Pathys Stehplatz (40): Kein stiller Ort im Häusl am Wiener Ring

Pathys Stehplatz (40) – Ein Griff ins Klo!  klassik-begeistert.de, 14. September 2023

Foto: Ehemalige öffentliche WC-Anlage in der Passage am Wiener Karlsplatz ©  www.instagram.com/bernard.kenner

An der Wiener Staatsoper hat man Hand angelegt. Über die Sommermonate hat man Teile des Hauses fast schon einer Generalsanierung unterzogen. Der Blick in die ein oder andere Toilette offenbart allerdings eine grobe Fehlplanung.

von Jürgen Pathy

Nur wenigen scheint es wirklich aufgefallen zu sein. Schleicht man so durch die Gänge der Wiener Staatsoper, könnte man meinen: zum Start der Saison 2023/24 nichts Neues, alles beim Alten. Der Streit zwischen Direktor Bogdan Roščić und Noch-Musikdirektor Philippe Jordan scheint beigelegt. Ende 2022 ist man sich medienwirksam in die Haare geraten. Der Grund: Die Nichtverlängerung des Vertrags von Philippe Jordan, der das Haus mit 2025 als Musikdirektor verlassen wird.

Die Wiener Philharmoniker sind ebenfalls zurück aus ihrer Sommerresidenz. Nach einer Saison bei den Salzburger Festspielen, wo der ein oder andere schon den Untergang des „Königs von Salzburg“ herbeisehnt. Intendant Markus Hinterhäuser steht teilweise heftig unter Kritik. Am lautesten natürlich bei einem Kollegen, der auch für das passende Medium schreibt. Nomen est omen, könnte man meinen. „Immer lauter werdend“, so lautet die Übersetzung des italienischen Namens des deutschsprachigen Klassikmagazins. Und auch sonst, scheint alles seinen üblichen Lauf zu nehmen. Wilhelm Sinkowicz, Chefkritiker der Presse, stellt die Qualität des Mozarts-Ensembles in Frage. Andere wiederum zweifeln sowieso schon seit jeher an den Fähigkeiten Bogdan Roščićs, das Haus entsprechend zu leiten. Man könnte also meinen – business as usual.

Nur der Blick aufs „stille Örtchen“ erweist sich nun als Novum. Aufmerksamen Gästen – vor allem den männlichen – sollte nicht entgangen sein, dass man dort gar nicht mehr so unbeobachtet sein Geschäft verrichten kann. Die neu renovierten Männer-WC-Anlagen im Parterre der Wiener Staatsoper – eine komplette Fehlplanung!

Renovierung an der Wiener Staatsoper

Das Positive allerdings zuerst: Dass man während der Sommermonate, die Ärmel hochgekrempelt hat, und das Haus von oben bis unten auf Vordermann gebracht hat, verdient schon großes Lob. Da hat man gehämmert, gestemmt und gebohrt, was das Zeug nur hält. Vor dem Büro von Bogdan Roščić – an der Fassade, die in Richtung Herbert von Karajan Platz zeigt – zeugt noch heute ein Baugerüst davon.

Beim Durchgang hinter dem „Bühnentürl“ hat man eine Art virensichere Schleuse eingebaut. „Naa-Jooo“, lässt einer der Portiere auf so typische Wiener Art seine Zweifel über die Sinnhaftigkeit dieser Lösung freien Lauf, während er die Augen verdreht. Den Brunnen vor dem Haus, den hat man von allen möglichen Verunreinigungen befreit – Vogelfäkalien sicher inklusive, die sich dort über die Zeit vermutlich eingebrannt haben. Und auch sonst hat man an der ein oder anderen Ecke des Hauses die Arbeiter zu Höchstleistungen getrieben. Alles durchaus nachvollziehbar und vermutlich notwendig.

Wer sich allerdings das Konzept der neuen Parterre-Toilette zurechtgelegt hat, der muss sich eines gefallen lassen: den Vorwurf der fehlenden praktischen Weitsicht. Rechts gelegen, gleich neben der Feststiege, dürfen die Gäste nun beim Einzug ins Parterre zwei Exemplare des männlichen Geschlechts beim Urinieren beobachten. Zwar nur von hinten, aber dennoch. Und der Clou bei dieser gewagten Fehlkonstruktion – das muss man sich Mal auf der Zunge zergehen lassen: Genau dort, wo der finanzstarke Besucherstrom vorbei muss, um seine Plätze an der Wiener Staatsoper zu erreichen. Preiskategorie 1 bis 3. Die Preisspanne der Karten bewegt sich hier zwischen 130 und 232 Euro. Bei Premieren sogar noch ein Schippchen mehr. Genau dort, darf man nun dieses fragwürdige Schauspiel beobachten.

