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Interview am Donnerstag 15: Der Trautoniumspieler Peter Pichler
Peter Pichlers musikalische Wurzeln liegen in der Punkszene. Im Laufe der 1990er Jahre kam er in Kontakt zu einem Instrument namens Trautonium. Dieser Kontakt ist für Peter Pichlers weitere musikalische Entwicklung prägend.
Viele von Ihnen werden von diesem Instrument vielleicht noch nie gehört haben, viele von Ihnen haben es jedoch sehr wahrscheinlich schon einmal gehört: sämtlicher Sound Alfred Hitchcocks „Die Vögel“ wurde mit dem Trautonium produziert.
von Frank Heublein (7. Mai 2020)
Was bedeutet Ihnen Musik?
Das ist natürlich eine hochphilosophische Frage und auf viele Arten beantwortbar… Kurz gesagt: Musik sollte die Möglichkeit bieten, Grenzen zu sprengen und eine weltweite, überirdische, friedliche Form der Kommunikation zwischen den Völkern herstellen. Eine musikalische Sprache zum Guten. Bei mir persönlich wurde die Bedeutung der Musik durch meinen familiären Hintergrund geprägt. Als viertes Kind einer Pension- und Wirtsfamilie war mein Leben vorbestimmt. Musik half mir auszubrechen, mich zu verstecken, mich zu finden an einem geheimen Ort, ohne jegliche Art gesellschaftlicher Beeinflussung.
Bei uns gab es zu Anfang nicht mal ein Kinderzimmer. Meine ersten eigenen Lieder gaben mir Halt in einer Welt voller Arbeit, Angst, Neid und Gewalt. In dieser musikalischen Atmosphäre, die ich mir selbst erfand, kam ich gut zurecht. Vom dilettantischen Autodidakten hab ich mich zur Hochkultur aufgemacht. Deswegen geht es in meinem musikalischen Handeln immer nur um Inhalte, nie um gesellschaftliche Bestätigung. Jede Art der Verbreitung meines Tuns ist dadurch immer sekundär, was in meiner musikalischen Arbeit dazu führte, nie kapitalistischen Grundgedanken hinterherzulaufen. Für mich zählt es, spezielle, eigene, innovative, vielseitige, avantgardistische Musik zu machen ohne Selbstverliebtheit, Egoismus, Konkurrenz, Applaus und Bestätigung.
Keine Grenzen und Zwänge. Auf der Suche nach den versteckten Tönen des Universums. Der Klang der Vögel bedeutet mir mehr als jede Komposition von Mozart oder den Beatles.
Sie spielen sehr viele Instrumente. Gitarre, Klavier und auch das exotische Trautonium. Wie ist Ihr Zugang zu Instrumenten? Sind Ihre künstlerischen Ideen zu Beginn mit einem der Instrumente unmittelbar verknüpft oder kommt das erst im Laufe des kreativen Entstehungsprozesses?
Ich bin eigentlich klassischer Gitarrist (moderne klassische Gitarre) und Renaissance-Lautenist. Die arabische Al Ud beherrsche ich aber auch und diese Instrumente haben eine Intimität und Melancholie, die einem jungen Musiker und Menschen sehr weiterhelfen können auf der Suche nach dem Klang des Lebens. Vor allem die Renaissance-Musik John Dowlands oder die Kompositionen von Hans Werner Henze (z.B. Royal Winter Music) haben mich sehr geprägt. Natürlich hat jedes Instrument seine Welt, die es zu entdecken gilt und ich habe über die Jahre aus produktionstechnischen Gründen – CD-Einspielungen, Theatermusik – so ziemlich jedes Instrument zu Hause spielbereit. Manche spiele ich besser, manche schlechter. Ich spiele die indische Sitar und glaube, ich verstehe die Inder jetzt besser! Kennst du die Musik eines Landes, verstehst du die Menschen dahinter. Ich spiele auch die amerikanische Lap-Steel-Gitarre. Ich muss sagen, ich bin dadurch im Fasching seit vielen Jahren ein besserer Cowboy geworden!
Die Ideen in meiner Arbeit haben schon im Kopf einen bestimmten Ausdruck, der natürlich dann mit einem bestimmten Instrument umgesetzt wird. Aber im Grund geht es mir nicht um die direkte Verknüpfung eines Instruments mit meiner Musik sondern um das Gesamtwerk und seine Aussage. Da können dann auch viele Instrumente einen entscheidenden Beitrag leisten.
Warum ausgerechnet Trautonium?
Jede Art von Instrument hat seine eigene Geschichte und seinen eigenen Stil. Manche Geschichten sind 500 Jahre alt. Das Trautonium schuf einen neuen Stil, Musik zu spielen und Musik zu spüren. Die wichtige Idee bei der Entwicklung war, andere Instrumente nicht zu imitieren. Um 1929 herum war eine Zeit, in der sich gesellschaftlich und wirtschaftlich viel änderte. Für diese neuen Zeiten brauchte es einen neuen Sound. Hinter den Menschen die mit den Trautonium zu tun hatten, insbesondere Paul Hindemith (Komponist), Friedrich Trautwein (Ingenieur, Erfinder) und Oskar Sala (Spieler), steckt eine unglaubliche Geschichte, die mich fasziniert hat. Außerdem kann man kein Trautonium bei Amazon bestellen. Natürlich fasziniert mich vor allem die absolute Einzigartigkeit des Instruments und seine 1001 Klang- und Artikulationsmöglichkeiten, die keine Grenzen kennen und die einem eine komplett neue Art des Musizierens abverlangen.
