 6
Gil Shaham Violin
Susanna Phillips Soprano
San Francisco Symphony
Michael Tilson Thomas
von Peter Sommeregger
Die klug zusammengestellte Auswahl von Werken Alban Bergs, die in Aufnahmen des San Francisco Symphony Orchestras unter Michael Tilson Thomas soeben auf dem Label des Orchesters erschienen ist, enthält neben seinen populär gewordenen „Sieben frühen Liedern“ und den „Drei Stücken für Orchester op. 6“ auch Bergs letztes vollendetes Werk, das Violinkonzert. So wird ein repräsentativer Bogen über Bergs quantitativ überschaubares, aber qualitativ umso bedeutenderes Oeuvre gespannt.
Die frühen Lieder, bereits während Bergs Studienzeit entstanden, hat der Komponist erst in späteren Jahren orchestriert und zum Zyklus zusammengefasst. Sie tragen noch deutlich spätromantische Züge. Entstanden nach Gedichten von Nikolaus Lenau, Rilke und Theodor Storm, sind die einzelnen Lieder sehr dankbare Stücke für einen lyrischen Sopran. Die amerikanische Sopranistin Susanna Phillips, auf der Opernbühne der Met in New York wie auf dem Konzertpodium gerne gesehen, besitzt einen blühenden, farbenreichen Sopran, der die lyrische Naturelemente enthaltenden Kompositionen in tadellos sauberer Diktion wiedergibt.
Die drei Stücke für Orchester, 1913 konzipiert und 1914/15 niedergeschrieben, stellen einen Wendepunkt in Bergs Schaffen dar. Hatte er bis dahin kleinere Formen wie Lieder bevorzugt, wagte er sich nun erstmals an ein Werk für Orchester in großer Besetzung. Die Abschnitte Präludium, Reigen und Marsch verbinden sich beinahe zu einer Symphonie. Vielleicht ohne Absicht ist Berg hier so etwas wie ein Abgesang auf die alte Welt, die nach dem Weltkrieg nicht mehr dieselbe sein konnte, gelungen. Im Duktus sind sie den späten Symphonien Gustav Mahlers nicht unähnlich.
Das Violinkonzert „Dem Andenken eines Engels“ komponierte Berg als Auftragswerk für den amerikanischen Geiger Louis Krasner, der es 1936, also erst nach Bergs Tod, in Barcelona uraufführte. Die Widmung, gleichsam als Requiem für die 18-jährig verstorbene Manon Gropius, die Tochter Alma Mahlers, ist Programm. Trotz der grundsätzlich atonalen Struktur des Werkes flicht der Komponist gekonnt verfremdete tonale Elemente ein. So lassen sich ein österreichischer Ländler und ein Bach-Choral erkennen. Zu Beginn des Allegro thematisiert Berg den Einbruch der Katastrophe in Manons Leben in Form der todbringenden Kinderlähmung. Das Werk wurde dadurch zur persönlichsten und gleichzeitig beklemmendsten Schöpfung Alban Bergs.
Seit der Uraufführung ist dieses Violinkonzert das am häufigsten aufgeführte Stück Bergs, seine immensen technischen Anforderungen an den Solisten sind eine Herausforderung für jeden Geiger. Seit Louis Krasner hat es kaum einen Geiger von Rang gegeben, der das Werk nicht in sein Repertoire aufgenommen hat. Die Liste der verfügbaren Einspielungen liest sich wie ein Who’s who der bedeutenden Violinisten.
Gil Shaham, der amerikanisch-israelische Geiger, glänzt hier mit einer souveränen, tiefsinnigen Interpretation. Michael Tilson Thomas und dem San Francisco Symphony Orchestra gelingt mit dieser CD, die bereits 2015 und 2018 eingespielte Stücke enthält, eine großartige Hommage an den Wiener Komponisten, ohne Zweifel eine Bereicherung der Alban-Berg- Diskographie.
Peter Sommeregger, 25. Februar 2021, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
Sommereggers Klassikwelt 74: Alban Berg – musikalischer Traditionalist und Neuerer