Simone Alaimo und John Osborn begeistern in Gioachino Rossinis letzter Oper “Guillaume Tell”

Gioachino Rossini, Guillaume Tell  Opéra Royal Liège, 12. März 2025

Simone Alaimo © J. Berger / ORW-Liège

Die letzte Oper von Gioachino Rossini steht auf dem Programm der Opéra Royal de Wallonie-Liège. In einer sensiblen Darstellung inszeniert von Jean-Louis Grinda und unter der musikalischen Leitung von Stefano Montanari, erkämpfen sich Simone Alaimo als Guillaume Tell und John Osborn als Arnold Melchtal mit großartigem Singen nicht nur ihre Heimat, sondern auch die Herzen des Publikums.

Gioachino Rossini  (1813 – 1883)
Guillaume Tell
Oper in vier Akten
(Libretto von Victor-Joseph Étienne de Jouy und Hippolyte-Louis-Florent Bis)

Musikalische Leitung: Stefano Montanari
Inszenierung: Jean-Louis Grinda
Bühne: Eric Chevalier
Kostüme: Françoise Raybaud

Opéra Royal Liège, 12. März 2025

 von Jean-Nico Schambourg

Im Programmheft erklärt der Regisseur Jean-Louis Grinda, von 1996-2007 selbst Generaldirektor der Oper in Lüttich, dass man seiner Meinung nach dieses Werkes leidenschaftlich lieben muss, um es zu inszenieren. Seine Liebe dazu drückt sich aus in dem Vertrauen, dass sich das Werk selbst genügt und keine Verzerrung durch eine aufgekratzte Regie braucht.

So erleben die Zuschauer an diesem Abend eine klassische, angenehm anzusehende und doch sehr spannende Darstellung des Kampfes der Schweizer und ihres Volkshelden gegen die Habsburger.

Manchem wird die Herangehensweise von Grinda dabei vielleicht zu passiv, zu stereotyp erscheinen. Der Chor steht öfters bewegungslos in zwei, drei Reihen aufgestellt wie bei einem Konzert. Doch diese Statik zeigt die Unterdrückung des Volkes und seine Schwierigkeiten, sich aus dieser zu befreien. Die habsburgische Gewaltherrschaft wird hier nicht durch ekelerregendes Blutvergießen dargestellt. Gessler lässt das Volk im dritten Akt im Kreise herumlaufen, bis es ermüdet, willenlos zusammenbricht. Die physische Gewalt wird zwischendurch durch tänzerisch Einlagen eindrucksvoll angedeutet. Eine einfühlsame Deutung, die dem Humanismus dieses Monumentalwerks gerecht wird.

Das Bühnenbild von Eric Chevalier besteht aus drei Holzwänden, wobei die hintere sich beliebig öffnen und verschieben lässt und den Blick auf idyllische Landschaftsfotos freigibt. Die Bühne ist meistens leer und kommt mit wenigen Utensilien aus, wie zum Beispiel der Bug von Gesslers Schiff, Melchtals Sarg oder ein riesiges Kreuz.

Die Kostüme von Françoise Raybaud versetzen die Handlung in die Entstehungszeit der Oper.

John Osborn und Chor © J. Berger / ORW-Liège

Vorgetragen wird die französische Version. Von der Musik wird nichts weggelassen, sodass der Abend fast vier Stunden dauert (samt einer Pause). Kleine persönliche Randbemerkung: Leider gibt es seit jeher in Lüttich die schlechte Angewohnheit, den Beginn aller Opern (Ausnahme manchmal für Wagneropern) auf 20 Uhr festzulegen, sodass man das Opernhaus öfters erst gegen Mitternacht verlässt.

Die musikalische Seite der Aufführung liegt in den bewährten Händen von Stefano Montanari, der das Orchester der Opéra Royal de Wallonie-Liège mit viel Elan und Genauigkeit leitet. Das Orchester dankt es ihm mit vollem, rundem Klang und präziser Ausführung. Für die Einigkeit zwischen Dirigent und Orchester zeugt ein Moment vor Beginn der Ouvertüre: Auf seinem Pult findet der Dirigent einen Apfel, den er sich unter dem Lachen der Musiker auf den Kopf setzt. Dann beginnt der Abend mit einer fulminanten Ouvertüre. Wieder einmal besticht die in der Zwischenzeit erreichte hohe Qualität des Orchesters. Diese ist auch dem Chor zuzuschreiben (Einstudierung: Denis Segond). Diese Oper stellt durch seine vielen Massenszenen hohe Ansprüche an den Chor, die der Lütticher Chor sehr gut meistert.

Simone Alaimo und Elena Galitskaya © J. Berger / ORW-Liège

Bei den Solisten stechen hauptsächlich zwei hervor: Simone Alaimo als Wilhelm Tell und John Osborn als Arnold Melchtal. Ersterer singt mit vollem Bariton einen engagierten Titelhelden, der sein Land vom Joch der Habsburger befreien will. Zwei, drei gepresste hohen Töne im ersten Akt sind diesem leidenschaftlichen Einsatz zuzuschreiben und fallen somit nicht ins Gewicht. Umso bewegender seine Ansprache an Jemmy im dritten Akt, bevor er ihm den Apfel vom Kopf schiessen muss (“Sois immobile”). Alaimo lässt in dieser Szene seinen Bariton strömen, der den Zuhörer aber nicht Gessler tief berührt.

Auf demselben Level befindet sich der Arnold von John Osborn. Ob in Arie oder Ensembles ist es ein Genuss seiner Gesangskunst zuzuhören. Intelligente Phrasierung, perfektes Legato, weiche Stimmführung, gefühlvolle Piani, sichere Spitzentöne runden die Superleistung des amerikanischen Tenors ab.

Diese hohe Stimmqualität findet sich leider nicht bei der Mathilde von Salome Jicia wieder. Ihr spastisches Hervorstoßen der Töne erlaubt kein elegantes Singen auf der Linie. Besonders in den Duetten mit John Osborn fällt dieses Manko an Legato des Soprans enorm auf. Auch die Spitzentöne sind dementsprechend mehr geschrien als gesungen.

Elena Galitskaya, die an diesem Abend Geburtstag hat und deshalb bei ihrem Solovorhang vom Orchester mit einer Happy Birthday-Einlage gefeiert wird, läuft als Jemmy ihr den Rang ab. Mit klarem Sopran und präzisem Singen liefert sie einen burschikosen Sohn von Tell ab. Auch Emanuela Pascu feiert als Hedwige mit ihrem runden Mezzosopran einen erfolgreichen Einstand auf der Lütticher Opernbühne.

Inho Jeong singt mit sonorem Bass Gessler, Krešimir Špicer sowie Nico Darmanin mit durchschlagenden Tenorstimmen Rodolphe beziehungsweise den Fischer. Patrick Boilleire als Walter Fürst, Ugo Rabec als Mechtal sowie Tomislav Lavoie als Leuthold fügen sich perfekt ins Ensemble ein.

Beim Schlussvorhang kurz vor Mitternacht gibt es viel Applaus für alle Beteiligten, besonders aber für Simone Alaimo und John Osborn sowie das Orchester und seinen Dirigenten. Auch das Regieteam wird mit Zuspruch vom Publikum belohnt.

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