„DONNERWETTER“ – und vox populi liegt an diesem Abend in der Elphi keinen Deut daneben

Hamburger Symphoniker, Han-Na Chang Dirigentin, Mischa Maisky Violoncello  Elbphilharmonie, 5. März 2024

Han-Na Chang © Kiran West

Hamburger Symphoniker

Han-Na Chang   Dirigentin
Mischa Maisky   Violoncello

Richard Strauss (1864–1949)
Don Juan op. 20

Ernest Bloch
(1880–1959)
Schelomo – Hebräische Rhapsodie für Violoncello und Orchester

Pause

Sergei Prokofjew (1891–1953)
Symphonie Nr. 5 B-Dur op. 100

Elbphilharmonie, 5. März 2024

von Harald Nicolas Stazol

In Bruchteilen von Zehntelsekunden zweimal, „Klack“ und Stab, eröffnet der so dramatische, so schnelle und auch tiefe „Don Juan“ von Richard Strauss heute Abend das Konzert, haut doch die junge Gastdirigentin der Hamburger Symphoniker, Han-Na Chang, ihren schwarzen Schuh-Absatz schon vor-rhythmisch so aufs Holz ihres Partitur losen Pultes, dass man ahnt, jetzt kommts!, Jetzt geht’s los! Und was ist das für ein Auftakt!

Und sie strahlt! Sie strahlt unablässig, nicht nur aus ihrem Antlitz, dass die 1. Geigen und die Celli und die Bratschen und auch die Hörner einfach nur zurückstrahlen lässt, des einfach stupenden Hausorchesters der Laeiszhalle, das nun in der Elphi in einem „Gastspiel“ ja vor reinem Können alles überstrahlt, sondern auch ob ihres batons – gute Laune-Faktor 100 Prozent jedenfalls im „Full House“ der Philharmonie, schon ganz zu Anfang bei der programmatischen Beschreibung des Titelhelden „Don Juan“, des Schwerenöters und Verführers, die und den man heute Abend hören und verstehen und genießen kann… was für ein Auftakt der jungen Dame im raffiniert schwarzen, asymmetrischen Wickelfrack – und es wird nicht ihr letztes, flamencohaftes Auftreten gewesen sein!

© Kiran West

Was für eine Fallhöhe, und wie werden die Spitzen der Werke hier schon erklommen! Nun wächst aber wirklich die Spannung, was kann denn da noch folgen? Einiges, des bin ich mir nach den reinen und präzis-wechselnden Geschwindigkeiten von Dirigat und Klangkörper gewiss!

„Donnerwetter“ höre ich eine Reihe hinter mir, und noch einmal, deutlich lauter, „DONNERWETTER“ – und vox populi liegt keinen Deut daneben.

Strahlend die Symphoniker, strahlend das Dirigat, alles aber überstrahlend Mischa Maisky, den ich nun nach fast einem Jahrzehnt in der Laeiszhalle, Martha Argerich begleitend, nun noch einmal hören darf, mit Weisen diesmal aus der jüdischen Musiktradition, der „Hebräischen Rhapsodie für Violoncello und Orchester“ des Ernest Bloch, die von einem wie die des Meisters hochgespannten Bogen von Städtl zu Shabbat und auch Shoah alles zu umfassen scheint.

© Kiran West

Maisky im taubenblauen, offenen Seidenhemd und schwarzen Manschetten, man sieht ein riesiges, funkelndes Medaillon, und schon wieder funkelt sein Können über uns 2100 Hörer, FULL HOUSE, so hin, dass man ahnt, solches wie den Mann in silbernem, ehrfurchtgebietendem Langhaar und Bart wird man so schnell nicht mehr erleben.

Die Rhapsodie erzählt vom Schicksal und der Geschichte des jüdischen Volkes und eröffnet, vor allem im Vortrag dieses Ausnahmemeisters, eine entrückend-bedrückende Interpretation, so sehr, dass man völlig hinweggetragen, ja geradezu aufgeklärt ist. In den herrschenden Zeiten mag Bloch ein Schlüssel sein des Verständnisses – von Kriegsallüren oder -treibereien allerdings und glücklicherweise kein Spürchen, aber das mögen andere anders hören? Das Orchester ist hier staunenswert sensibel, das Ganze ein Plädoyer für den Frieden. So sehe ich es jedenfalls.

