Foto: Kapellmeister Mino Marani und Ensemble beim Schlussapplaus; Foto Patrik Klein
Das Rheingold
Musikdrama von Richard Wagner
Vorabend des Bühnenfestspiels »Der Ring des Nibelungen« in vier Bildern
Dichtung vom Komponisten
in deutscher Sprache mit Übertiteln
Staatstheater Braunschweig, 5. November 2022
von Patrik Klein
Das Rheingold: Ausweitung des Ringgebietes in Braunschweig
– Braunschweig – Wagner – Das Rheingold –
Als mit den Schlussakkorden Brünnhilde mit fauchender Fackel in der Hand schreiend und Verse (Wagner – a piece like fresh chopped eschenwood von Thomas Köck) deklamierend auf Walhall zu rennt, um es zu zerstören, lagen knapp 3 Stunden Musiktheater mit neuen Ansätzen und Sichtweisen hinter dem gespalten applaudierenden Publikum.
Isabel Ostermann, Regisseurin am Staatstheater Braunschweig, hat in der Saison 2022/23 viel vor mit Wagners Tetralogie um den Ring des Nibelungen. Sollen doch im Rheingold schauspielerische Akzente gesetzt werden mit Figuren, die eigentlich zeitlich erst viel später auftauchen. Doch nach Wagners kompositorischem „Antizyklus“ sind sie bereits am Anfang da, denn der Meister komponierte „Das Rheingold“, als die drei wesentlichen Teile bereits vorlagen. Er suchte „lediglich“ nach einer plausiblen, erklärenden Einführung. Der Fokus bei der bald folgenden „Die Walküre“ soll auf dem Schauspiel der Autorin Caren Jeß basieren. „Siegfried“ wird der Komponist Steffen Schleiermacher und der Choreograf Gregor Zöllig mit Tänzerinnen und Tänzern gestalten. Schließlich kommen bei der „Götterdämmerung“ zum Ende der Saison 2022/23 dann alle Sparten des Staatstheaters Braunschweig zusammen und erproben neue Aspekte des gemeinsamen Kunstschaffens.
Eine spartenübergreifende Interpretation vom Regieteam um Isabel Ostermann baute im Rheingold drei Schauspieler in die Handlung, Brünnhilde, Hunding und Hagen ein, die stumm oder mit gesprochenen Versen eingriffen und die schrecklichen Bezüge zu „Macht gegen Liebe“ besonders in der heutigen Zeit herstellten. Das war dann auch für viele im Saal gewöhnungsbedürftig als Brünnhilde, gespielt von der stark auftrumpfenden Nina Wolf, ihren Vater immer wieder lautstark auf den rechten Weg bringen wollte. Vergeblich!
Alle wichtigen Protagonisten der Tetralogie standen von Anfang an auf der Bühne. Diese Situation beschrieb den Entstehungsprozess von der Götterdämmerung zum Vorabend. Vom Untergang in der dazugehörigen Vorgeschichte. Ganz wie es Wagner von der Reihenfolge her auch komponierte.
Wotan, dem Gott der Verträge, ging es um Machtzuwachs, dargestellt im Bild Walhalls. Dafür war er bereit, die Liebe zu verkaufen in Gestalt von Freia. Gleichzeitig verkaufte er damit auch die Grundlage alles Göttlichen, die Jugend. Nur die Intervention Frickas veränderte die Vertragsbedingungen. Aber auch hier hing Wotan an der Macht und schaffte es nur durch die Mahnung Erdas, den Ring und damit Macht abzugeben. Auch Wotan erzwang Liebe und zeugte Brünnhilde.
Ebenso Alberich entsagte der Liebe zu Gunsten der Macht. Und er erzwang die Liebe indem er einen Sohn, Hagen, zeugte. Auch dieser trat hier als Schauspieler auf, buhlte um Alberichs Liebe und versagte schließlich.
Das Publikum musste im Laufe der aufregenden Inszenierung erkennen, dass Macht und Liebe zu vereinen bereits am Vorabend gescheitert und für beide Protagonisten verloren war – ohne jede Hoffnung.
Man darf bereits jetzt gespannt sein, wie diese ungewöhnlichen Pläne für die weiteren drei Abende ausgestaltet werden. Das Konzept setzt Anreize besonderer Art, das für Überraschungen und Wagnerianer störende Elemente sorgen könnte.
Musikalisch gab es einen fesselnden Orchesterklang aus dem Graben und den beiden Proszeniumslogen mit Schlagwerk und Harfen. Mino Marani dirigierte das Staatsorchester Braunschweig mit zügigen Tempi und herrlich anzuhörender Dynamik. Kleine Unsicherheiten bei den Einsätzen oder gelegentliche Patzer im Blech überhörte man gerne. Auch schaffte man es, nach der 15minütigen Unterbrechung, bedingt durch technische Probleme mit der Untermaschinerie, den Flow schnell wieder aufzugreifen und die Angelegenheit rasch zu vergessen.
Gesanglich geriet der Abend auf sehr hohem Niveau, vor allem, weil die Hauptpartien exzellent besetzt waren. Ein großartiger Wotan von Aris Argiris, der nicht nur mit fulminanter Stimme, sondern auch mit schauspielerischer Klasse den zielstrebigen Widerling gab und nicht im Ansatz erkennen lassen wollte, dass auch ein liebevolles Herz in ihm schlagen könnte. Thomas Mohr spielte und sang den listigen Strippenzieher Loge mit sicherst eingesetzter Tenorstimme, sauberen Höhen und fein artikulierten Phrasierungen. Eine schauspielerische und auch gesangliche Meisterleistung durch Michael Mroseks Alberich ließ den Atem der gebannten Zuhörerschaft gelegentlich stocken. Von den Damen machte Betsy Horne (kurzfristig eingesprungen als Freia) und vor allem die wunderbare Catriona Morison als Fricka mit ihrem samtig und schön abgedunkelten Mezzosopran den stärksten Eindruck.
Riesen, Donner und Froh sowie die Rheintöchter komplettierten ein ausgesprochen ausgewogenes Ensemble.
Das Ringkonzept in Braunschweig startete beachtlich und machte neugierig auf mehr.
Patrik Klein, 6. November 2022, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
BRAUNSCHWEIG: Das Rheingold – Premiere am 8. Oktober 2022 Staatstheater Braunschweig 8. Oktober 2022
Charles Gounod, Faust, Braunschweiger Staatstheater, 23. Oktober 2019