Die Hugenotten von Meyerbeer: eine Aufführung der Extraklasse in der Semperoper Dresden

Die Hugenotten, Musik von Giacomo Meyerbeer  Semperoper Dresden, 22. Oktober 2022

Foto: »Les Huguenots/Die Hugenotten« © Semperoper Dresden/Ludwig Olah

Les Huguenots / Die Hugenotten
7. Vorstellung seit der Premiere am 29. Juni 2019

Die Hugenotten
Musik von Giacomo Meyerbeer
Text von Eugène Scribe und Émile Deschamps

Sächsische Staatskapelle Dresden
Sächsischer Staatsopernchor
Knaben des Kinderchores der Sächsischen Staatsoper Dresden
John Fiore, Dirigent
Peter Konwitschny, Inszenierung
Johannes Leiacker, Bühnenbild und Kostüme

Solisten
Raoul de Nangis, Sergey Romanovski
Marcel, Lawson Anderson
Catherine de Médicis, Sabine Brohm
Marguerite de Valois, Elena Gorshunova
Graf de St. Bris, Tilmann Rönnebeck
Valentine, seine Tochter, Jennifer Rowley
Graf de Nevers, Dimitris Tiliakos
Urbain, Page der Marguerite, Štĕpánka Pučálková
und weitere Solisten

Semperoper Dresden, 22. Oktober 2022

von Olaf und Brigitte Barthier

Eine Grand Opéra in einem der schönsten Opernhäuser

Die Uraufführung fand am 29. Februar 1836 im Le Peletier in Paris statt. Es war Meyerbeers zweite große Oper, die nach „Robert, der Teufel“ zur Aufführung gekommen ist. Sie ist allein in Paris wohl über 1000 mal aufgeführt worden und gehört damit zu den meistgespielten Opern im 19. Jahrhundert.

Auch in Dresden gehörten „Die Hugenotten“ bis in die 1920er-Jahre zum Repertoire des Opernhauses. Durch den aufkommenden Antisemitismus und die Machtübernahme der Nationalsozialisten verschwand Meyerbeer vom Spielplan der Opernhäuser.

Die von uns besuchte Aufführung ist eine Inszenierung von 2019, rückgehend auf einen in Dresden nicht unbekannten Regisseur und dessen Team. Er hat in Dresden bereits vieles inszeniert, in den 90er-Jahren Richard Wagners „Tannhäuser“, noch heute im Repertoire der Semperoper vertreten. In der letzten Spielzeit brachte er Schostakowitschs „Die Nase“ zur Aufführung.

Der hochverehrte Altmeister Peter Konwitschny ist ein absoluter Könner in seinem Fach. Eine der besonderen Herausforderungen bei Meyerbeers Oper war nun, eine große Anzahl von Solisten und einen großen Chor szenisch auf die Bühne zu bekommen. Konwitschny bediente sich dabei an Motiven aus bedeutenden Werken der Kunstgeschichte. Herausragend war Leonardo da Vincis „Abendmahl“, welches auch auf den Vorhängen zu den einzelnen Akten abgebildet war und von Akt zu Akt kleiner wurde.

Als der Vorhang zum ersten Akt gezogen wurde, sah man zunächst eine Leinwand mit dem Abendmahlsbild, woraufhin jene Tischgemeinschaft szenisch auf der Bühne dargestellt wurde. Die Protagonisten verweilten einen Moment in ihrer Pose, bevor sich einzelne Personen nach und nach lösten und die Handlung begann.

»Les Huguenots/Die Hugenotten« © Semperoper Dresden/Ludwig Olah

Der Regisseur wählte dieses Bildmotiv sehr trefflich, da zwischen den beiden Konfessionen gerade die Auslegung der Abendmahlsfeier damals ein unüberwindbarer Streitpunkt war, der bis heute tatsächlich  nicht überwunden ist. In einem Interview weist Konwitschny darauf hin, dass das Abendmahl symbolisch dafür steht, dass der Verrat bereits am Tisch beiwohnt und anschließend der Terror beginnt. Diesen Verlauf nimmt auch die Oper; sie gipfelt in dem Massaker der Bartholomäusnacht.

Die Kostüme im ersten Akt suggerieren noch die Zeit, in der die Handlung spielt – nämlich im Paris von 1572. Die Kleidung der Katholiken war beherrscht von einem intensiven Rot und aufwendigen Draperien, im Gegensatz dazu die Hugenotten im strengen und eigentlich farblosen Schwarz und Weiß. Der gesamte erste Akt ist beherrscht von der ausgelassenen Feier der Katholiken, die eingeladenen Hugenotten waren befremdet.

