Rising Stars 21: Patricia Janečková, Sopran – das Wundermädchen aus dem Internet

Die Entwicklung und Karriere vielversprechender NachwuchskünstlerInnen übt eine unvergleichliche Faszination aus. Es lohnt sich dabei zu sein, wenn herausragende Talente die Leiter Stufe um Stufe hochsteigen, sich weiterentwickeln und ihr Publikum immer wieder von neuem mit Sternstunden überraschen. Wir stellen Ihnen bei Klassik-begeistert jeden zweiten Donnerstag diese Rising Stars vor: junge SängerInnen, DirigentInnen und MusikerInnen mit sehr großen Begabungen, außergewöhnlichem Potenzial und ganz viel Herzblut sowie Charisma.

 

Patricia JANEČKOVÁ: „Les oiseaux dans la charmille“ (Jacques Offenbach – Les contes d‘ Hoffmann)

von Dr. Lorenz Kerscher

Die Pandemie lehrt uns sehr schmerzlich, wie wichtig es ist, dass Musik live vor Publikum stattfindet. Nur dann kann man spüren, wie sie ihre Wirkung erzielt. So entwickeln sich Stars nur im Kontakt mit dem Publikum und gewiss nicht aus einer sterilen Laborumgebung heraus. Künstlerinnen und Künstler brauchen das Podium oder die Bühne und es war schrecklich, dass sie in letzter Zeit oft vor leeren Sälen spielen mussten. So waren Videoübertragungen nur als Notlösung akzeptabel. Oder kann man eventuell auch auf einem Youtube-Kanal zum Star werden?

Ich möchte diesen Artikel einer bezaubernden jungen Dame widmen, bei der es den Anschein hat, dass das tatsächlich funktionieren kann. Während die meisten Klassiksängerinnen und -Sänger sich vergeblich mühen, für ihren Youtube-Kanal überhaupt 1000 Abonnenten zu finden, um ab dieser Zahl Werbeeinnahmen erzielen zu können, hat die 1998 geborene Slowakin Patricia Janečková 193.000 Follower und es gibt dort zum Teil Videos, die schon Millionen Aufrufe verzeichnet haben. Und wenn sie ein Video von „O mio babbino caro“ mit reduzierter Begleitung durch ein Kammermusikensemble hochlädt, wird das innerhalb von zehn Tagen hunderttausendmal aufgerufen. Um einen Vergleich zu geben, brauchte Hanna-Elisabeth Müller für ein in der Kölner Philharmonie engelsgleich gesungenes „Ihr habt nur Traurigkeit“ aus dem Brahms-Requiem über sieben Jahre, um auf diese Zahl zu kommen. Obwohl inzwischen weltweit angesehen, hat sie nur etwa 900 Abonnenten auf ihrem Kanal.

Die im Klassiksektor außergewöhnliche Reichweite von Patricia Janečková geht nicht auf große Auftritte zurück; ihre Videos der letzten Jahre sind meist in kleinerem Rahmen entstanden. Eher liegt es vielleicht daran, dass sie zu Beginn ihres Werdegangs als Kinderstar bei Talentshows im Fernsehen Aufmerksamkeit fand und 2010 den tschechisch-slowakischen „Talentmania“ Wettbewerb gewann. Das waren zunächst ins Mikrophon gesungene Musicalmelodien, bald jedoch auch Opernarien und Duette. Videodokumente weisen nach, dass schon die Stimme der 13-Jährigen mit glockenreinem Kopfklang und natürlich schwebendem Vibrato überzeugte und dass die Intonation und Artikulation schon von den ersten Auftritten an frappierend gut waren.

Patricia Janečková (13 Jahre) bei Viva Musica! 2011 – Rossini, La Pastorella delle Alpi

Ein besonderer Zauber bestand darin, dass in ihrem kindlichen Gesicht ihr Glück über das gute Gelingen zu lesen war. Und so war ich wohl nicht der einzige, der neugierig wurde, wie die Entwicklung weitergeht. Was immer von ihr in Youtube erscheint, wird von den Fans mit größtem Lob überschüttet. Manchen ist keine Übertreibung zu viel, für einige ist sie die weltbeste Sängerin, andere fragen sich, warum sie nicht längst von großen Opernhäusern engagiert wird. Doch dafür ist die Zeit noch nicht reif.

