München hat einen neuen Lohengrin: Die Presse uneins, das Publikum ratlos

LOHENGRIN, Richard Wagner  Bayerische Staatsoper, Mittwoch, 07. Dezember 2022

Foto: LOHENGRIN 2022, © W. Hoesl

LOHENGRIN
Romantische Oper in drei Aufzügen (1850)
Komponist Richard Wagner. Libretto von Richard Wagner. 

Eine Koproduktion mit dem Shanghai Grand Theatre

Bayerische Staatsoper
Nationaltheater München


Mittwoch, 07. Dezember 2022,
Premiere am 03. Dezember 2022

von Barbara Hauter

Ganz vorneweg: Musikalisch ist der Münchner Lohengrin ein Hochgenuss und absolut ein MUSS. Die neue Inszenierung des ungarischen Regisseurs Kornél Mundruczó dagegen hinterlässt in mir sehr zwiespältige Gefühle. Ich hatte vor meinem Opernbesuch die Kritiken gelesen: Von „Geniestreich“ bis „Totalausfall“ war alles dabei. Das versprach Spannung.

Zumal Wagners romantische Oper dem Regisseur viel anbietet: Historiendrama und Märchen, Transzendenz und Intrige, Magie und Liebe, Politik und psychologischer Tiefgang. Viel Raum für Deutung. Mundruczó versetzt den Lohengrin in eine Art Laborsituation. Die Bühne verkleinert zu einem sterilen, weißen Kasten, darin alle Akteure in Jeans und T-Shirt ebenfalls weißlich in allen Schattierungen. Fürs Auge ist wenig geboten bis auf ein paar blutrote Bänder im zweiten Akt und einem goldenen Flügel, den Elsa zur Hochzeit trägt. Der Chor zeigt eine Art Arm-Choreografie (wie man sie zurzeit viel auf Instagram sieht): Kollektiv erhoben zum Zeigen, zum Gruß, zur Anbetung. Versatzstücke der christlichen Symbolik verweisen auf einen Heilsbringer: Ein wassergefülltes Taufbecken, der Chor schwingt Palmwedel bei Lohengrins Ankunft. Dafür streicht der Regisseur die berühmteste Lohengrin-Symbolik:  Der Held reist nicht per Schwan an, sondern wird aus der anonymen Menge des Chores gezogen.

Foto: LOHENGRIN 2022, © W. Hoesl

Hier wird schon angedeutet, was der Regisseur im Lauf der drei Akte immer deutlicher macht: Lohengrin ist nicht der Superheld, nicht der Heilsbringer. Er rettet Elsa zwar vor der Steinigung, bleibt aber wie das Bühnenbild steril und unbeteiligt. Der Stein zieht sich dann durch die gesamte Inszenierung, Lohengrin hebt immer mal wieder einen auf, der jedes Mal ein bisschen größer wird. Bis am Ende, während Lohengrin sich offenbart, ein Meteorit über den Brabantern schwebt. Einschlagen tut er nicht. Das Publikum um mich rätselt über die Bedeutung: Steht er für einen völligen Neuanfang? Das Ende der Menschheit wie im Film „Don’t look up“, in dem ein herannahender Meteorit als Symbol für die Klimakrise so lange ignoriert wird, bis es zu spät ist? Allerdings sitzt Elsa auf dem Meteoriten wie die kleine Meerjungfrau auf ihrem Stein in Kopenhagen. Sie wird ins Märchenhafte überhöht.

Foto: LOHENGRIN 2022, © W. Hoesl

Während ich mit der Inszenierung hadere, bin ich von der musikalischen Darbietung des Abends völlig verzaubert. Das Orchester glitzert. Der Franzose François-Xavier Roth, der als einer der einfallsreichsten Dirigenten der Gegenwart gilt, leitet zum ersten Mal eine Opernproduktion in München. Es gelingt ihm die überwältigende Musik Wagners transparent zu machen. Ihm wird vorgeworfen, Buchstabe für Buchstabe zu dirigieren. Mir aber wird durch seine Weise, Orchester und Gesang zusammenklingen zu lassen, Lohengrin auf eine ganz neue Art verstehbar.

LOHENGRIN 2022, K. F. Vogt © W. Hoesl

Klaus Florian Vogt ist DER Lohengrin schlechthin. Seit er 2007 erstmals den Schwanenritter in Bayreuth gegeben hat, ist es seine Paraderolle. Jugendlich, kraftvoll, leicht schwelgt er durch die komplexe Partitur, brilliert mit feinem Piano und klaren Höhen. Über Elsa wundere ich mich zunächst. Die Südafrikanerin Johanni van Oostrum startet mit einer sehr zerbrechlich wirkenden Stimme, gewinnt aber zunehmend an Kraft und wird vom Publikum bejubelt. Sie gibt die Elsa anfangs psychisch nicht ganz gefestigt, greift sich immer wieder haltsuchend an ihren Strubbelkopf, entwickelt sich dann bis zur Meteoriten-reitenden Ikone.

LOHENGRIN 2022, J. v. Oostrum © W. Hoesl

Ihr wenig süßlicher, eher dunkler Sopran macht die Rollenentwicklung glaubwürdig. Ihre Gegenspielerin Ortrud, Anja Krampe, ist handfest und stabil. In den Höhen klingt sie sehr dramatisch und sie spielt ungemein präsent. An ihr kommt keiner vorbei. Der Finne Mika Kares als König Heinrich ist für mich die Überraschung des Abends. Er präsentiert einen lässigen Herrscher, der mit seinem Pracht-Bass trotzdem eine gewisse Würde ausstrahlt.

LOHENGRIN 2022, A. Kampe © W. Hoesl

Musik 1+, Inszenierung 3-4? Der neue Münchner Lohengrin ist trotzdem wichtig. An anderer Stelle (Madama Butterfly) habe ich mich über zu wenig Mut der bayerischen Staatsoper beschwert. Diese Neuinszenierung ist mutig. Eine Neuinterpretation eines Säulenheiligen der Opern-Literatur muss vielleicht sogar unterschiedliche Reaktionen hervorrufen. Dieser Lohengrin hat Diskussionsbedarf. Und das ist gut so.

Barbara Hauter, 8. Dezember 2022, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

Musikalische Leitung François-Xavier Roth
Inszenierung Kornél Mundruczó
Mitarbeit Regie Marcos Darbyshire
Bühne Monika Pormale
Kostüme Anna Axer Fijalkowska
Licht Felice Ross
Dramaturgie Kata Wéber

Malte Krasting

Chor Tilman Michael
Heinrich der Vogler Mika Kares
Lohengrin Klaus Florian Vogt
Elsa von Brabant Johanni van Oostrum
Friedrich von Telramund Johan Reuter
Ortrud Anja Kampe
Heerrufer des Königs Andrè Schuen
Brabantische Edle Liam Bonthrone
Granit Musliu
Gabriel Rollinson
Roman Chabaranok
4 Edelknaben Solist(en) des Tölzer Knabenchors
Bayerisches Staatsorchester
Bayerischer Staatsopernchor und Extrachor der Bayerischen Staatsoper

Richard Wagner, Lohengrin Bayerische Staatsoper, München, 3. Dezember 2022 PREMIERE

Richard Wagner, Lohengrin Theater Lübeck, 4. September 2022 PREMIERE

Richard Wagner, Lohengrin, Osterfestspiele Salzburg 2022, Großes Festspielhaus, 18. April 2022

Schreiben Sie einen Kommentar

Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert