Hauters Hauspost 9: Corona macht kreativ

Hauters Hauspost 9, Corona macht kreativ  klassik-begeistert.de

von Barbara Hauter

Foto: Dr. Petra Spelzhaus (Trompete) und Barbara Hauter (Kontrabass) ©

Corona macht kreativ. Heute morgen zum Beispiel kam meine Liebste mit dem Aufweckkaffee zu mir ans Bett, hielt mir die dampfende Tasse unter die Nase und schon strömte, angeregt von den Aromen, ein völlig neues Liedlein aus mir heraus. „Folge dem Duft der Liiieeebä,“ frohlockte ich noch mit geschlossenen Augen, bevor ich überhaupt den ersten Schluck genossen hatte. Text und Melodie – ich schwöre es – waren ganz eigenständig und spontan aus mir heraus entstanden. So viel kreativer Schwung musste gleich genutzt werden. Ich wühlte mich aus der Daunendecke, die Beste aller Lebensgefährtinnen setzte sich an die Bettkante – und schon ging es weiter mit den munteren Einfällen. In wenigen Sätzen konstruierten wir den Plot für unsere nächste Kurzgeschichte. Der geneigte Leser darf gespannt sein. Sie dreht sich – natürlich – um Musik. Beziehungsweise um die nicht gehörten Konzerte dieser Tage.

Kreativ sein ist zutiefst menschlich. Essen auch. Vor allem, wenn es lecker ist. Deswegen haben wir unser ganzes Menschsein in der Coronazeit mobilisiert und die Küche heimgesucht. Wir sind jetzt in der Lage Sauerteigbrote eigenständig und erfolgreich zu kneten und zu backen, Nigiris und Makis sozusagen aus dem Ärmel zu schütteln und zumindest ein Sterne-Hauptgericht ohne schwerwiegende Verletzungen nachzukochen. Allein unsere Verpflichtung, mehrere Stunden am Tag unser täglich Brot zu verdienen, hielt uns davon ab, auch noch Nähen und Stricken zu erlernen. Aber wer weiß, wie lange uns der Lockdown noch von unseren Kunst-Futternäpfen – den Museen und Opern – fernhält. Und wir weiterhin unser Seelenheil verzweifelt in eigener Kreativität statt in entspanntem oder anregendem Kunstgenuss suchen müssen. Die dritte Welle rollt. Man soll Nichts voreilig ausschließen.

Meine Theorie zu diesen unkontrollierbaren Ausbrüchen ungestümer Schaffenskraft ist folgende: Die permanente Abwesenheit von live erlebbarer Kunst erzeugt einen inneren Druck, der einen Platzen macht. Wir zum Beispiel lieben unseren regelmäßigen Kunst- und Kulturkalender. Donnerstag steht gerne das Gärtnerplatztheater auf unserem kulturellen Speiseplan. Ich gehe Mittwochmorgens in eines unserer prächtigen Münchner Museen. Das uns nächstliegende ist das Bayerische Nationalmuseum. Die letzte Ausstellung, die ich darin bewundern durfte, war „Treue Freunde – Hunde und Menschen“.  Sie führte meinen damals noch beweglichen Geist von  Loriot-Zeichnungen über eine Pudel-Diamantbrosche von Grace Kelly und ägyptischen Hunde-Mumien bis zu mittelalterlichen Altartafeln und einem Hunderoboter. Nach Monaten strengster Beschränkungen – wir leben schließlich in Söderschen Reich – ist mein Kunst-Gehirn ausgedörrt und mein wirrer Blick trifft statt auf solch prachtvolle Vielfalt auf Drops, unsere 14jährige Hundedame.

Ich weiß nicht, ob es auch bei ihr an Corona liegt, aber unsere Hündin hat in den letzten Monaten einen wahren Kreativitätssprung gemacht. Vielleicht ist es aber auch nur meine bedürftige Wahrnehmung. Jedenfalls kann unser Hund seit neuestem tanzen. Unser Wecker klingelt wochentäglich um 6:15 Uhr. Spätestens 6:12 Uhr springt Drops aus dem rosa-plüschigen Hundekörbchen und beginnt mit ihrer Morning-Show. Mit einer Mischung aus Bauchtanz und Hip-Hop hüpft sie Richtung Futtertrog. Immer im Blick, ob wir ihr auch folgen und ihn kräftig auffüllen. Den Wecker braucht es für uns nach dieser ausgefeilten Choreografie nicht mehr.

Für noch mehr Kunstgenuss gilt es, den Hundespaziergang im Englischen Garten zum Live-Happening in drei Akten umzudefinieren. 1. Akt: Exposition, die Protagonisten stellen sich vor. Drops tänzelt perfekte Pirouetten, bevor sie die finale Kackposition erreicht hat. 2. Akt: Peripetie, die überraschende Wendung. Drops verbellt andere Hunde, je größer desto lauter. 3. Akt: Die Katastrophe, der Konflikt wird gelöst. Der Rottweiler stürzt sich auf unsere sechs-Kilo-Drop. Sie will zitternd auf den Arm und nach Hause getragen werden. Wir entschuldigen uns artig für unseren unerzogenen Winzling. Verbeugung und Abgang.

Wie Sie sehen, ist unser Alltag durchzogen von Live-Kunst, man muss sie nur als solche zu erkennen wissen. Ich denke, wir sollten als nächstes an Klangkollagen arbeiten: Wir sammeln Bruchstücke aus den diversen Online-Fortbildungen, Online-Unterrichtsstunden, Online-Meetings und Online-Familienfesten. Schnipsel wie „Könnt ihr mich hören“, „sind jetzt alle on“, „bei mir hakt das Internet“, werden zu dramatischer Hintergrundmusik auf- und nebeneinanderkopiert – so klingt der Lockdown. Vorschläge für das passende Musikstück nehme ich gerne entgegen.

Barbara Hauter, 27. Februar 2020, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeigeistert.at

Hauters Hauspost 8: Meine Liebe zur Musik

 

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Barbara Hauter, Jahrgang 1964, wohnhaft in München, ist eine Vollblut-Journalistin. Getreu ihrem Motto „Ein Journalist kann über alles schreiben“ schloss sie drei Magisterstudiengänge ab. Sie verdiente sich ihre Sporen in der Tagespresse, Funk und Fernsehen, schrieb in Magazinen über Tauchen, Fotografie oder Medizinthemen. Ihre Tätigkeit als Chefredakteurin der Zeitschrift „Das Tier“ stellte einen vorläufigen Höhepunkt dar. Und doch war alles nur das Vorspiel für ihr Engagement als Autorin beim Blog „Klassik begeistert“. Die spätberufene Kontrabassistin sieht sich in ihren Rezensionen des Musiktheaters und Balletts als Stimme des Volkes. In der  jeden zweiten Donnerstag erscheinenden Kolumne „Hauters Hauspost“ erfreut sie die Leserschaft gerne mit Episoden über ihre ambivalente Liebe zur Musik. 

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