Das Grundprinzip ist ganz kurz gesagt Folgendes: Man bespielt eine spezielle Saite, die über einer Metallschiene angebracht ist und drückt diese Saite auf die Metallschiene. Dies schließt dann einen Stromkreis und erzeugt eine Schwingung, die in einen Ton umgesetzt wird. Das Schöne daran ist, dass es keinerlei Einschränkungen durch irgendeine Art von Tasten gibt. Man ist völlig frei in der Tongestaltung. Ursprünglich war das Trautonium ja ein monophones Instrument. Die Weiterentwicklung – das Mixturtrautonium – hingegen ist durch seine zwei Manuale und die Möglichkeit mit subharmonischen Tönen, also mit Obertönen, wie sie in der Natur vorkommen, zu spielen und Klänge mit bis zu 8 Tönen gleichzeitig und völlig frei von temperierter Stimmung zu spielen, absolut einzigartig in der Welt der Musikinstrumente. Letztlich ist es auch die elektronische Wärme des Trautoniumklangs, die mich fasziniert hat und mich nie wieder losließ.
Ich bin der letzte lebende Trautoniumspieler. Die Vielseitigkeit geht immer mehr verloren, mit jeder aussterbenden Tierart. Das Trautonium ist wichtig in Zeiten der Globalisierung, in Zeiten der Gleichmacherei. In 150 Jahren wird niemand mehr wissen, wer Dieter Bohlen oder Moritz Eggert war, aber man wird sich an das Trautonium erinnern und es feiern.
Auf einer Führung des Bayerischen Nationalmuseums in München habe ich mitbekommen, dass Ende des ausgehenden 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts die nationale Identität derart ausgeprägt war, dass jeder Nationalstaat sein „eigenes“ Instrument haben wollte. So wurden zum Beispiel als Gegenstücke zum Saxophon in Deutschland Clarina, Oktavin und Heckelphon-Klarinette erfunden. Ist diese Einstellung auch für die Existenz des Trautoniums verantwortlich?
Tatsächlich! Das wusste ich gar nicht. Na ja, es wurden tatsächlich drei verschiedene neue elektronische Instrumente fast gleichzeitig entwickelt und sie standen in Konkurrenz zueinander. Die Ondes Martenot (Frankreich), das Theremin (Russland) und das Trautonium (Made in Germany). Leider war in Zeiten der Industrialisierung der Habitus: „Wer kann’s besser, höher, weiter, schneller. Wer hat die besten Instrumente. Wer macht die beste Komposition. Wer ist der beste Lehrer.“
Allerdings ist das Trautonium aus dem Wunsch heraus entstanden, neue Klänge zu kreieren und auch mehrstimmig umsetzen zu können. Das kann weder das Theremin, noch die Ondes Martenot. Oskar Sala hat mit seinem Mixturtrautonium komplette Radiosendungen alleine bestritten, weil er „ein ganzes Orchester“ mit seinem Instrument ersetzte und direkt in den Äther spielen konnte.
Interview mit dem Instrumentenbauer Matthew Farley, klassik-begeistert.de
Für welchen Zweck sollte das Trautonium ursprünglich eingesetzt werden?
Ja, genau das Radio gab den Ausschlag für diese Entwicklung. Um 1929 herum gab es noch keine vernünftige Mikrofontechnik. Das Radio hatte große Probleme, Musik zu übertragen. Man suchte eine Möglichkeit, das Mikrofon bei Radiosendungen zu umgehen. Live war das ja sowieso alles damals ohne Aufzeichnungsmöglichkeit. Das Tonband war noch nicht verfügbar. So dachte man, das Trautonium hätte eine große Zukunft, weil es ja möglich war, direkt in den Äther zu spielen, ohne Mikrofon. Das zeigt sich eben auch an den vielen Radiosendungen Oskar Salas in dieser Zeit.
Das Instrument wurde ja auch in der „Rundfunkversuchstelle“ in Berlin erfunden und weiterentwickelt: eine gemeinsame Forschungseinrichtung von Radio, Technikern und der Musikhochschule. Die dachten damals, sie hätten das iPad erfunden. Telefunken stellte sehr viel Geld zur Verfügung, um das Instrument in Serie auf den Markt zu bringen. Es war das erste elektronische Instrument, das in Massenproduktion hergestellt wurde. Es sollte die Blockflöte als Haushaltsinstrument Nummer 1 ablösen. Es gab auch ein Lehrwerk. Das Trautonium sollte der Klang der weltweiten Industrialisierung werden. Die Nazis beendeten die atonalen Versuche mit der Machtübernahme 1933. Sie sahen keinen Bedarf an den „entarteten Klängen“ des Trautoniums.
Wie schwierig ist es, das Instrument Trautonium zu erlernen? Liegt es daran, dass es so wenig Personen gibt, die das Instrument musikalisch beherrschen wollen?
Die Bild-Zeitung hat geschrieben, das Trautonium sei das schwierigste Instrument der Welt. Das stimmt schon. Mit den beiden Manualen und Fußpedalen und einem „Cockpit“ von Knöpfen, die zum Großteil fast gleichzeitig bedient werden müssen um einen bestimmten Sound zu erzeugen, ist es schon eine große Herausforderung. Die musikalische Druck-Bewegung der Hände und Finger bedarf langen Übens. Nur das Trautonium wird auf diese Weise gespielt – man kommt zu anderen musikalischen Ergebnissen durch diese Eigenarten. Aber grundsätzlich ist es wie bei jedem anderen Instrument auch: Man muss üben!
Mir gefallen die Trautonium-Kompositionen von Paul Hindemith, Harald Genzmer und Paul Dessau sehr, denn das ist eine ganz besondere klassische Musik: „freie tonale Musik“ und die meisten Kompositionen sind relativ unbekannt. Für die Elektro-Musik-Freaks ist das Instrument sehr häufig zu teuer. Wenn jemand eines hat, wird es leider häufig eher als Spielzeug denn als spannendes Musikinstrument betrachtet und eingesetzt und live gib es wohl neben mir überhaupt niemanden, der das Trautonium auf der Bühne spielt.
Können Sie näher erläutern, was freie tonale Musik kennzeichnet?
Einfach gesagt: Die Abgrenzung von einer traditionellen Dur-Moll-Tonalität einerseits und der Zwölftonmusik und Atonalität Schönbergs andererseits. Hindemith braucht für diese Erklärung im übrigen über zehn Seiten!
Können Sie näher erläutern, was Ihnen an freier tonaler Musik gefällt? Ist es die besondere musikalische Struktur? Oder eher ein besonderer emotionaler Zugang, den Sie dazu finden?
Die Wurzel liegt in den Vertretern der freien Tonalität. Ich liebe die Musik von Igor Strawinsky, Béla Bartók und Paul Hindemith. Alles Komponisten, die eine zukunftsweisende Klangformungsidee hatten. „Freie tonale Musik“, keine Klangcollagen à la Zwölftonmusik. Ich liebe Musik, die einen in Gefühlszustände versetzt, die sich aus der Natur und der Zeit speisen. Der Plan muß heißen: Grenzen der traditionellen Musik erweitern. In meinem Fall mit dem Trautonium ist es ein elektrisches Musikinstrument, das neuartige Klangwirkungen gegenüber den akustischen Instrumenten bietet und dadurch eine spezielle Daseinsberechtigung erlangt. Die aus der freien Tonalität entstehende Musik verabschiedet sich von der wohltemperierten Stimmung. Da wo z.B. Claude Debussy und Maurice Ravel aufgehört haben, da sollte man weiter machen.
Gibt es einen Komponisten, den Sie gerne mit einer Komposition für Trautonium beauftragen würden?
Es gäbe sogar mehrere! Und ich hab alle Lebenden schon kontaktiert. Leider hat keiner Lust oder Zeit. Das ist traurig! Arvo Pärt, Philip Glass, Steve Reich, Joko Ono, Helmut Lachenmann, Wolfgang Rihm, Blixa Bargeld, den einbeinigen Araber, Kinder aus dem Urwald, der Froschkönig, Franz Schubert, John Dowland … die könnten alle etwas fürs Trautonium komponieren. Philip Glass und Steve Reich waren sogar Schüler von Darius Milhaud und der mochte und kannte Paul Hindemith. Da wäre sogar eine generationsübergreifende Verbindung da.
Welche Art Komposition möchten Sie beauftragen? Kammermusik? Musik für großes Orchester? Eine Oper?
Da bin ich für alles offen. Wichtig wäre nur: wunderschön und anders als Alles Gehörte. Eine Musik von einem anderen Planeten ohne Gesellschaftsromantik, basierend auf den Obertönen… vielleicht ein bisschen orientalisch, aber Hauptsache: offen und befreit. Das Trautonium kann das, anders als alle anderen Instrumente, und ich wäre bereit.
Frank Heublein, 6. Mai 2020, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
Interview am Donnerstag 14: Der Dirigent Hartmut Haenchen klassik-begeistert.de
„Da bin ich für alles offen. Wichtig wäre nur: wunderschön und anders als Alles Gehörte. Eine Musik von einem anderen Planeten ohne Gesellschaftsromantik, basierend auf den Obertönen… vielleicht ein bisschen orientalisch, aber Hauptsache: offen und befreit. Das Trautonium kann das, anders als alle anderen Instrumente und ich wäre bereit.“
Vielleicht kommt da ja noch etwas;)
J. Jasser