Hans Moser lässt grüßen: Die Volksoper Wien bebt vor Begeisterung

Johann Strauss Sohn, Die Fledermaus, 26.9.17,  Volksoper Wien

Foto: B. Pálffy (c)
Johann Strauss Sohn, Die Fledermaus

Volksoper Wien, 26. September 2017
Gabriel von Eisenstein Carsten Süss
Rosalinde Melba Ramos
Adele Anita Götz
Frank Kurt Schreibmayer
Frosch Gerhard Ernst
Dr. Falke Günter Haumer
Prinz Orlofsky Annely Peebo
Alfred Szabolcs Brickner
Ida Juliette Khalil
Guido Mancusi
Dirigent
Heinz Zednik Szenische Neueinstudierung
Pantelis Dessyllas Bühnenbild
Doris Engl Kostüme
Lili Clemente Choreographie

von Jürgen Pathy

Damen und Herren, Jung und Alt, besuchen Sie die Volksoper Wien! Gestatten Sie der zweitgrößten Oper der österreichischen Hauptstadt die randvollen Ränge, die sie verdient… am Dienstag war dies dem Haus mit Wiener-Vorstadt-Charme leider nicht vergönnt – einige Sitzplätze blieben an diesem lauen Herbstabend frei. Schlechte Nachrichten für alle, die zu Hause blieben: Sie haben Großartiges versäumt!

Diese „Fledermaus“ sorgte für helles Entzücken und Begeisterungsstürme. Ein farbenfrohes Spektakel; ein dekadentes Tollhaus-Treiben mit einem Weltklasse-Bühnenbild und Weltklasse-Kostümen – in diesen Belangen zählt das Haus am Wiener Gürtel mit Sicherheit zur internationalen Spitze und muss keinen Vergleich scheuen.

Nirgendwo können Besucher „Die Fledermaus“ authentischer genießen als in Wien – hier lebte, dirigierte und komponierte der Wiener Walzer-König Johann Strauss Sohn. Neben der Volksoper steht der Gipfel der goldenen Operetten-Ära auch an der ehrwürdigen Wiener Staatsoper regelmäßig auf dem Spielplan – es ist die einzige Operette, die es ans Haus am Ring geschafft hat.

Die knapp drei Stunden verflogen an diesem kurzweiligen Abend wie im sprichwörtlichen Flug. Zwei ausgiebige Pausen gestatten den Besuch mit Kindern, unruhigen Zappel-Philippen und Oper-Neulingen, denen längeres Stillsitzen schwerfallen könnte. Alles kein Problem! Zumal es gar nicht nötig ist, zur Mumie zu erstarren, sorgen komödiantisch, erstklassige Sänger und Sängerinnen doch für ausgelassene Stimmung.

Das Werk, in dessen Zentrum ein Masken-Ball steht, beginnt im noblen Heim des Gabriel von Eisenstein – bestechend dargestellt vom Ensemblemitglied Carsten Süss. Der gebürtige Mainzer erlaubte sich keine Fehler und bot eine geniale Vorstellung – Mimik, Bühnenpräsenz, komödiantisches Auftreten und Gesang waren perfekt und glaubhaft umgesetzt. So macht Operette Spaß! Der 45-Jährige wird dem ausgiebig Beifall klatschenden Publikum in weiteren Vorstellungen als Eisenstein erhalten bleiben: ab 3. Oktober 2017.

In der Rolle seiner Gattin Rosalinde, die ein Tete-à-Tete mit Alfred am Laufen hat, konnte Melba Ramos gesanglich schwer punkten – jedoch mangelt es an der deutschen Aussprache. Trotz lautestem Schluss-Applaus sollte die gebürtige Puerto-Ricanerin unbedingt an ihrer deutschen Aussprache feilen und den Worten keines geringeren als Luciano Pavarotti folgen: „Das wichtigste ist die klare Artikulation!“ Einer Sängerin ihres Kalibers sollte das kein Novum sein. Die Südamerikanerin konnte bereits am Royal Opera House Covent Garden als Cover für Cecilia Bartoli fungieren, debütierte bei den Salzburger Pfingstfestspielen als Tigrane in „Radamisto“ (Georg Friedrich Händel) und durfte mit der Dirigenten-Größe Nikolaus Harnoncourt zusammenarbeiten. Das Publikum kann die temperamentvolle Südländerin noch einmal erleben: als fremde Fürstin in „Rusalka“ (Antonin Dvorak) am 25. März 2018.

Noch im ersten Akt bringt Johann Strauss die liebliche aber mit allen Wassern gewaschene Adele ins Spiel. Die freche Kammerzofe wird vom jungen Ensemblemitglied Anita Götz zum Leben erweckt – keck, charmant, teils forsch und mit perfektem Wiener Dialekt ausgestattet, war es eine Freude der Vollblut-Künstlerin bei der Arbeit zusehen und zuhören zu dürfen. Ihr Applaus machte klar: die Herzen des Volksoper-Publikums hat sie schon lange erobert. Gesanglich konnte sie in dieser Saison bereits als Pamina in „Die Zauberflöte“ (Wolfgang Amadeus Mozart) überzeugen und wird bestimmt auch bei ihren weiteren Auftritten brillieren: als Adele in „Die Fledermaus“ ab 13. November 2017; als Pamina in „Die Zauberflöte“ am 5. Oktober 2017 sowie als Helene, Haushaltshilfe bei Pappenstiels, in der Operette „Der Opernball“ (Richard Heuberger) am 17. Februar 2018.