Wohl hat man zunächst versucht, sie als Kinderstar zu vermarkten, doch die CD mit Opernarien, die man schnell produzierte, ist nicht mehr auf dem Markt, und die Homepage, mit der man ihr ein glamouröses Image anheften wollte, ist schon längere Zeit nicht mehr im Netz. Einige andere gleichaltrige Gesangswunderkinder, zu nennen wären beispielsweise Amira Willighagen und Jackie Evancho, haben sich bereitwillig von der Unterhaltungsindustrie auf pompöse Bühnen stellen lassen und trügerische Hoffnungen vom Aufstieg zur Pop-Ikone gehegt, doch Patricia gibt sich mit dem Wirken in kleinerem Rahmen zufrieden und ist sich nicht zu gut dafür, auf einer schlichten Orgelempore zu singen.

Patricia Janečková Georg Friedrich H­ändel – Arie „Let the bright Seraphin“ aus Samson.

Auf mich wirkt sie ehrlich und bescheiden, fast schüchtern und immer echt in dem Bestreben, guten Gesang darzubieten. Bewegend ist das Videodokument von der Preisverleihung des XIV Sacred Music Int. Competition in Rom 2014, als die 16-Jährige völlig überrascht und überwältigt vom Gewinn des ersten Preises mit Tränen in den Augen die Trophäe entgegennimmt. Offensichtlich hatte sie ein umsichtiges Umfeld, das ihrem Talent eine gesunde Entwicklung ohne Risiko ermöglichte. Also tingelte sie nicht weiter durch Fernsehshows, sondern ging daran, eine solide Gesangsausbildung zu durchlaufen.

In der Zusammenarbeit mit ihrer Lehrerin Eva Dřízgová-Jirušová, einer exzellenten Sopranistin, die schon 2013 bei einem Auftritt vor großem Orchester ihre Duettpartnerin war, erlernt sie seit acht Jahren eine sichere Technik und erschließt sich passendes Repertoire in kleinen, vorsichtigen Schritten. Wie es für eine Studentin angebracht ist, bewährt sie sich in kleinerem Rahmen, in dem sich die Stimme mit kammermusikalischer Begleitung ungezwungen entfalten kann. Die über 100 in YouTube publizierten Videos (siehe die unten angegebene von mir zusammengestellte biografische Playlist) dokumentieren eine ganz organische Entwicklung.

Sie selbst hält sich in den Internetmedien sehr zurück; man findet keine persönlichen Kommentare und Stellungnahmen von ihr, nicht einmal das routinierte „Dankeschön“, mit dem viele ihrer jungen Kolleginnen auf Komplimente reagieren. Dass ihr die Begeisterung der Fans im Internet etwas bedeutet, kann man nur vermuten, aber nicht erkennen. Man kann rätseln, wie sie, die sich (abgesehen von einigen Interviews in slowakischer Sprache) schon seit Jahren nicht mehr selbst darstellt, so außergewöhnlich viele internationale Follower an sich ziehen konnte. Oder man kann sie beglückwünschen, dass sie sich nicht von Facebook, Twitter und Instagram ablenken lässt, wenn es gilt, Schritt für Schritt eine solide Grundlage für ihre zukünftige Entwicklung zu erarbeiten Sie braucht ja auch nichts anderes als ihren schönen Gesang, um das Publikum auf sich aufmerksam zu machen.

Patricia Janečková: Die Fledermaus, Arie der Adele

Nach meinem Empfinden vereinigt Patricia Janečkovás Stimme jugendliche Natürlichkeit, Glanz und Wärme, hat Substanz in der Tiefe und eine koloraturensichere Höhe. Ihr Potenzial sehe ich zunächst im leichten lyrischen Fach, aus dem sie bei Konzerten in jüngerer Zeit auch diverse Arien präsentierte. Auch konnte sie sich an der Oper in Ostrava als Esmeralda in der Verkauften Braut und auch in Musicalrollen wie der Marie in der West Side Story schon in dieser Richtung erproben. Viele weitere schöne Aufgaben warten da auf sie, so ist beispielsweise die Despina in Così fan tutte in Olmütz angekündigt. Für die 23-Jährige sind das jetzt die richtigen Schritte einer längerfristig angelegten Entwicklung.

