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Kritisieren kann jeder! Aber die Gretchenfrage ist immer die nach Verbesserung. In seiner Anti-Klassiker-Serie hat Daniel Janz bereits 50 Negativ-Beispiele genannt und Klassiker auseinandergenommen, die in aller Munde sind. Doch außer diesen Werken gibt es auch jene, die kaum gespielt werden. Werke, die einst für Aufsehen sorgten und heute unterrepräsentiert oder sogar vergessen sind. Meistens von Komponisten, die Zeit ihres Lebens im Schatten anderer standen. Freuen Sie sich auf Orchesterstücke, die trotz herausragender Eigenschaften zu wenig Beachtung finden.
von Daniel Janz
Das Los vieler Komponisten der Moderne ist es, im Groß der Ideologen und Klangexperimentalisten unterzugehen. Komponieren sie dann auch noch über religiöse Themen, schlägt ihnen oft Ablehnung entgegen. Nun kann man von Wojciech Kilar nicht behaupten, dass er ein völlig Unbekannter im Orchesterkulturbetrieb wäre. Dennoch ist es heute eine Seltenheit, Werke von ihm aufgeführt zu erleben, obwohl der 1932 in Lwów (damals Polen, heute Ukraine) geborene und 2013 in Katowice, Polen, verstorbene Komponist einige beeindruckende Kompositionen hinterließ.
Hier soll jedoch nicht der Fokus auf Kompositionen, wie „Orawa“, gelegt werden. Denn auch, wenn sich an diesem Beispiel beeindruckend zeigen lässt, wie Kilar aus wenigen Instrumenten und Themen ganze Klanglandschaften erschaffen konnte, so wird dieses Werk heute sogar noch verhältnismäßig oft gespielt.
Viel interessanter ist daher der Blick auf inzwischen ganz vergessene Stücke: Unter ihnen sein Triptychon bestehend aus „Der Mutter Gottes“, „Angelus“ und zu guter Letzt „Exodus“, das nicht nur die Apotheose dieser musikalischen Trilogie darstellt. „Exodus“ ist darüber hinaus auch ein für sich stehendes, beeindruckendes Werk, das damals wie heute eine wichtige Botschaft zu vermitteln hat. Nicht umsonst wurde dieses Werk auch in Filmen, wie „Schindlers Liste“ oder „Knight of Cups“ verwendet.
Dabei ist der Einstieg über die seicht gezupften Harfen einer voller Lyrik und Intimität, der noch nichts von der späteren Wucht dieser Komposition erahnen lässt. Kilar baute dieses Werk analog zum „Boléro“ von Ravel auf, der bis auf einen steten Anstieg der Lautstärke und Veränderung der Klangfarbe keine musikalische Entwicklung erlebt. Ein vergleichbares Prinzip erlebt man auch bei „Exodus“, dessen Melodie auf einem jüdischen Volkslied basiert. Zunächst wird diese Melodie von der Klarinette vorgestellt, dann folgen die Streicher als Klanguntergrund. Hiermit bricht Kilar auch das starre Gebilde, das noch im Boléro vorherrschte und zeigt, dass die Musik bei ihm keine platte Wiederholung ist, sondern mehr will.
Das erste Moment der Spannung entsteht daher auch genau dort, wo die Streicher als Harmoniegeber die Harfe komplett ablösen und stattdessen starke Bässe mit dem Tamburin in einen schlendernden Rhythmus einsteigen. Dieses schreitende Element ist es, das von dort an auch die Komposition bestimmt. Wie zum Beginn einer Reise – immerhin basiert „Exodus“ auf dem 2. Buch Mose, in dem die Auswanderung der Israeliten aus Ägypten geschildert wird.
Dass Kilars Verständnis über eine Nacherzählung des biblischen Mythos hinausgeht, ergibt sich allerdings aus Aussagen von ihm. Demzufolge wollte er mit diesem 1979 komponierten und 1981 uraufgeführten Werk in Zeiten der polnischen Solidarność-Bewegung vor allem ein Sinnbild der Solidarität und Völkerverständigung schaffen. So sollen ein Besuch bei Papst Johannes Paul II sowie die zunehmende (auch religiöse) Solidarität in Polen unter der Sowjetischen Besatzung Anlass für ihn gewesen sein, dieses Stück zu komponieren. Ob und inwiefern er damit auch das Ziel der Unabhängigkeit Polens anstimmen wollte, was sich 1989 dann auch bewahrheitete, ist stattdessen nicht bekannt.
Die Musik selbst hat jedenfalls nichts Nationalistisches, Revolutionäres oder Aufrührerisches. Viel eher bildet sie den Weg hin zu einem erlösenden Ziel ab, das schließlich in seiner Strahlkraft an Orchestergiganten, wie Ludwig van Beethovens neunte Sinfonie, Gustav Mahlers zweite Sinfonie, Asger Hameriks Chorsinfonie und vergleichbare Sinfoniekantaten erinnert.
Um dorthin zu gelangen, schreitet das Hauptthema bei Kilar verschiedenste Stationen ab. Sei es in den Holzbläsern zu den stampfenden Rhythmen von Kontrabässen und Klavier, zur choralartigen Begleitung der 6 Hörner, in schillernden Farben mit Klavier und Celesta, im breit aufgefächerten Streicherchor, zu feurigen Rhythmen mit Trommel und Pauke in vollem Orchester oder mit donnernden Fanfarenstößen der jeweils 6 Trompeten und Posaunen. Vergleichbares kennt man auch dem letzten Satz von Ottorino Respighis ebenfalls beeindruckenden „Die Pinien von Rom“ – nur, dass Kilar für seinen Höhepunkt keine Orgel benötigt.
Stattdessen setzt bei Kilar auf dem Höhepunkt überraschend der große, gemischte Chor ein, der mit dem Text „Domine, domine deus, domine deus unus“ im Wesentlichen die zentralen Gedanken der lateinischen Kirchenmesse rezitiert und damit eine Lobeshymne auf den Schöpfergott als Ziel dieser Reise anstimmt. Nach dem vorherigen Trubel im Orchester sind dessen herausgestoßenen Worte zum Trompetenschmettern ein nicht nur völlig unerwarteter sondern auch noch geradezu triumphaler Einsatz.
Der Chor ist es auch, der von da an die letzten Minuten dieser Komposition bestimmt. Ob nun das gesprochene „Ecce venit populus tuus Domine“ („Hier kommt dein Volk, Herr“). Oder das feierliche „Hosanna homini, hosanna ei, qui venit hodie in nomine Domini“ („Hoch gelobt sei der Mensch, hoch gelobt sei, der heute im Namen des Herrn kommt“), das diese Komposition in ihren Abschluss führt. Ein Ende, das Kilar auch noch dadurch verstärkt, dass er die Musik vom bisher bestimmenden Moll ins Dur moduliert und dadurch ein Finale voller Strahlkraft und Energie schafft.
Dass Kilars Komposition nicht mindestens auf einer Stufe mit den so genannten „großen Meistern“ aufgeführt wird, lässt sich eigentlich nur durch einen eingeschlafenen Kulturbetrieb erklären. Natürlich mag es ein Faktor sein, dass religiöse Themen heutzutage nicht mehr so hoch im Kurs stehen, wie früher. Gleichzeitig sollten wir aber nie vergessen, was wir davon lernen können. Denn Themen, wie Hoffnung, der Glaube an das Gute und dass am Ende einer jeden Reise ein Ziel steht, für das es sich lohnt, sind Dinge, an denen jeder Mensch gewinnen kann.
Gerade auch Kilars Musik könnte für uns also ein Leuchtfeuer dieser Tugenden sein, von denen wir in unserem Alltag immer weniger spüren. Mindestens in diesem Punkt also hat seine Musik nach wie vor eine sehr aktuelle, sehr wichtige Botschaft zu vermitteln, die man nicht oft genug wiederholen kann. Wie wäre es also mal damit, sein „Exodus“ aktiver in unsere Konzertgestaltung einzubinden? Idealerweise in Kombination mit seinen beiden (nicht weniger beeindruckenden) Werken „Die Mutter Gottes“ und „Angelus“? Ich denke, darin würde für uns ein viel größerer Mehrgewinn liegen, als in der zigsten Wiederholung von Mozart, Beethoven und Co.
Daniel Janz, 21. Januar 2024, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at