Zauberhaft zärtliche Abgründigkeit: Das NDR Elbphilharmonie Orchester glänzt mit begnadeter Sensibilität

Gustav Mahler, Sinfonie Nr. 9 D-Dur, NDR Elbphilharmonie Orchester, Thomas Hengelbrock,  Elbphilharmonie, Hamburg

Foto © Florence Grandidier
Gustav Mahler Sinfonie Nr. 9 D-Dur

NDR Elbphilharmonie Orchester
Dirigent Thomas Hengelbrock
Elbphilharmonie, Hamburg,
22. Oktober 2017

von Sebastian Koik

Diese letzte vollendete Sinfonie Gustav Mahlers ist ein leises Werk. Anders als einige frühere Sinfonien liefert sie keine bombastische Überwältigung. Die 9. Sinfonie ist nicht das bekannte und beliebte Heavy Metal von Mahler, sondern mit ganz feiner Feder komponiert. Das gilt besonders für die elegant ausgearbeiteten Rahmensätze, die vor allem bei erfahreneren Klassikhörern auf große Begeisterung stoßen.

Was ist das für ein sensationeller erster Satz! In jeglicher Hinsicht, sowohl was Mahlers Komposition betrifft, als auch die Umsetzung durch das wunderbare NDR Elbphilharmonie Orchester unter Thomas Hengelbrock. Es steckt so viel darin! Es ist friedlich, idyllisch, wild und fiebrig. Die Spannung ist enorm und das Hausorchester musiziert mit wundervoller Tiefe, Leidenschaft, Zärtlichkeit, Gefühl. Alles klingt spritzig und präzise auf den Punkt, selbst die in vielen Orchestern trägen Becken ertönen jeweils im perfekten Moment. Dirigent und Musiker agieren mit einer begnadeten Sensibilität und Musikalität. Das ist ganz, ganz groß und eine wahre Freude. Besser geht es nicht!

Der zweite Satz macht weniger Spaß. Das liegt auch an der Komposition selbst, die hier mit „Etwas täppisch und derb“ überschrieben ist. So klingt das dann auch. Nichts mehr mit Finesse und Eleganz, aber von Gustav Mahler so angelegt, ein Puzzlestück der so genannten Abschiedssinfonie. Der Komponist wollte einfache, ländliche Elemente darin haben. Man wünschte sich dennoch ein klein wenig mehr Spritzigkeit und Witz bei der Umsetzung. Das musikalische Geschehen ist nicht mehr ganz so gut im Fluss wie noch im magischen ersten Satz. Auch stört die leicht zu spät kommende Triangel etwas.

Der dritte Satz gelingt wieder etwas stärker, macht aber ebenfalls nicht ganz so viel Freude und berührt nicht wirklich. Das ist durchaus hohes Niveau, doch man wünschte sich ein klein wenig mehr Wahnsinn und Esprit in der Darbietung der grotesken Elemente.

Der letzte Satz ist dann wieder großartig!! Das Orchester berührt mit herrlich weichem, tief beseeltem und hochmusikalischem, klangschönem Spiel. Ganz wunderbar erzeugen die Musiker eine zärtliche Abgründigkeit, die die Aufmerksamkeit fesselt und den Atem raubt. Der Konzertmeister glänzt mit seiner zauberhaften Solo-Geige. Es ist starke Musik, die in hellen Klangfarben Dunkelheit, Schmerz, Tragik und Unbarmherzigkeit des Lebens ausdrückt. Das Orchester musiziert mit großer Spannung, Tiefe und Klasse. Die Pauken kommen stark und präzise. Am Ende wird die Musik fast unhörbar leise und zart und löst sich auf.

Diese Musik berührt und ist einmalig. Mahler löste in diesem letzten Satz alles auf: Die Musik, die Welt, sein Leben. Das ist ganz große Kunst!

Diese Musik ist stark und die Darbietung des NDR Elbphilharmonie Orchesters unter Thomas Hengelbrock über weite und die bedeutendsten Teile des Abends Weltklasse. Das einzige, was die Besucher ein wenig unglücklich stimmt, ist die Kürze des Konzerts: Nach etwa 80 Minuten ist es vorbei.

Sebastian Koik, 23. Oktober 2017, für
klassik-begeistert.de

Ein Gedanke zu „Gustav Mahler, Sinfonie Nr. 9 D-Dur, NDR Elbphilharmonie Orchester, Thomas Hengelbrock,
Elbphilharmonie, Hamburg“

  1. Lieber Andreas Schmidt,
    herzlichen Dank für die hervorragende Rezension bei klassik-begeistert.de!
    Wie Ihr Kritiker bin auch ich immer noch von dieser Sinfonie bewegt.
    Hier, im letzten Satz, wird Mahler so ehrlich, so einfach, so wahrhaftig….
    Mein Favorit ist Johannes Brahms.
    Ich war lange Jahre Schatzmeister der Johannes-Brahms-Gesellschaft in Hamburg.
    Aber in diesem letzten Satz da kommt Mahler in seiner wahrhaftigen Aussage Brahms sehr nahe.
    In einer Mahler-Biografie las ich, dass Mahler mit seinem Schwager, der 1. Geiger bei den Wiener Philharmonikern war, sehr häufig abends, zuhause musizierte. Sein Schwager berichtete: „Brahms, immer wieder Brahms.“ Ich höre diese 9. Sinfonie am 2. Dezember 2017 noch einmal in Berlin mit Bernard Haiting, der ist jetzt schon 90.
    Viele liebe Grüße
    Ihr
    Manfred Ernst Kindel

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