Im zweiten Akt versetzt uns der Regisseur mit seinem Bühnenbild in eine weitere Kunstepoche, und zwar in die Welt der „Badenden“ des Jean Auguste Dominique Ingres. Dementsprechend setzt Konwitschny zwei Musikerinnen mit auf die Bühne und ins Geschehen, eine Flötistin und eine Harfenistin. Mit diesem Bühnenarrangement veranschaulicht sich ein typisches Regieinstrument von Konwitschny: die Annäherung der Gegenwart über verschiedene historische Epochen im Laufe des Stücks. In jener heiteren Badszene verführt Marguerite de Valois den Hugenotten Raoul dazu, einer Heirat mit einer Katholikin zuzustimmen. Sie hofft, dadurch Frieden zwischen den beiden Glaubensgruppen zu stiften.

»Les Huguenots/Die Hugenotten« © Semperoper Dresden/Ludwig Olah

Wie wir wissen, gelingt das nicht, und mündet im fünften Akt in einer Katastrophe, einem blutigen Massaker. In Paris sterben damals etwa 3000 Menschen. Der Regisseur inszeniert es erschütternd. Zahlreiche Menschen, die in verschiedenen Gruppen über die dunkle Bühne flüchten, werden erschossen. Dabei tragen die Katholiken Uniformen, die auf das 20. Jahrhundert verweisen.

Die besondere Herausforderung bei der Inszenierung dieser Oper liegt darin, dass es keine endgültig autorisierte Fassung gibt. Bei der Dresdner Inszenierung hat Konwitschny eine für das Verständnis des Zuschauers entscheidende Szene eingespielt, die bei früheren Aufführungen meist gestrichen wurde. Es ist die sogenannte „Schlüssellochszene“, in der Valentine den Grafen Nevers um die Auflösung ihrer Verlobung bittet, um damit frei zu sein für Raoul. Dieses beobachtet Raoul allerdings, leitet davon aber die falschen Schlüsse ab, was letztendlich zu dem verheerenden Ausgang der Geschichte führt. Wie bringt Konwitschny das auf die Bühne? Er verschiebt die rechte Bühnenseite ein Stück nach links, sodass ein kleiner Guckkasten entsteht, der etwa ein Achtel der Bühne einnimmt, in welchem die Szene stattfindet.

Zur musikalischen Ausgestaltung: Der Staatsopernchor der Semperoper ist eine Klasse für sich! Man spürt hier sofort, dass an diesem Haus einer der großen Hausgeister Carl Maria von Weber ist, jener, der dafür gesorgt hat, dass dieses Opernhaus über ein festes Chorensemble verfügt, welches sich nicht nur musikalisch, sondern auch im Spiel zu Höchstleistungen entwickelt hat. Für die Choristen war es eine besondere Herausforderung, aus dem Standardrepertoire mit italienischer und deutscher Oper nun in eine französische Grand Opéra umzusteigen. Das ist ihnen mit Bravour gelungen. Unterstützt wurde der Chor durch den Regisseur, indem er kleine Spielrollen für einige Chormitglieder gestaltete.

»Les Huguenots/Die Hugenotten« © Semperoper Dresden/Ludwig Olah

Das Orchester hat nicht ohne Grund eine herausragende Stellung innerhalb der deutschen Orchesterlandschaft. Es handelt sich hier nicht um ein Festspielorchester, das wie in einem Mikrokosmos jeden Abend den gleichen Komponisten spielt, sondern um ein Ensemble in einem Dreispartenhaus, wo jeden Abend ein anderes Stück gespielt wird und unterschiedliche Dirigenten am Pult stehen – bis hin zum einerseits umstrittenen und andererseits weltweit hoch geschätzten Chefdirigenten.

Bei Meyerbeer ist ein großes Orchester mit extra viel Blech notwendig. Die besondere Herausforderung besteht darin, dass in diesem Stück auch kammermusikartige Stücke und Solopartien zu spielen sind, was ebenso eine große Herausforderung für den Dirigenten darstellt. Die von uns besuchte Vorstellung wurde von John Fiore exzellent geführt. Es gelang ihm, Pathos und Emotionen herauszustellen, er ließ den Solisten genügend Raum.

Nun zu einigen der Solisten: Sergey Romanovski als Raoul, ein jugendlicher Heldentenor, brillierte mit einer warmen und ausdrucksstarken Stimme. Lawson Anderson in der Rolle des Marcel, ein Charakterbass mit einer kraftvollen Stimme und intensiven Bühnenpräsenz. Elena Gorshunova spielte Marguerite de Valois, Königin von Navarra, ein dramatischer Koloratursopran; sie interpretierte ihre Rolle mit einem warmen, doch energischen Timbre und überzeugte mit ihrer großen Spielfreude. Tilmann Rönnebeck, nun als Graf de St. Bris, war ein überzeugender Charakterbariton. Jennifer Rowley als Valentine, ein jugendlich dramatischer Sopran, ihr Vortrag mit viel Einfühlungsvermögen und Pathos. Dimitris Tiliakos sang den Graf de Nevers, Verlobter der Valentine, ein lyrischer Bariton, feinfühlig und differenziert im Vortrag. Štĕpánka Pučálková als Page der Marguerite, ein Mezzosopran, füllte ihre Rolle mit Leichtigkeit und Humor.