Der Grund: zwei der wenigen Pissoirs – einigen vielleicht besser bekannt unter dem Begriff: Urinal. Die hat man nun so verbaut, dass sie direkt in der Blicklinie liegen, wenn man beim Vorbeigehen den Kopf nach links wendet. Da kann man eigentlich nur mehr die Hände über dem Kopf zusammenschlagen.

Relativieren bringt bei Fehlern nichts

Die Argumentation, die Türe sei ja sowieso immer geschlossen, erweist sich als Fehlvermutung. Damit wollte ein Gast, dem es beim Hinweis die Schamesröte ins Gesicht getrieben hat, diese Fehlkonstruktion relativieren. Genau das Gegenteil ist der Fall. Statt die Türe hinter jedem WC-Besucher zufallen zu lassen, hat man extra einen Holzkeil angebracht. Damit die Türe ja nicht zufällt. Der Anblick urinierender Männer blieb somit nicht nur am „Tag der offenen Tür“ einem jungen Mädchen nicht erspart. Das könnte man zumindest noch dem Anlass entsprechend als „passend“ verkaufen – Zutritt für alle, an alle Orte. Nein, auch am Sonntag, als Pretty Yende und Javier Camarena sich auf der Bühne in Bellinis „La Sonnambula“ die Ehre gegeben haben, derselbe Anblick. Die Eingangstüre des Parterre -WCs: sperrangelweit durchgehend geöffnet.

Na klar: Man darf sich schon die Frage stellen, ob es zurzeit nichts Relevanteres gäbe, über das man einen Bericht verfassen könnte. Nicht unweit der Landesgrenze schlagen sich Europäer gegenseitig die Köpfe ein. Die aktuellen News, die in der Opernwelt gerade die Runde machen, würden ebenso viel Beachtung verdienen. Heldentenor Stephen Gould scheint nicht mehr viel Zeit zu bleiben. Die Diagnose eines Gallengangskrebs’, der ihm laut eigener Aussage nur mehr einige Monate gewährt, rüttelt gerade so richtig Bayreuth durch. Dirigent Franz Welser-Möst dürfte da noch etwas mehr Glück haben. Nach der Entfernung eines bösartigen Tumors, sei seine Aussicht auf Genesung „sehr gut“. So lauten zumindest die Aussagen seiner Ärzte.

Die Misskonzeption dieser Banalität schreit dennoch zum Himmel hoch. Dem Vorwurf des Pfuschs müssen sich die Verantwortlichen in dieser Causa also schon stellen. Lob vielleicht für die Farbgebung. Richtig toll, in etwas wärmeren Farben gehalten. Viel weiß natürlich, aber auch leicht gräulich, Brauntöne und teilweise mit einem Stich sogar ins Türkise, wenn ich nicht irre. Die Armaturen und die Waschbecken – ebenfalls eine Augenweide. Nur selten erfreut man sich am „stillen Örtchen“ nicht nur des tatsächlichen Geschäfts wegen, über das man eigentlich nicht spricht, sondern auch des Anblicks der Sanitäranlagen dermaßen. Aber die Positionierung einiger Pissoirs: Schulnote 5. Durchgefallen wären der Architekt und die Verantwortlichen müssten sie sich einer Jury mit Hausverstand stellen.

Jürgen Pathy (klassikpunk.de), 14. September 2023, für klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

Jürgen Pathy, Baujahr: 1976, lebt in Wien. Von dort möchte der gebürtige Burgenländer auch nicht so schnell weg. Der Grund: die kulturelle Vielfalt, die in dieser Stadt geboten wird. Seit 2017 bloggt und schreibt der Wiener für Klassik-begeistert. Sein musikalisches Interesse ist breit gefächert: Von Bach über Pink Floyd, Nick Cave und AC/DC bis zu Miles Davis und Richard Wagner findet man fast alles in seinem imaginären CD-Schrank. Zur „klassischen Musik“, wie man sie landläufig nennt, ist der Rotwein-Liebhaber und Fitness-Enthusiast gekommen, wie die sprichwörtliche Jungfrau zum Kind: durch Zufall – aber auch relativ spät. Ein Umstand, weswegen ihn ein Freund wie folgt charakterisiert: „Du gehörst zu derjenigen ideellen Art der Zuhörer, die ich am meisten bewundere. Du verbindest Interesse, Leidenschaft und intelligente Intuition, ohne von irgend einer musikalischen Ausbildung ‚vorbelastet‘ zu sein.“

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