Foto: Staatsoper Hamburg © Westermann
Birgit Nilsson, Mirella Freni, Edita Gruberova, Plácido Domingo, Luciano Pavarotti: Der Hamburger Mediziner und Klassik-Connaisseur Dr. Ralf Wegner hat die großen Weltstars der Opernwelt seit Ende der 1960er-Jahre alle live erleben dürfen: vor allem in der Staatsoper Hamburg, die in den 1970er-Jahren noch zu den weltbesten Opernhäusern zählte und sich heute um Anschluss an die deutsche und europäische Spitze bemüht. Begeben Sie sich in ein wunderbares Stück Operngeschichte und reisen Sie mit in eine Zeit, die scheinbar vergangen ist.
von Ralf Wegner
Eine Sache störte mich immer an diesem Stück: die Verbohrtheit, mit der Desdemona über die Eifersucht ihres Gatten hinwegsieht. Bei Verdis Oper fällt das stärker auf als bei der Theaterversion von Shakespeare, zum Beispiel der Zadek-Inszenierung 1976 am Deutschen Schauspielhaus mit Ulrich Wildgruber und Eva Mattes, oder der genialen choreographischen Interpretation von John Neumeier für das Hamburg Ballett im Jahre 1985. Neumeier spaltete die Person des dunkelhäutigen Mauren mit zwei Tänzern in einen eher gereiften, der venezianische Etikette angepassten Feldherrn und eine animalisch-triebhafte, Konventionen abstreifende Figur. Schon am Anfang wird bei Neumeier klar, warum sich die scheue Desdemona in Othello verliebt und ihm nach Zypern folgt: Es ist nicht der gefürchtete Feldherr, sondern das wilde, erotische Spiegelbild Othellos.
Geradezu genial ist Neumeiers Einfall, dass nicht ein banales Taschentuch als Corpus delicti dient, sondern Othellos in der Liebenacht bei Desdemona verbliebene Lendentuch. Othello hat sich vor ihr entblättert und sein Intimstes hingegeben, deshalb ist auch seine Erbitterung so groß, als er dieses Liebespfand in anderen Händen erblickt. Othello liebt Desdemona und hätte sich wegen eines banalen Taschentuchs nicht täuschen oder blenden lassen.
Othello ist beides, beeindruckender Heerführer und zärtlicher Geliebter. Das drückt auch Verdis Musik aus. Deshalb ist Othello auch so schwer zu singen, es bedarf des Heldentenors, der beim Esultate nicht nur mit dem Orchester gleichziehen, sondern es dominieren und anschließend mit lyrisch-zärtlicher Hingabe Desdemona anbeten muss. Zudem fordert die Rolle großes schauspielerisches Talent, denn das Publikum will auch die innere Zerrissenheit und das Abgleiten in den Wahnsinn spüren.
In den knapp ein Dutzend Aufführungen, die ich von dieser Oper gesehen habe, erfüllte nur Plácido Domingo diese Anforderungen. Zusammen mit einem unvergleichlich guten Sherrill Milnes als Jago und einer versierten Katia Ricciarelli geriet die von mir am 2. Oktober 1975 in der Hamburgischen Staatsoper gesehene Aufführung zu einem unvergesslichen Ereignis. James Levine forderte das Philharmonische Staatsorchester zu Höchstleistungen heraus, das eindrucksvolle Bühnenbild und die historischen Kostüme von Pierluigi Samaritani und die Regie von August Everding trugen ebenfalls zum Gelingen bei.
Später wurde diese Aufführung, für die stets schwer Karten zu erhalten waren, auch in den großen Saal des Kongresszentrums – zeitgleich – auf die Leinwand übertragen. Während der Pause erschienen die kostümierten Darsteller von der ca. 700 Meter entfernten Oper und verbeugten sich vor dem enthusiasmierten Publikum. Als Desdemona war allerdings nicht mehr Katia Ricciarelli, sondern die begnadete Sopranistin Margareth Price dabei. Diese Sängerin trat noch einmal 1979 als Desdemona auf, allerdings mit Carlo Cossutta als Partner, der seinen sängerischen Zenit schon deutlich überschritten hatte.