»Les Huguenots/Die Hugenotten« © Semperoper Dresden/Ludwig Olah

Das gesamte Solistenensemble brillierte in allen Facetten und machte diese Aufführung zu einem musikalischen Ereignis der besonderen Klasse.

Giacomo Meyerbeer, am 5. September 1791 auf der Poststation Tasdorf nahe Berlin als Jakob Liebmann Meyer Beer geboren, im gleichen Jahr, in dem Mozart in Wien verstorben ist. Er stammte aus einer wohlhabenden jüdischen Familie, der Vater leitete die traditionsreiche Familienbank und war außerdem Zuckerfabrikant. Seine Begabungen wurden besonders von seiner Mutter vielfältig gefördert, seine Lehrer waren namhafte Pädagogen wie Clementi, Zelter und Abt Vogler.

Wie alle Komponisten in dieser Zeit, wollte auch Giacomo Meyerbeer nach Paris. Er hatte gleich mit seiner ersten Oper großen Erfolg und war über viele Jahre der bedeutendste Opernkomponist an der Pariser Oper. Auf dem Zifferblatt der Operngeschichte steht Meyerbeer als Reformer zwischen Christoph Willibald Gluck und Richard Wagner. Er entwickelte die französische Oper zur Grand Opéra mit großem Ensemble und aufwendigen Balletteinlagen. Meyerbeers großartige Opern waren für zahlreiche nachfolgende Komponisten eine wichtige Schatztruhe, aus der sie sich großzügig bedient haben.

Seinen Erfolg nutzte Meyerbeer unter anderem dazu, andere Musikerkollegen zu unterstützen. In diese Gunst kam ebenso Richard Wagner. So gelang es Meyerbeer 1841 durch ein Empfehlungsschreiben für Richard Wagner an das damalige Hoftheater in Dresden, dass die in Paris abgelehnte Oper „Rienzi“ von Wagner in Dresden uraufgeführt werden konnte. Die erste Empfehlung von Meyerbeer, Wagners „Liebesverbot“ in Paris aufzuführen, scheiterte bedauerlicherweise an fehlenden finanziellen Mitteln des Opernhauses, das auch bald darauf schließen musste. Trotz Wagners Erfolg in Dresden, ist es ihm nie gelungen, sich in Paris zu etablieren. Selbst seine Oper „Tannhäuser“, für die er extra eine Pariser Fassung erarbeitete, brachte am 13. März 1861 nicht den gewünschten Erfolg, sondern – im Gegenteil – einen großen Skandal. Das Ballett befand sich nicht, entsprechend der Grand Opéra, im 2. Akt!

Die gerade für Dresden besondere Bedeutung von Giacomo Meyerbeer wird nun hoffentlich in der Semperoper mehr Beachtung finden – und es sollte nicht wieder 100 Jahre dauern, bis ein Werk dieses wunderbaren Komponisten zur Aufführung gebracht wird.

Olaf und Brigitte Barthier, 31. Oktober 2022, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

Giuseppe Verdi, La Traviata Semperoper Dresden, 2. Oktober 2022 PREMIERE

Giuseppe Verdi, La Traviata Semperoper Dresden, 2. Oktober 2022 Premiere

Die Zauberflöte Wolfgang Amadeus Mozart Semperoper Dresden, ab 29. Oktober 2022

2 Gedanken zu „Die Hugenotten, Musik von Giacomo Meyerbeer
Semperoper Dresden, 22. Oktober 2022“

  1. Catherine de Médicis, Sabine Brohm

    wunderbar analysiert, ich frage mich nur wie kommt denn die Medici in die Dresdner Besetzungsliste – kommt nicht in der besprechung vor? finde sie seit jahrzehnten auch nicht in anderen besetzungen oder gar im klavierauszug gelistet.
    kann jemand vom team dazu helfen?

    1. Lieber Herr Keller, hier die Antwort unseres Autoren:

      Die vermeintliche Person ist nur die der Urfassung, und wurde vor der ersten Aufführung, durch die Zensur in Paris, aus dem Stück gestrichen. Der Regisseur in Dresden hat darauf bestanden, dass er die Königin mit dieser Aussage in das Stück aufnimmt. Historiker streiten sich darüber, ob die Anweisung für diese Blutnacht durch solch einen Impuls ausgebrochen ist…

      Andreas Schmidt, Herausgeber

Schreiben Sie einen Kommentar

Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert