So sieht der Wiener klassik-begeistert-Reporter Herbert Hiess
das Opern- und Klassikjahr 2023
Foto © Wiener Staatsoper
von Herbert Hiess
Wenn ich von unserem Herausgeber ersucht werde die persönlichen Highlights des vergangenen Jahres bekannt zu geben, wird es tatsächlich schwierig – vor allem, was die „Kunstform“ Oper anbelangt.
Denn mittlerweile ist man an einer Phase angelangt, die man gelassen als Generationenkonflikt bezeichnen kann. Auf der einen Seite in die Jahre gekommene Damen und Herren, die auf jahrzehntelange Erfahrung und vielleicht eine profunde Werkkenntnis blicken können… und auf der anderen Seite das junge (bzw. jung gebliebene) Publikum, das noch irgendeine Art von Prägung benötigt.
Und dazwischen stehen viele Regisseure, die oft mit Werk-Unkenntnis und einer gehörigen Portion Chuzpe ausgestattet sind und beinhart über die Intentionen der Librettisten und Komponisten „drüberfahren“. Und dazu gehören die Intendanten, die diese Leute bedenkenlos engagieren – und damit bedenkenlos ihr Hausrepertoire oftmals demolieren.
Deswegen tut man sich tatsächlich schwer, seine persönlichen „Highlights“ rauszufiltern – die spärlichen Favoriten waren dann Ligetis „Le Grand Macabre“ (György Ligeti, Le Grand Macabre, Georg Nigl, Marina Prudenskaya, Slowakischer Philharmonischer Chor, Pablo Heras-Casado 14. November 2023, Wiener Staatsoper – Klassik begeistert (klassik-begeistert.de)), die „Frau ohne Schatten“-Wiederaufnahme unter Thielemann und vor allem im Theater an der Wien die maßlos unterschätzte Weinberger-Oper „Schwanda der Dudelsackpfeifer“ – die schandbar schlecht besucht wurde. Bei letzterem Opus konnte Tobias Kratzer mit einer modernen, aber wenigstens schlüssigen und intelligenten Regie überzeugen.
Das tatsächliche Regie-Trauma war dann Claus Guths absurde Interpretation von Puccinis „Turandot“, wo man sich tatsächlich fragen musste, ob er das Publikum mit seiner persönlichen Version des Märchens „Des Kaisers neue Kleider“ pflanzen will oder das tatsächlich ernst meint. Puccinis letzte Oper braucht überall die besten Leute; auch am Dirigentenpult. Da reicht es nicht, dass ein Routinier wie Marco Armiliato den Taktstock schwingt; diese Oper hat sich weit mehr verdient. Nur gut, dass die großartige Asmik Grigorian und der ebenbürtige Jonas Kaufmann wenigstens so eine Art Ereignis daraus machten.
Jaja, die Dirigenten. Gerade zum Jahreswechsel kommt da das Neujahrskonzert gerade recht, das immer mehr zum „Beliebigkeits-Event“ wird. Heuer; also 2024 konnte Christian Thielemann wieder am Pult der Wiener Philharmoniker die Wiener Philharmoniker leiten. Diese spielten natürlich wie immer in höchster Perfektion – aber weit unter die Oberfläche drangen die Musiker und Thielemann nicht vor. Natürlich war da alles perfekt. Unangenehm fiel beispielsweise die „Neue Pizzicato-Polka“ auf; da fehlten Phrasen, Zwischentöne usw. Leider nur lieblos runtergezupft.
Deswegen war mein Highlight dann doch das Neujahrskonzert 2023 unter Franz Welser-Möst, das das aktuelle unter Thielemann in den Schatten stellte (Neujahrskonzert Wiener Philharmoniker, Franz Welser-Möst Musikverein, Wien, 30. Dezember 2022 – Klassik begeistert (klassik-begeistert.de)).
Die Dirigentenmisere geht insofern weiter, dass großartige Dirigenten (vor allem Teodor Currentzis oder Valery Gergiev) aus politischen Gründen „ausgegrenzt“ werden und damit die Leere bei Stardirigenten mehr als deutlich machen.
So hängen die Spitzenkonzerte tatsächlich bei wenigen Leuten wie Thielemann oder Riccardo Muti; nur beispielsweise Thielemanns relativ enges Repertoire macht dann wieder bei der Programmierung der Konzerte gröbere Probleme – Wiederholungen sind da natürlich hausgemacht.
Also sind die persönlichen Highlights für 2023 nicht ganz ungetrübt; vor allem was die Oper anbelangt. Aber irgendwie muss es eine Rückbesinnung zu einer Art von „Werktreue“ geben. Wie sonst soll man Kindern, Jugendlichen und interessierten Menschen diese Kunstform näher bringen? Da könnte es eher passieren, dass man das Gegenteil erzielt. Und das will niemand!
Herbert Hiess, 2. Januar 2024, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
S I L V E S T E R K O N Z E R T , Richard Wagner Philharmonie Berlin, 29. Dezember 2023
Die Lieblingsopern und -konzerte von klassik-begeistert im Jahr 2023 31. Dezember 2023
Zu kritisieren, dass Armiliato ungenügend sei und die Turandot einen besseren Dirigenten verdient hätte, zeugt von Unwissen und Ignoranz. Der kundige Opernfreund weiß, dass der schwer erkrankte Welser-Möst die Produktion dirigieren sollte! Armiliato hat dankenswerterweise übernommen!
Waltraud Becker
Bravo Sheryl!!!
Es ist schon schauerlich, wie diese Sippschaft von Möchtegernregisseuren die Opernwelt kaputt macht.
Werner Booz
„Es muss eine Art Rückbesinnung zu einer Art von „Werktreue“ geben“… NEIN! Es muß eine Rückkehr zur Werktreue geben, Schluss, Punktum!!! Mozart, Verdi, Wagner, Puccini, Donizetti, um nur ein paar Komponisten zu nennen, deren Werke uns seit Jahrzehnten wenn nicht Jahrhunderten begleiten, verdienen es nicht, wie Dreck behandelt zu werden. Sollten die Intendanten Leutchen wie Guth, Konwitschny, Bieito und Co. nicht mehr unter Vertrag nehmen, würden diese bestimmt entweder von der Bildfläche verschwinden oder auf einmal „normal“ werden, damit sie sich vom Hungertuch ernähren müßten.
Sheryl Cupps
Sehr geehrter Kollege Cupps!
Den Begriff Werktreue sehe ich skeptisch. Siehe auch Schweitzers Klassikwelt 88 „Wie erlebte man die Opern zur Zeit ihrer ersten Aufführungen im Vergleich zu heute“. Die Gefühlswelt war oft eine andere. Ich musste mich im Laufe der Jahre von der romantisch-gymnasialen Vorstellung lösen, Künstler hätten für die Ewigkeit geschrieben. Dichter und Komponisten träumten im Hier und Jetzt von vielen Vorstellungen. Deshalb auch die verschiedensten Adaptierungen. Außerdem bergen viele Werke eine enorme Eigendynamik in sich.
Mit lieben Grüßen
Lothar Schweitzer