In der schon seit einigen Jahren bestehenden Zusammenarbeit mit dem hervorragenden Prager Barockensemble Collegium Marianum unter der Leitung der elanvollen Flötistin Jana Semerádová entwickelt sie sich auch im Bereich der Barockmusik zu einer Solistin, der man mir großer Freude zuhören kann. Mit dieser Originalklanggruppe stellte sie 2017 als Galathea in Händels Acis und Galathea ihre erste bedeutende Opernrolle dar. Eine märchenhafte Inszenierung mit den bezaubernden Mitteln einer Puppenspielbühne bildete einen sehr geeigneten Rahmen für dieses Debüt. Für einige Zeit war dies vollständig in YouTube verfügbar und hat mir sehr große Freude gemacht. Leider ist hiervon nur noch einen kleiner Ausschnitt abrufbar. Stattdessen können Beispiele aus Konzerten in den Jahren 2017 bis 2021 das erfolgreiche Zusammenwirken mit diesem Ensemble bezeugen.

LVHF 2019: Antonio Vivaldi – Laudate pueri, RV 601 – Gloria / Patricia Janečková , Jana Semerádová

So ist der Verdacht, sie könne ein reines Internetphänomen sein, durch eine vielversprechende Entwicklung im echten Leben widerlegt. Ihr YouTube-Kanal ermöglicht es den „Fans der ersten Stunde“, ihr die Treue halten und an ihre Zukunft zu glauben. Oftmals liest man Kommentare von Leuten, die angeben, dass sie klassischen Gesang eigentlich nicht mögen, aber Patricias Stimme und Auftreten wunderbar finden. So hat ihre Internetkarriere auf jeden Fall die schöne Auswirkung, dass sie vielen beim Überwinden der Schwelle zum Interesse an klassischer Musik hilft. Möge sie also zahlreiche alte wie neue Interessenten auf ihre Reise mitnehmen, die nach meiner Voraussicht zu einer erfolgreichen Karriere im richtigen Leben und interessanten Auftritten in Opern- und Konzerthäusern führen wird.

Dr. Lorenz Kerscher, 16. Dezember 2021, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

Ladas Klassikwelt (c) erscheint jeden Montag.
Frau Lange hört zu (c) erscheint unregelmäßig.
Schweitzers Klassikwelt (c) erscheint jeden zweiten Dienstag.
Sommereggers Klassikwelt (c) erscheint jeden Mittwoch.
Pathys Stehplatz (c) erscheint jeden zweiten Donnerstag
Hauters Hauspost (c) erscheint unregelmäßig.
Daniels Antiklassiker (c) erscheint jeden Freitag.
Dr. Spelzhaus Spezial (c) erscheint unregelmäßig.
Ritterbands Klassikwelt (c) erscheint unregelmäßig.
Der Schlauberger (c) erscheint jeden Sonntag.

Weiterführende Information:

Biografisch sortierte Playlist in Youtube

Patricia Janečková in Wikipedia

Rising Stars 20: Vivi Vassileva, Perkussion – ein Wirbelwind, der Klänge zaubert klassik-begeistert.de

Rising Stars 19: Johannes Kammler, Bariton – ein junger Kavalier, der Gefallen findet

Lorenz Kerscher, Jahrgang 1950, in Penzberg südlich von München lebend, ist von Jugend an Klassikliebhaber und gab das auch während seiner beruflichen Laufbahn als Biochemiker niemals auf. Gerne recherchiert er in den Internetmedien nach unentdeckten Juwelen und wirkt als Autor in Wikipedia an Künstlerporträts mit.

