Elgars Melancholie und Fazıl Says sattfarbige sinfonische Bilder vermitteln spannungsintensive Weltsichten

Julia Hagen, Violoncello, Nil Venditti, Dirigentin, Die Deutsche Kammerphilharmonie Bremen  Bremer Konzerthaus Die Glocke, 11. September 2024

Julia Hagen © Simon Pauly

Konzert „Musik für eine bessere Welt“

Valerie Coleman „Umoja“ – Anthem for Unity

Edward Elgar  Konzert für Violoncello und Orchester e-Moll op. 85

Fazıl Say  Sinfonie Nr. 5

Julia Hagen  Violoncello
Nil Venditti Dirigentin
Die Deutsche Kammerphilharmonie Bremen

Bremer Konzerthaus Die Glocke, 11. September 2024

von Dr. Gerd Klingeberg

In einer Welt, in der kriegerische Auseinandersetzungen und harte gesellschaftliche Spaltungen wie selten zuvor an der Tagesordnung sind, ist der Begriff „Einheit“ ein großes, ein gar übergroßes Wort. Die amerikanische Komponistin Valerie Coleman hat mit „Umoja“ („Einheit“) eine Hymne geschrieben, in der der Traum von einer besseren Welt zum Ausdruck kommt. Das Werk ist der ideale Einstieg eines besonderen Konzerts der Deutschen Kammerphilharmonie Bremen am 11. September, dem 23.Jahrestag des katastrophalen Terroranschlags in New York, der die Welt in ihren Grundfesten erschüttert hat.
Ruhevoll schwebende, kaum greifbare Klangflächen markieren den „Umoja“-Auftakt. Einzelne, von hellen Soloinstrumentpartien vorgestellte motivische Gedanken kristallisieren sich heraus, werden vom Tutti weitergedacht, kommentierend verarbeitet, mitunter auch heftig konterkariert. Aber nur, um in stringentem Vorandrängen nach und nach mit einem folkloristisch simplen, vielfach variiert wiederholten Thema in kumulierter Klangdichte zu strahlender Einigkeit aufzublühen.

Von den recht optimistischen Zukunftsausblicken, die Colemans frohgemutes Finale vermittelt, ist bei Elgars in der Zeit des 1. Weltkriegs entstandenem Cellokonzert nichts mehr zu spüren. Der spätromantische englische Komponist, der gemeinhin weit mehr mit der opulent-triumphalen Empire-Monumentalität seiner heroischen „Pomp and Circumstances“-Märsche konnotiert wird, zeigt sich hier, in seiner letzten großen Komposition, als empfindsame, von persönlichen Schicksalsschlägen zutiefst verwundete Seele; nahezu durchgängig ist das Cellokonzert geprägt von tiefinnigen, melancholisch verschatteten Gedanken.

Julia Hagen © Julia Wesely

Das Soloinstrument, im Konzert bei ihrem Bremer Debüt virtuos gespielt von der österreichischen Cellistin Julia Hagen, steht erkennbar für den Komponisten selbst. Energisch und satttönig geraten die Anfangsstriche, dominierend gegenüber dem zurückhaltend agierenden Orchester. Gefühlvoll und höchst expressiv gestaltet Hagen die widerstreitenden, zwischen verzweifelter Düsternis und versuchtem Aufbegehren hin und her wechselnden Gedanken.

Zum emotionalen, ungemein klangvoll dargebotenen Höhepunkt wird das Lamento des Adagio-Satzes. Zwar hätte der Beginn noch eine Idee zurückhaltender, fragender, ruhiger ausfallen können. Aber das hat sich die Solistin für die noch um einiges inniger angegangene Wiederholung am Satzende aufgehoben. Das geht tief unter die Haut, hinterlässt Momente ergriffener Stille und Betroffenheit. Der derart ausgedrückte unendliche Schmerz mag stellvertretend stehen für all das, was Menschen sich gegenseitig anzutun vermögen. Im teils schwungvoll angegangenen Finalsatz wird schließlich doch auch noch einiges vom typischen Elgar-Pomp erkennbar, aber die transparent herausgestellten Wiederholungen der die zuvorigen Sätze bestimmenden, von wuchtigen Akkorden beschlossenen Themen hinterlassen am Ende eher bange Fragestellungen und unsägliche Resignation.

Die begeistert bejubelte Cellistin nimmt sich danach einigermaßen viel Zeit, bis sie sich zu einer Zugabe bewegen lässt. Mit der Sarabande aus Johann Sebastian Bachs 1.Cello-Suite präsentiert sie sich indes ein weiteres Mal als technisch wie auch gestalterisch herausragende Interpretin.

Fazıl Says Sinfonie Nr.5, eine Auftragskomposition zum Musikfest Bremen 2022, vermittelt, ähnlich wie bei Elgar, eine Vielzahl an Rückblicken des Komponisten auf Ereignisse der jüngeren Vergangenheit, seien es Pogrome gegen Minderheiten, die Pandemie oder kriegerische Auseinandersetzungen.

In martialischen Rhythmen donnernde Pauken, dazu scharfe, teils heftig dissonante Bläserattacken, dazwischen ein tonloser Windhauch mit fein darüber gelegten solistischen Melodien unterstreichen die riesige klangliche Bandbreite seiner raffiniert instrumentierten Komposition. Und hier ist die engagiert auftretende italienisch-türkische Dirigentin Nil Venditti offenbar voll in ihrem Element. Hatte sie zuvor schon mit präzisen, animierend lebhaften Vorgaben imponiert, so wird sie jetzt zum mitreißendem Energiebündel, das das gesamte Orchester zu Höchstleistungen antreibt.

Nil Venditti © Alessandro Bertani

Unter ihrem enthusiastischen Dirigat wir die Sinfonie zum großformatigen, vielgestaltigen und sattfarben ausgeführten Gemälde, zu einem gewaltigen Tsunami aus fremdartigen, dennoch eingängigen Klängen und Melodien, mit ohrenbetäubend blech- und paukenpochenden Metren, dabei immer klar strukturiert, aber in unaufhaltsamem Drive und nie nachlassender Spannung vorandrängend. Und gespickt mit derart vielen bildhaft plastischen Eindrücken, dass diese allesamt schwerlich bei einmaligem Hören zu verarbeiten wären.

Dem ist eigentlich nichts mehr hinzuzufügen. Aber nach guter Gewohnheit hat das Orchester mit Mozarts Ouvertüre zu „Die Hochzeit des Figaro“ noch einen netten Rausschmeißer parat. In markant akzentuierter, typisch zupackender Weise von der Kammerphilharmonie ausgeführt, dürfen diese Gute-Laune-Klangeindrücke zweifellos auch als exemplarisch gelten als „Musik für eine bessere Welt“.

Dr. Gerd Klingeberg, 12. September 2024, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

Musikfest Bremen, „Happy Birthday, Anton!“, St. Florianer Sängerknaben, Alois Mühlbacher, Countertenor Unser Lieben Frauen Kirche, Bremen, am 3. September 2024

Igor Levit, Klavierabend Die Glocke, Bremen, 4. September 2024

Musikfest Bremen: Anastasia Kobekina Violoncello, Nicolò Foron Dirigent, Deutsches Symphonie-Orchester Berlin Konzerthaus Die Glocke, 30. August 2024

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