Hamburger Ballett-Tage: Nach dem Beifall für Elisa Badenes und Friedemann Vogel schwillt der Jubel beim Auftreten von John Neumeier zum Orkan an

Die Kameliendame, Ballett von John Neumeier nach dem Roman von Alexandre Dumas d.J.  48. Hamburger Ballett-Tage, Aufführung vom 4. Juli 2023, Staatsoper Hamburg

John Neumeier überreicht Elisa Badenes einen Rosenstrauß, rechts daneben Friedemann Vogel (Foto: RW)

Und dennoch, besser als vom Stuttgarter Ballett habe ich Neumeiers Kameliendame bei auswärtigen Ensembles bisher nicht gesehen

48. Hamburger Ballett-Tage, Aufführung vom 4. Juli 2023


Die Kameliendame

Ballett von John Neumeier nach dem Roman von Alexandre Dumas d.J.

Musik: Frédéric Chopin

Bühnenbild und Kostüme: Jürgen Rose

Gastspiel des Stuttgarter Balletts
Musikalische Leitung: Wolfgang Heinz
Am Flügel: Andrej Jussow, Chie Kobayashi

von Dr. Ralf Wegner

Es war eine schöne, viel bejubelte Aufführung im ausverkauften Haus der Hamburgischen Staatsoper. Der Beifall galt vor allem den Stuttgarter Ersten Solisten Elisa Badenes und Friedemann Vogel. Dem 43-jährigen Stuttgarter Startänzer haftet noch soviel Jugendlichkeit an, dass man ihm die Rolle des unerfahren von der Liebe überwältigten Armand Duval ohne weiteres abnahm. Der um gut ein Jahrzehnt jüngeren Elisa Badenes war die Rolle der lebens- und liebeserfahreneren Marguerite Gautier anvertraut.
Beide tanzten ausgezeichnet; dennoch wollte ihre Darstellung nicht völlig ergreifen. Während der dritte, der schwarze Pas de deux wegen der blendend und rasant absolvierten technischen Schwierigkeiten für sich einnahm, fehlte es im zweiten, dem weißen Pas deux, nicht an technischer Finesse, sondern eher an emotional tiefer berührender Kraft, Liebesempfindung und vor allem Lebensfreude zu vermitteln. Unter den weiteren Protagonisten gelang das Mizuki Amemiya herausragend, ihr Lächeln und ihr Spiel als Olympia nahmen sofort für sie ein. Auch überzeugte Jason Reilly als Armands Vater. Daiana Ruiz und David Moore tanzten Prudence Duvernoy und Gaston Rieux.

Jason Reilly als Monsieur Duval und Mizuki Amemiya als Olympia (Foto: RW)

Das zweite für das Ballett wichtige Paar, die als Spiegel der beiden Hauptpersonen dienenden und in das Leben von Armand und Marguerite einbezogenen Theaterfiguren Manon Lescaut (Anna Osadcenko) und Des Grieux (Matteo Miccini) blieben dagegen tänzerisch eher blass.

Was fehlte ihnen: Die absolute Identifikation mit ihren Rollen, vor allem bei Miccini der unbedingte Wille vom tänzerischen Ausdruck her mit Armand und Marguerite auf gleicher Höhe mitzuhalten.

Diese Forderung mag anmaßend sein, und sie ist es wohl auch, zumindest im Allgemeinen. Denn der unbedingte Wille, das Innere nach außen zu kehren und in den Dienst von Neumeiers Rollen zu stellen, ist offensichtlich eine Befähigung, die in der Breite (fast) nur von den Hamburger Tänzerinnen und Tänzern erfüllt wird. Und das liegt an der mittlerweile jahrzehntelangen Schulung durch den Hamburger Ballettdirektor, neben dem Beherrschen des Technischen vor allem die tänzerischen Persönlichkeiten dahin zu entwickeln, die Seele auf der Bühne mit der Rolle völlig verschmelzen zu lassen.

Das Stuttgarter Ensemble (Foto: RW)

Um ein Beispiel für ein auf gleicher Höhe agierendes Quartett zu nennen: 2013 rissen Hélène Bouchet und Thiago Bordin als Marguerite und Armand sowie Alexandre Riabko und Silvia Azzoni als Manon und Des Grieux zu Begeisterungsstürmen hin. Azzoni und Riabko waren auch unvergleichlich als Marguerite und Armand, zum Glück ist ihr schwarzer Pas de deux auf Film gebannt worden (YouTube), leider nicht ihr grandioser Schluss-Pas de deux in Crankos Onegin (2014-2015).

 

Und dennoch, besser als vom Stuttgarter Ballett habe ich Neumeiers Kameliendame bei auswärtigen Ensembles bisher nicht gesehen.

Im Programmzettel der gestrigen Aufführung finden sich Sternchen hinter den Namen von Friedemann Vogel und Jason Reilly, beide tragen den Titel Kammertänzer. Warum hat eigentlich in Hamburg bisher niemand diese Auszeichnung erfahren? Viel wichtiger aber ist, dass die Tradition des Hamburger Balletts unter der neuen Direktion erhalten und weiter gepflegt bleibt. Dazu gehört auch, das Ensemble zu halten, damit die aus der Ballettschule Nachwachsenden von den Erfahreneren unverändert profitieren können. Sollte es anders sein, wird sich der Zuschauerraum, mit allein während dieser Ballett-Tage vermutlich fast 40.000 Zuschauern, nicht mehr wie gewohnt füllen.

Dr. Ralf Wegner, 5. Juli 2023, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

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