CD-Rezension:
Michael Spyres
Contra-Tenor
Il Pomo d’Oro
Francesco Corti
Erato 5054197293467
von Peter Sommeregger
Mit seinem neuen Album „Contra-Tenor“ setzt der amerikanische Tenor Michael Spyres seine abenteuerliche Entdeckungsreise durch die vielschichtige Geschichte seines Stimmfaches fort. Bereits mit seiner letzten Solo-CD „Baritenor“ überraschte er die Welt mit seinem anscheinend mühelosen Wechsel zwischen Tenor- und Baritonpartien. In der aktuellen CD widmet er sich dem weniger klar definierten Fach des Contra-Tenors, der in der Ära der virtuosen Kastraten als deren Widerpart aufgebaut wurde, und gesangstechnisch nicht weniger gefordert war. Der tenore assoluto musste teilweise über einen Stimmumfang von über 3 Oktaven verfügen.
Spyres mischt bei seiner Zusammenstellung geschickt Arien bekannter mit solchen fast unbekannter Komponisten. Was er dabei seiner „geläufigen Gurgel“, um mit Mozart zu sprechen, an raffinierten Finessen entlockt, hinterlässt den Hörer sprachlos. Halsbrecherische Koloraturen, Oktav-Sprünge im Dutzend und Triller gelingen dem Sänger mit scheinbarer Mühelosigkeit. Spyres, der neben seiner fulminanten Technik auch noch mit einem ausgesprochen schönen Timbre gesegnet ist, nimmt den Hörer mit zu einer Entdeckungsreise, auf der man heute kaum mehr bekannten Komponisten wie Domenico Sarro, Gaetano Latilla und Antonio Maria Mazzoni begegnet, die den bekannteren wie Vivaldi, Porpora, Hasse, Rameau und Piccinni durchaus ebenbürtig erscheinen. Man kommt aus dem Staunen nicht heraus, dass diese Arien jahrhundertelang übersehen werden konnten, aber es bedarf eben auch Künstlern wie Spyres, um dieses verlorene Repertoire wieder zurück zu gewinnen. Drei Titel auf der CD sind sogar Ersteinspielungen und machen neugierig auf die kompletten Opern, aus denen sie stammen.
Das bewährte Barock-Ensemble Il Pomo d’Oro unter Francesco Corti stellt erneut seine Kompetenz unter Beweis, die Aufnahmen fanden bereits im Jahr 2020 in der Villa San Fermo bei Vicenza statt. Für das Begleitheft hat Michael Spyres selbst einen fundierten Text verfasst, einige Fotos des Sängers in humoristischen Posen unterstreichen, dass ihm auch eine gewisse Leichtigkeit eigen ist.
Wenn Spyres seine ernsthafte Beschäftigung mit der Erforschung der verschiedenen Stimmfächer fortsetzt, müsste als nächstes eigentlich ein Counter-Tenor Album folgen, danach vielleicht sogar eine Heldentenor-CD. Dass Spyres sogar Tristan kann, bewies er erst im letzten Jahr mit einem konzertanten 2. Tristan-Akt. Für Überraschungen ist der sympathische Künstler immer gut!
Peter Sommeregger, 14. April 2023, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
CD Rezension: Michael Spyres, Baritenor, klassik-begeistert.de