Seit jetzt knapp drei Jahrzehnten habe ich keinen guten Otello mehr gehört. Der letzte war der russische Tenor Wladimir Atlantow, der zwischen 1983 und 1991 den Otello sang sowie Franco Bonisolli der 1985 als Otello auftrat. Beide reichten zwar nicht an Domingo heran, lieferten aber gesanglich sehr gute Leistungen ab.
Die Rolle der Desdemona ist wohl einfacher zu besetzen, zumindest hat sie weniger zu singen als Otello. Julia Varady war 1983 herausragend, ebenso die vielfach unterschätzte Luisa Bosabalian (1967, 1985) oder Gabriela Benackova (1986). Nach Sherrill Milnes sang noch Juan Pons einen herausragenden Jago, zwischen 1986 und 2007 beeindruckte Franz Grundheber in dieser Rolle mit sängerisch zunehmend eindrucksvollerer Gestaltung.
Meine Lieblingsoper (41): „Das Gespensterschloss“ von Stanisław Moniuszko
Zu meinem großen Bedauern wurde die maßstabsetzende Everding-Inszenierung vor einigen Jahren abgesetzt und durch eine schwache Interpretation von Calixto Bieito ersetzt. Ich habe mir sein Werk nur einmal zugemutet, am 11.01.2017 (Premiere B). Es handelte sich um eine Übernahme vom Theater Basel. Von allen Aufführungen dieser Verdi-Oper war es wohl auch die musikalisch am wenigsten gelungene. Marco Bertis eher weiß-farbloser Tenor öffnete sich nur unter Druck, im Liebesduett am Ende des ersten Aktes klang seine Stimme eher fahl und liebelos.
Im Grunde reduzierte sich seine Rolle stimmlich und darstellerisch auf die eines Despoten, dem innere Gefühle abgingen. Desdemona konnte das nicht ausgleichen. Svetlana Aksenovas Sopran geriet häufig grell und in der Höhe eng. Der Stimme fehlte der warme Klang und das für Verdi typische Aufblühen der Stimme, etwa am Schluss des Abendgebets. Am ehesten gefiel noch Claudio Sgura als Jago, der aber weder stimmlich noch darstellerisch die Dämonie dieser Rolle zum Ausdruck bringen konnte. Gut war einzig Nadezhada Karyazina in der kleinen Rolle als Emilia.
Um zu verstehen, warum ich mir diese Inszenierung nicht wieder angetan habe, sei kurz Calixtos Interpretation der Verdi-Oper beschrieben: Eine schwarz ausgeschlagene, bis in die Seiten- und die Hinterbühne erweiterte Bühne (Susanne Gschwender) dominiert ein mächtiger, auf Schienen fahrbarer Drehkran, neben und auf dem sich die gesamte Handlung vollzieht. Vorn zum Publikum hin stehen Stacheldrahtverhaue, dahinter der Chor mit gefesselten Händen. Nach Ankunft Otellos wird der Stacheldraht entfernt und eine Schaumwein-Spritzorgie in Szene gesetzt. Ein “Delinquent“ wird an einem Haken am Kran aufgehängt und zappelnd in die Höhe gezogen, Otello vergewaltigt Desdemona und gibt sie dem Volk zur Hatz frei. Abendgebet und Ermordung Desdemonas finden auf einer der Kranebenen statt. Schließlich hängt Otello seinen Kopf am Kranausleger, der nach vorn zum Publikum hin fährt, in eine Stahlverstrebung und gibt seinen Geist auf. Ich weiß nicht mehr, ob er dabei noch seine Zunge rausstreckte.
Ralf Wegner, 3. August 2020, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at