Fallhöhe? Eine ältere Dame fällt auf den Treppen des Saales zu Boden, nichts also, als in Bruchteilen von Sekunden zu ihr hingestürzt, ihr aufhelfend, noch ein anderer Gentleman ist sofort zur Stelle, „Wo sitzen sie denn?“, „D 6, 16“, und die Dame wird sofort und füglichst auf den Platz gehievt und dann geleitet, sich am Knie eines Sitzenden festhaltend, „Oh, ich wollte nicht anbandeln“, scherzt sie, und ich scherze, „Der Prokofjew kommt doch erst noch!“

Wenn der Taktstock sich bei der Uraufführung 1945, dem Jahre des Sieges, erst „nach dem Ende des deutschen Artilleriefeuers“ erhebt – da verschwindet doch das Abwarten der Zwischenhuster heute ins Nichts? – unter Sergej Prokofjew am Pult – dann hat man Außergewöhnliches zu erwarten!

Denn manchmal erfüllen die Götter einem einen sehnlich-ersehnten Wunsch! Sergei Prokofjew, und seine Symphonie Nr. 5 B-Dur op. 100!!!!

Vier Ausrufezeichen, denken Sie jetzt, aber es könnten auch hundert sein, Opus gemäß. Habe ich diese geradezu elysische Symphonie in einer blechernen Schwarzweiß Aufnahme des Staatsorchesters der UDSSR unter dem von mir so über alles Maß so verehrten Gennady Roshdestvensky 1975 als Dauerbrenner doch erst vor zwei Monaten entdeckt, des Gedankens, „ob ich die jemals hören werde?“

Und jetzt wird gerade Gebet und Wunsch und Vater des Gedankens um 21.40 Uhr am 5. März 2024 erfüllt, und ich verneige mich vor meinem HERRN! Und vor der Allerbesten, Han-Na Chang. Denn sie ist besser. Und nun kann ich sie hören, erstmals, die Fünfte, un-ge-ahnt.

Besser als Roshdestvensky und das Staatsorchester, und 1977 Karajan mit den Berliner Philharmonikern, fragen Sie nun? Ich sage ja! Und will (und muss) es auch begründen. Es sind die Tempi: Prokofjew 2.0. Und deswegen wohl knallrote, riesige Eintragungen in der Partitur der Dirigentin, Seite um Seite. Von nichts kommt nichts.

Denn bevor Sergej ausbricht, in die zur totalen Schwindeligkeit führenden Geschwindigkeiten des 2. und 4. Satzes, lässt die Chang die Themen sich ausformen, ganz geduldig, „wann legt sie denn endlich los?“ denke ich noch, da zieht die Dirigentin, wieder ein Knall ihres Schuhabsatzes, so fest und mit Reitpeitsche die Zügel an, nun wirklich Ascot in der Zielgeraden, einerlei, peitscht die Tempi da dermaßen an, dass Prokofjew in seinem Grabe vor Freude rotieren würde:

»Niemals vergesse ich die Aufführung seiner 5. Sinfonie im Jahre 1945, am Vorabend des Sieges«, erinnert sich der damals anwesende Pianist Swjatoslaw Richter. »Plötzlich, als Stille eintrat und der Taktstock schon erhoben war, ertönten die Artilleriesalven. Er [Prokofjew] wartete und begann nicht eher, als bis die Kanonen schwiegen. Wie viel Bedeutsames, Symbolhaftes kam da zu Wort. Wie wenn sich ein Schlagbaum vor allen erhoben hätte… auch für Prokofjew.«

Denken Sie sich doch die Verantwortung, die man in den wirklich allerletzten Takten dieses Mammutwerks, VOLLES ORCHESTER, beendeten 1. Geigers Adrian Iliescu, den ich mit Fug und Recht schon mehrfach über den grünen Klee lobte – wir erinnern uns an seinen Solopart in der „Sheherazade“, kaum vor zwei Monden?

Prokofjew aber selbst schreibt: »Diese 5. Sinfonie schließt gewissermaßen eine ganze große Periode meiner Arbeiten ab. Ich konzipierte sie als eine Sinfonie der Größe des menschlichen Geistes.«

Und nur so kann man sie verstehen.

Die „Größe des menschlichen Geistes“.

Möge sie wachsen, immerdar.

Harald Nicolas Stazol, 6. März 2024, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

HAMBURGER CAMERATA, Joanna Kamenarska, Delyana Lazarova Elbphilharmonie, 2. März 2024

Klein beleuchtet kurz Nr 21: Das NDR Elbphilharmonie Orchester begeistert nicht nur mit Bruckners 9. Sinfonie Elbphilharmonie, 1. März 2024

Martha Argerich und Mischa Maisky gastieren in Wuppertal Wuppertal, Historische Stadthalle, 6. Juni 2023

Anne-Sophie Mutter, Mischa Maisky, Martha Argerich Laeiszhalle Hamburg, 21. Juni 2021

Schreiben Sie einen Kommentar

Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert