Von der Vergänglichkeit der Welt – und einer Stimme

CD-Rezension: Philippe Jaroussky – La Vanita del Mondo

Foto: © Simon Fowler / Parlophone Records Ltd

„Vergleicht man diese CD mit seinem großartigen Vivaldi-Programm von 2007, meint man einen anderen Sänger zu hören. Aktuell werden wir Zeugen der Vergänglichkeit einer Stimme.“

CD-Rezension: Philippe Jaroussky – La Vanita del Mondo
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Arien aus Oratorien

Philippe Jaroussky, Countertenor
Ensemble Artaserse

von Peter Sommeregger

Die Pandemie, die nun schon seit Monaten die Welt auf den Kopf stellt, hat auch schmerzliche Auswirkungen auf die Karrieren und Terminpläne von Künstlern. Jeder der Betroffenen sucht nach Möglichkeiten, der erzwungenen Untätigkeit zu entgehen. Der Countertenor Philippe Jaroussky hat den Sommer dieses Jahres für die Produktion eines neuen Albums genutzt.

Das Programm besteht ausschließlich aus Ausschnitten geistlicher Oratorien der Komponisten Torri, Scarlatti, Chelleri, Händel, Caldara, Bononcini, Fago, Hasse und Marcello, sämtlich Meister des Barock, und zum Teil heute vergessen. Einige Titel der CD sind daher sogar Weltersteinspielungen.

Es ist gewiss verdienstvoll, dass Jaroussky sich solchen Werken widmet. Der Titel der CD, zu deutsch „Die Vergänglichkeit der Welt“ passt recht gut in diese etwas perspektivlose Zeit, stimmt nachdenklich, lässt aber durch die Auswahl zumeist getragener Stücke eine gewisse depressive Grundstimmung aufkommen.

Jaroussky ist nicht nur als Solist, sondern auch als Dirigent des Ensembles Artaserse zu erleben. Der Sänger ist klug genug, die Weichen für die Zeit nach dem Ende seiner Gesangskarriere zu stellen. Man merkt seinem Vortrag schnell an, dass er sich auf die Tragfähigkeit seiner Stimme nicht mehr voll verlassen kann. Sie hat viel von ihrer früher so bewunderten Beweglichkeit und Brillanz verloren. Man vermisst auch schmerzlich die Farben seines Countertenors, die einer trockenen, etwas angestrengten Mittellage gewichen sind.

In dem Ausschnitt aus dem titelgebenden Oratorium La Vanita del Mondo von Pietro Torri geraten ihm die vorgesehenen Koloraturen zu einem scharfen Bellen, insgesamt klingt die Stimme in der Höhe inzwischen unangenehm scharf, was schon bei Jarousskys Schubert-Liederabend zu Anfang des Jahres schmerzlich auffiel.

Es ist bekannt, dass die Stimmen von Countertenören in der Regel ein kürzeres Verfalldatum haben als andere Stimmlagen. Das liegt wohl daran, dass die dafür erforderliche Technik dem Kehlkopf abgetrotzt werden muss, schließlich ist der Counter keine natürliche Stimmlage. Es ist natürlich bedauerlich, dass Jaroussky mit gerade erst 42 Jahren schon im Herbst seiner Karriere angekommen ist. Vergleicht man diese CD mit seinem großartigen Vivaldi-Programm von 2007, meint man einen anderen Sänger zu hören. Aktuell werden wir Zeugen der Vergänglichkeit einer Stimme.

Peter Sommeregger, 20. Dezember 2020, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

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