Bachs Matthäus-Passion samt einem Moment der magischen Stille ergreifen den Hamburger Michel

Johann Sebastian Bach, Matthäus-Passion BWV 244, Chor St. Michaelis, Hamburger Knabenchor, Mitglieder der Alsterspatzen  St. Michaelis, Hamburg, 24. März 2024

St. Michaelis, Hamburg, 24. März 2024

St. Michaelis und der Großneumarkt am Dienstag, 26. März 2024, um 6.22 Uhr © Andreas Schmidt

Chor St. Michaelis, Hamburger Knabenchor und Mitglieder der Alsterspatzen

Barockorchester St. Michaelis
Dirigent: Jörg Endebrock 

Johannes Gaubitz, Tenor (Evangelist)
Martin Häßler, Bass (Christusworte)
Ilse Eerens, Sopran
Anke Vondung, Alt
Martin Platz, Tenor
Thomas Tatzl, Bass

Johann Sebastian Bach: Matthäus-Passion BWV 244

Von dieser souveränen Aufführung der Matthäus-Passion kann man selbst nach drei Stunden Musik nicht genug bekommen, das monumentale Bach-Werk strahlt tief ergreifend durch den prächtigen Hamburger Michel. Ein Satz feiner  Solistinnen und Solisten brilliert mit souveränen Leistungen; der Chor wie das Barockorchester der Kirche St. Michaelis komplettierten die begeisternde Aufführung. 

von Johannes Karl Fischer

Ein Moment der magischen Stille ergreift die Hamburger Hauptkiche St. Michaelis. Nach einer tief berührenden Aufführung der monumentalen Bach’schen Matthäuspassion – zwei Orchester, zwei Chöre und über drei Stunden Musik inklusive – bleibt es einfach muxmäuschenstill. Geliefert wie bestellt. Denn nach dem obligatorischen „Bitte schalten Sie Ihre Handys aus“ kommt noch die Ansage: Kein Klatschen bitte. Aus Respekt vor der besonderen Bedeutung dieser Musik in der Karwoche. Einmal die Chance, diese fast schon überwältigende Musik tief in die Seele eindringen zu lassen. 

Das lag auch an einer souveränen Leistung des hauseigenen Barockorchesters St. Michaelis, das unter der Leitung von Jörg Endebrock bereits in den ersten Momenten des Eröffnungschors eine deutliche Ansage an die umkämpfte Bach-Passions-Szene machte. Ganz der Musik treu blieb es bei einer kleinen Besetzung: Etwa drei Dutzend Musikerinnen und Musiker brachten die Mammut-Partitur aus historischen Instrumenten zum Klingen, doch umso sauberer und inniger der Klang. Jeder Akkord, jede aufgelöste Dissonanz berührte aus tiefster Seele und zog einen in den sanften Sog dieser Musik ein. Das dürfte selbst den kritischsten Skeptikern der historischen Aufführungspraxis zu Herzen gehen!

Der Dirigent und Chorleiter Jörg Endebrock © St. Michaelis, Hamburg

Der Chor St. Michaelis komplementierte die Orchesterleistung bestens. Vor allem in den letzten Nummern sorgten die der Aufführungspraxis entsprechend ebenfalls nicht sehr zahlreich besetzten Tutti-SängerInnen für eine fulminante Stimmung in der prächtigen Barockkirche. Die Chöre sangen sie äußerst rund, mit sanfter Stimme und mit viel Liebe zur Musik. In Doppelchorbesetzung singend krönten sie Bach zum König der choralen Mehrstimmigkeit!

 

Chor St. Michaelis, Hamburg

 

Moment… Doppelchorbesetzung, da fehlt doch noch was? Richtig, Bach hat in die Matthäus-Passion noch eine nicht ganz unwichtige extra Sopran-Stimme „in ripieno“ hineinkomponiert, die der Hamburger Knabenchor und die Alsterspatzen meisterhaft über den restlichen Chor legten. Schon im äußerst vielschichtigen Eröffnungschor – ein kontrapunktisches Wunderwerk – webten alle drei Chöre die Gesangsstimmen in perfekter Harmonie zusammen, das war eine absolute Meisterleistung der barocken Musikkunst!

In Sachen Solo-Gesang folgt in der Hamburger Bach-Passions-Szene derzeit ein herausragender Evangelisten-Tenor auf den nächsten. Nachdem vor zwei Wochen Daniel Johannsen bei der Uraufführung der neuen Lukas-Passion-Vollendung in dieser Rolle abräumte, geriet Johannes Gaubitz mit brillanter und müheloser Stimme eine ähnlich überragende Leistung im Michel, diesmal mit der Matthäus-Passion. Die Akustik in der prächtigen Barockkirche ist natürlich eine gänzlich andere als in der Laeiszhalle, umso souveräner segelte sein reiner, fast vibratolose Tenor von der Empore in alle Ecken des monumentalen Kirchenschiffs. Als wäre es seine Lebensaufgabe, dem Publikum die Passionsgeschichte zu vermitteln und sie dafür zu begeistern. Das war einer der saubersten und zugleich souveränsten Bach-Tenor-Leistungen, die ich je gehört habe… kann das nicht immer so klingen?

Auch Martin Häßler gelangen seine Christusworte souverän mit bärenstarkem Bariton. Routiniert und ausdrucksstark sang er mit tiefster Leidenschaft seine Arien und Rezitative, man spürte deutlich die Emotionen des leidenden und predigenden Christus. Thomas Tatzl brillierte ebenfalls in den restlichen Bass-Partien, seine etwas dunklere, dramatischere Stimme kontrastierte zudem sehr gut mit Häßlers Christus. Es ist zwar „nur“ eine Passion, aber mit so fein geformtem Gesang trug die Rollengestaltung dieser Stimmen fast schon opernartige Züge, wenn sich Christus und Pilatus im Text gegenüberstehen.

Ilse Eerens Sopran strahlte hell und herzergreifend von der Empore, ihre Arien schwebten wie im siebten Himmel durch die warme Luft. Wieder einmal sehr schade, dass Bach ausgerechnet seine Sopran-Rolle eher sparsam dimensioniert hat. Auch Martin Platz hatte als Arien-Tenor zwar längst nicht so viel zu singen wie sein Evangelisten-Kollege, erledigte die teils sehr herausfordernden Melodien dennoch mit klarer und präziser Stimme. Und nicht zuletzt überzeugte auch Anke Vondung auf ganzer Linie in der Alt-Partie. Ihre wunderbar warmen Arien sang sie stets mit brennender Passion und brachte von Beginn an ein gutes Maß an emotionaler Leidenschaft in das Bach-Werk. Insgesamt ein fantastisches Gesangs- wie Instrumental-Ensemble!

Es ist wieder mal wie guter Wagner, man kann davon einfach nicht genug kriegen. Mein Urteil nach diesen drei Stunden Musik lautete: „Prima, aber viel zu kurz.“ Diese Matthäus-Passion hätte ruhig noch ein, zwei Stunden so weiter gehen können… zum Glück endet das Bach’sche Passions-Repertoire ja nicht bei der Matthäus-Passion.

Johannes Karl Fischer, 25. März 2024, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

J.S. Bach, Matthäuspassion, BWV 244 Wiener Konzerthaus und Musikverein Wien, 17. März 2024

Johann Sebastian Bach, Matthäuspassion BWV 244 Frankfurt, Alte Oper, 16. März 2024

Johann Sebastian Bach, Matthäus-Passion Wiener Konzerthaus, 17. März 2024

Ballett von John Neumeier, Matthäus-Passion Staatsoper Hamburg, 7. April 2023

Johann Sebastian Bach, Matthäus-Passion, Laeiszhalle, Großer Saal, 9. April 2022

 

 

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