Dr. Lorenz Kerscher

„‘Musik ist Beziehungssache‘, so lautet mein Credo. Deshalb bin ich auch als Chorsänger aktiv und treffe mich gerne mit Freunden zur Hausmusik. Eine neue Dimension der Gemeinsamkeit eröffnet sich durch die Präsenz vieler, vor allem junger Künstler im Internet, wo man Interessantes über ihre Entwicklung erfährt, Anregungen zur Entdeckung von musikalischem Neuland bekommt und auch in persönlichen Kontakt treten kann. Man ist dann kein Fremder mehr, wenn man ihnen als Autogrammjäger begegnet oder sie sogar bei einem Konzertbesuch im Publikum trifft. Das ist eine schöne Basis, um mit Begeisterung die Karrieren vielversprechender Nachwuchskünstler mitzuerleben und bei Gelegenheit auch durch Publikationen zu unterstützen.“

10 Gedanken zu „Patricia Janečková, Sopran – das Wundermädchen aus dem Internet
klassik-begeistert.de“

  1. Ich bin total motiviert und inspiriert.
    Das absolute Gehör hat nicht jeder Mensch! Wer diese Gabe geschenkt bekommen hat, muss einfach sie immer wieder einsetzen.

    Eva-Anita Küfner-Büttner

  2. Man muss beten, dass sie das irgendwann wieder kann! Vor kurzem hat sie ihre Brustkrebserkrankung bekannt gemacht und hat nun zuerst ein halbes Jahr Therapie vor sich. Wünschen wir ihr alles Gute!

    Dr. Lorenz Kerscher

  3. Schaut ihr zu, wie schön sie ist. Die wunderbare Stimme ist gesegnet mit einer weichen Seele und umhüllt von der – Kunst – der Natur. Mutter Erde ist ein Meisterstück gelungen.

    Ave Patricia, gesegnet seiest du.

    Wolfgang

  4. Liebe Patricia,
    ich wünsche den Segen Gottes und dass Sie wieder vollkommen gesund werden,
    damit Ihre Stimme noch viele Menschen begeistert!

    Rolf Menke

  5. Leider ist Patricia Janečková vor kurzem verstorben. Brustkrebs soll es gewesen sein, wenn man den Kommentaren glauben darf. In so jungen Jahren bereits – unfassbar.

    Im Grunde bin ich schlecht darin, auf solche Ereignisse entsprechend zu reagieren. Natürlich wünsche ich allen Hinterbliebenen viel Kraft, um diese schwierige Zeit zu überstehen. Vieles wirkt mir dennoch oft nur wie irgendeine Floskel. Daher möchte ich gerne Mozarts Worte hier posten, die auf mich sehr tröstend wirken.

    In einem Brief an seinen Vater schreibt er 1787:

    „…da der Tod (genau zu nehmen) der wahre Endzweck unseres Lebens ist, so habe ich mich seit ein paar Jahren mit diesem wahren besten Freunde des Menschen so bekannt gemacht, dass sein Bild nicht allein nichts Schreckendes mehr für mich hat, sondern recht viel Beruhigendes und Tröstendes!“

    Der Grund des Briefs: Mozart ist zu Ohren gekommen, dass der Vater, zu dem der Kontakt abgebrochen war, schwer krank sei. An das Thema mit dieser Selbstverständlichkeit rangehen zu können, muss unheimlich befreiend sein. Und kann dem Tod vielleicht zumindest ein wenig seines Schreckendes nehmen.

    Jürgen Pathy

    1. Ja, es ist sehr traurig, dass ich weniger als zwei Jahre nach diesem Artikel schon einen Nachruf schreiben und dafür auch um Worte ringen muss.
      Doch vielleicht hat es auch mal etwas Gutes, dass das Internet nichts vergisst und wir uns noch lange an Patricias engelsgleichen Gesang erfreuen können!

      Lorenz Kerscher

  6. Wie Werte unserer Natur sich in faszinierender Weise zeigen und uns beglücken – so schmerzhaft ist es, sie schwinden und vergehen zu sehen. Die Welt ist wunderbar und wir müssen uns zur Vergänglichkeit des Lebens bekennen. Dankend so etwas schönes dieser Welt miterleben zu dürfen ist aber ein grosser Trost.

    Josef Neunhäuserer

  7. I was most impressed by the way she sang – still so young – in the talent show. I was able to find a little insight into her everyday life on Instagram. I suspect that she didn’t find enough time for nature experiences and other interests outside of music. She was constantly posing in front of the camera. Often in a good haircut. Her fame had the disadvantage that she spent so much time on her mere appearance. Now she has passed away. The 16 chemo treatments, breast surgery and radiotherapy had not helped…

    Peter Siegfried Krug

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