In den kleineren Partien:

als Gesangslehrer Alfred, der in diesem Verwechslungsspiel eine Affäre mit Rosalinde pflegt und schließlich seine gerechte Strafe erhält, gefiel der Ungar Szabolcs Brickner nur zum Teil. Sein ungarischer Akzent war in dieser Ur-Wiener-Operette unüberhörbar und stach beim Sprechen zu stark hervor. Dennoch korreliert seine ungarische Akzentuierung besser mit dem Wien der österreichisch-ungarischen Monarchie des späten 19. Jahrhunderts als die angelsächsische Aussprache der Melba Ramos.

Die Hosenrolle des Prinz Orlofsky, Hausherr des Maskenballs, gab die gebürtige Estin Annely Peebo trotz Zustimmung des Publikums sprachlich sehr undeutlich – berücksichtigt man rein die Gesangsstimme kam der auffallend laute Applaus zu Recht.

Dr. Falke („Fledermaus“) alias Günter Haumer, auf dessen Rolle die Namensgebung der Operette beruht, blieb weitestgehend unscheinbar.

Juliette Khalil bestach als Ida, Schwester der Kammerzofe Adele, mit ausgezeichnetem Klamauk.

Zwei tragende, gewichtige Partien hat Johann Strauß junior dem Operettenbesucher aber noch zum Geschenk gemacht: Frank, der Gefängnisdirektor und der stets heiter-besoffene Gefängniswärter Frosch. Zwei Akteure, die der Operette eine Note Nestroysches Possenspiel verleihen und die den überwiegenden Teil des dritten Akts die Bühne dominieren.

Mit Gerhard Ernst, seit 2001 Ensemblemitglied, gelang der Regie ein fabelhafter Streich – die ideale Besetzung der Schnapsdrossel Frosch. Nicht nur sein pointierter „Wiener Schmäh“, sondern auch sein Gebaren, erweckten Erinnerungen an den großen österreichischen Volksschauspieler und TV-Liebling Hans Moser. Das Publikum amüsierte sich köstlich und konnte sich teilweise kaum halten vor Lachen. Besser kann man diese Rolle nicht besetzen! Fünf Jahre Burgtheater-Erfahrung und sechs Jahre Theater an der Josefstadt-Erfahrung zeugen vom außergewöhnlichen Können des Mimen. Wer viel Gesang erwartet hat, der wurde im 3. Akt enttäuscht, wer hingegen grotesk-komischen Schwank und dunklen Wiener Sarkasmus gesucht hat, der wurde fündig. Ein Schuss tagesaktueller Pointierungen aus Politik und Showbiz sorgten für Begeisterungsstürme – zweimal tosender Abgangs-Applaus und ein überwältigender Schluss-Applaus waren vorprogrammiert.

Nicht minder unterhaltsam und kongenial verkörperte Kurt Schreibmayer den Gefängnisdirektor Frank. Bereits im ersten Akt in das Bühnenspiel involviert, bewies der 63 Jahre alte Klagenfurter, dass er den Titel Kammersänger zu Recht tragen darf – eine klare Tenorstimme ohne jegliche Schwächen. Das war eine unanfechtbare Vorstellung; das slapstickhafte Zusammenspiel mit Frosch entwickelte sich zum darstellerischen Höhepunkt. Von dieser glänzenden Darbietung werden die Zuschauer bestimmt noch sehr lange träumen! Besorgen Sie sich Karten und gönnen Sie sich eine Brise großartigen, klassischen Volkstheaters. Man kann nur hoffen, diese beiden Top-Akteure in weiteren gemeinsamen Auftritten zu erleben. Einstweilen werden sie unterschiedliche Wege beschreiten: Schreibermayer als Baron Mirko Zeta in „Die lustige Witwe“ ab 20. Oktober 2017; Gerhard Ernst in weiteren vier Vorstellungen als Frosch in „Die Fledermaus“ ab 3. Oktober 2017.

Last not least zum Dirigat des Abends. Was Guido Mancusi dem Ensemble zu entlocken vermochte, glich feinster Sahne. Bei Walzer- und Polkamusik können oft zu laute, aufdringliche Klänge entstehen – der gebürtige Neapolitaner bewies jedoch feines Gespür für Sänger und Sängerinnen. In der Jugend Sopransolist bei den Wiener Sängerknaben, studierte er neben dem Dirigierstudium auch Gesang – das macht sich bezahlt. Aus dem Graben der Volksoper entwich zart-bunte, nach Frühling schmeckende Operettenmusik, die für eine märchenhaft-unaufdringliche Untermalung des Gesangs sorgte. Der 51-Jährige, der bereits an der Mailänder Scala und in Bayreuth assistierte, wird die Besucher an weiteren Abenden verzaubern: ab 3. Oktober in „Die Fledermaus“ und ab 19. November 2017 in „Pinocchio“.

Einige Opernliebhaber scheuen die Operette wie der Teufel das Weihwasser. Zu Unrecht. Klar, die Operette ist mehr Schauspiel mit musikalischen Einspielungen – und die Musik ist weniger an der Schilderung von Gefühlen und Handlungsabläufen beteiligt. Dennoch bietet diese „Fledermaus“ neben sarkastischem Lustspiel auch Musik von traumhafter Schönheit. Jeder sollte diese Inszenierung gesehen haben: glamouröse Kostüme, bemerkenswertes Bühnenbild, hervorragende Schauspieler und betörend schöne Musik versetzen den Besucher zurück in die dekadenten und frivolen Ball-Säle der Donaumonarchie. Kaiser Franz Joseph lässt grüßen. Operettenherz was willst du mehr!

Jürgen Pathy (klassik-punk.de), 28. September 2017, für
klassik-begeistert.at

 

 

 

 

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