Mahler 3 in Köln: Zum Träumen schön spielt das Gürzenich-Orchester zum großen Finale auf

Gürzenich-Orchester Köln, Sara Mingardo,  Kölner Philharmonie

Foto: François-Xavier Roth, (c) wikipedia
Kölner Philharmonie, 30. September 2018

Sara Mingardo Alt
Frauen der Schola Heidelberg
Walter Nußbaum Einstudierung
Mädchen und Knaben der Chöre am Kölner Dom
Eberhard Metternich Einstudierung
Gürzenich-Orchester Köln

François-Xavier Roth Dirigent
Gustav Mahler – Sinfonie Nr. 3 d-Moll (1895–96, rev. 1899)

von Daniel Janz

„Symphonie heißt mir eben: mit allen Mitteln der vorhandenen Technik eine Welt aufbauen.“ Dieses Zitat Gustav Mahlers darf wohl in keinem Text über seine dritte Symphonie fehlen. Bereits durch seine „Titan“ genannte erste und dann seine bahnbrechende zweite „Auferstehungssymphonie“ zu Weltruhm gekommen, sprengte der deutsch-österreichische Komponist Ende des 19. Jahrhunderts in seiner dritten Symphonie noch einmal alle Grenzen. Tatsächlich erschuf er eine eigene musikalische Welt, die vom Erwachen der unbelebten Natur, über Blumen und Tiere im Walde zu Menschen und Engeln bis hin zur (göttlichen) Liebe reicht.

„Das ist seriöse Musik. Damit haben wir Franzosen Probleme“ – so resümiert François-Xavier Roth vorab über dieses musikalische Epos. Gleich an drei aufeinanderfolgenden Tagen inklusive Live-Aufnahme gedenkt der 1971 in Neuilly-sur-Seine geborene Dirigent dieses aufzuführen. Dazu stellte er sich vorab zur Konzerteinführung den Fragen des Moderators Holger Noltze und bewies neben Humor auch einen einzigartigen Blickwinkel.

So verriet er aus persönlicher Erfahrung, dass bei seinen bisherigen Aufführungen dieses Werks immer etwas schief gelaufen ist, dass Liebe eben doch nicht auf alles die Antwort ist und dass es ihm eine besondere Ehre sei, genau dieses Orchester dirigieren zu dürfen, das vor mehr als 100 Jahren Mahlers Dritte in Krefeld uraufgeführt hat.

Folglich hat diese Aufführung auch etwas Historisches – ein echtes Gürzenicher Original eben. Im besonderen Bewusstsein dieser Tradition präsentiert sich jedenfalls nicht nur der Dirigent, sondern nahezu das gesamte Orchester.

Von Beginn an sitzen die Noten in einer nahezu ideal eingespielten Synthese aus über 150 Musikern. Als breiter, wuchtiger Marsch wird das Erwachen der Natur durch das Hauptthema der Blechbläser vorgestellt und bahnt sich seinen Weg über alle Instrumentengruppen hin zu einem ergreifenden Satzfinale. Es glänzen die Hörner und auf historischem Weltklasse-Niveau Aaron Außenhofer-Stilz als erster Posaunist. Der über eine halbe Stunde dauernde erste Satz verfliegt damit regelrecht und lässt nur wenig zu wünschen übrig.

Ein historisches Original ist auch die Pause zwischen erstem und zweitem Satz. Mahler selber soll diese vorgesehen und bei der Uraufführung eingeführt haben. Der Rezensent empfindet diese zwar als störend, jedoch scheint das Publikum, das zunächst ekstatisch Beifall klatscht und anschließend in Scharen zu den Toiletten oder den Getränkeständen stürmt, diese dankend anzunehmen.

Von den Blumen auf dem Felde handelt dann der zweite, vergleichsweise kurze Satz. In einem naiven, fast schon intimen Menuett tänzeln Oboe und gezupfte Streicherlaute umeinander. Obwohl der Dirigent Francois-Xavier Roth diese Melodie im Vorfeld als „Witz“ bezeichnet hatte, zeigt sich neben der individuellen Klasse seiner Instrumentalisten auch sein eigenes großes Vermögen, aus dem Orchester besonders präzise Klänge und Melodien herauszuarbeiten. Den besonders hier zur Geltung kommenden, glasklaren Klang können die Spieler tatsächlich die gesamte Aufführung über halten.

Kreativität beweist Roth ferner, als er zum vierten Satz die Solistin Sara Mingardo nicht vom Orchesterpodium, sondern aus der Ferne von einer der Logen singen lässt. Das ist ein optisch genialer Kunstgriff, der leider daran krankt, dass die an und für sich ausdrucksstarke Stimme der 57-jährigen italienischen Sängerin durch die größere Entfernung an Kraft verliert. Sogar gegen das bewusst zurückgedrängte Orchesterkolorit kommt ihr Gesang über Zarathustras Nachtwanderlied (Friedrich Nietzsche) deshalb teilweise nur schwach zur Geltung.

Leider ist das nicht die einzige Schwäche dieser Aufführung. Fast die gesamte Symphonie über bleibt das Schlagzeug etwas matt. Einzig die Pauken und Trommel können die in diesem Werk geforderte Durchschlagskraft erreichen. Der Rest verliert sich zu häufig in tosenden Ausbrüchen des immens besetzten Orchesters – die Effekte, durch die Mahlers Musik lebt, fallen deshalb etwas zu zurückhaltend aus. Schade ist das vor allem um die Klänge von Becken, Tamtam und Glockenspiel – hier hätte eine geringfügig stärkere Nuancierung bereits ausgereicht.

Auch das Posthorn-Solo aus der Ferne im dritten Satz ernüchtert leider wieder. Diese Passage stellt anscheinend ein generelles Problem dar, denn trotz inzwischen einem halben Dutzend miterlebter Live-Aufführungen war es dem Rezensenten noch nicht erlaubt, diesen Abschnitt einmal fehlerfrei zu genießen. So dämpfen auch diesmal ein unsauberer Ansatz und falsche Töne den Hörgenuss dieser doch wichtigen Episode. Ärgerlich – insbesondere weil das Gürzenich-Orchester über solche Unsauberkeiten erhaben sein kann, wie im Live-Stream der Aufführung vom Dienstag erkennbar wird.

Durchgängig positiv bleiben der Frauenchor der Schola Heidelberg und die „Mädchen und Knaben der Chöre am Kölner Dom“ in Erinnerung. Auch wenn ihr gesanglicher Dialog mit Sara Mingardo im fünften Satz kaum 4 Minuten dauert, gelingt es ihnen doch, von der Empore aus mit beeindruckend herrlicher Intonation den von Glocken begleiteten Eindruck eines Engelchors zu erzeugen. Das kann man nicht besser machen.

Zum Träumen schön spielt dann auch das Orchester im sechsten und letzten Satz zum großen Finale auf. Hier passt wieder alles vom tragenden, breiten Streicherchor, über die Soli von Horn, Flöte und Solo-Violine, bis hin zum Schlagzeug, das endlich erwacht ist und diesen Satz mit zwei phänomenalen Beckenschlägen krönt. In diesem Abschluss überragen alle Gruppen des Orchesters noch einmal sich selbst. Dafür ernten sie auch verdient tosenden Applaus, von vielen Besuchern sogar stehende Ovationen.

Letztendlich bleibt damit die Feststellung, dass das Gürzenich-Orchester Köln ein hochklassiges Ensemble mit nur noch geringen Schwächen ist. Aufgrund dieser Schwächen muss man allerdings leider auch bescheinigen, dass die Aufführung diesen Sonntagmorgen eher das Niveau einer herausragend guten Generalprobe hatte. Denn dass alle Beteiligten sich sogar noch steigern und diese Schwächen auch überwinden können, zeigten sie bei der live im Internet übertragenen Aufführungen am Dienstag.

Die Live-Aufzeichnung vom Dienstag den 2.10.2018 kann inzwischen auch auf Youtube über den offiziellen Kanal des Gürzenich-Orchesters Köln angesehen werden:

Daniel Janz, 2. Oktober 2018, für
klassik-begeistert.de

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