Fotos: Premiere am 14. Juni 2015 | Monika Rittershaus (c)
Staatsoper Unter den Linden, Berlin, 13. September 2020
Ariadne auf Naxos
Musik von Richard Strauss
Libretto von Hugo von Hofmannsthal
von Johannes Fischer
Na also, geht doch: Oper trotz Corona. Ein großartiger Saisonstart in der Lindenoper! Wozu braucht man eine Premiere zur Saisoneröffnung, wenn man diese wunderbare Aufführung mit diesem genialen Dirigenten haben kann? Non molto agitato, ma eccellente, diese Vorstellung.
Erst letztes Jahr habe ich „Ariadne auf Naxos“ an der Hamburgischen Staatsoper gesehen. Das war eine der vielen Aufführungen, die bewiesen haben, dass an der Dammtorstraße immer noch in den Endrunden der Opern-Champions-League gespielt wird, und nicht in der Regionalliga! Die Lindenoper bekommt hier mächtig Konkurrenz aus Hamburg.
Wer einen Blick in den Graben wirft, bekommt, für Strauss‘sche Verhältnisse ein Mini-Orchester zu sehen. Das liegt in erster Linie daran, dass diese Oper ursprünglich nur als „Divertissement“ vorgesehen war (so schrieb es Hugo von Hofmannsthal an Richard Strauss am 15. Mai 1911), zu spielen im Anschluss an die Komödie „Der Bürger als Edelmann.“
Tatsächlich beabsichtigte der Komponist ursprünglich sogar ein noch kleineres Orchester. Am 22.05.1911 schrieb er seinem Librettisten über Ariadne:
„Ich denke mir folgende Besetzung: 2 Violinen, Bratsche, Cello, Baß, 1 Flöte, Oboe, Klarinette, Fagott, 1 bis 2 Hörner, Cembalo, Harfe, Celesta, Harmonium (eventuell noch eine Trompete und etwas Schlagzeug): 15 bis 20 Mann.“
Am Ende wurden es dann immerhin knapp 40. Zum Vergleich: Bei Elektra sitzen allein 52 Streicher im Graben. Schon allein deswegen ist Ariadne die perfekte Corona-Oper!
Dazu kommt, dass bei Ariadne auch kein Chor auftritt. Und an diesem Abend entfiel außerdem die sonst übliche Pause zwischen dem Vorspiel und der eigentlichen Oper. Somit erklang bereits nach gut zwei Stunden der Schlussapplaus. Und das, obwohl diese spätromantische Oper in voller Länge und Breite gespielt wurde.
Allesamt überzeugend waren die musikalischen Leistungen der SängerInnen. Insbesondere Roman Trekel (Ein Musiklehrer) und Katharina Kammerloher (Der Komponist) sorgten dafür, dass das gewohnte Spitzenniveau der Lindenoper auch an diesem Abend zu hören war. Wie schade, dass beide nur im Vorspiel auftreten. Vor allem Trekel konnte nicht nur seine sängerischen, sondern auch seine schauspielerischen Fähigkeiten zeigen.
Auch Martin Gantner war in Hamburg damals sehr gut, und Anaïk Morel sogar noch ein klein wenig besser als Katharina Kammerloher.
In Berlin war Anna Samuil (Primadonna/Ariadne) ebenfalls sehr gut. Gewiss, ihre Arie „Es gibt ein Reich“ hatte nicht ganz denselben voluminösen Klang, den Jessye Norman hatte. Aber Samuils Stimme hatte durch und durch eine sehr schöne, ernste Klangfarbe, die perfekt zu dieser Rolle gepasst hat. An der einen oder andere Stelle vielleicht etwas zu viel Vibrato. Aber das ist Kritik auf sehr hohem Niveau.
Camilla Nylund sang in Hamburg auch sehr gut, auch nicht viel besser. Trotz ihres wesentlich größeren Namens.
Wer den Parsifal und Tristan in Bayreuth und Lohengrin in Wien gesungen hat, muss eigentlich auch den Bacchus in der Lindenoper hinbekommen. Das hat Andreas Schager auch, und wie! Seine kräftige, aber nie gepresste Stimme hörte man selbst in den hintersten Ecken des Zuschauerraums sehr schön. Obwohl mir Stephen Gould noch etwas besser gefallen hat. Noch etwas dramatischer. Vielleicht könnte man sagen: Bei Gould ist im Bacchus ein Siegfried zu hören, bei Schager ein Lohengrin.
Einzig etwas enttäuschend war Sarah Aristidou (Zerbinetta). Sie bekam zwar den meisten Applaus, hatte aber einige Intonationsprobleme. Allem voran ein völlig unsauberes c‘‘‘ kurz vor Beginn der Arie „Großmächtige Prinzessin.“ Mal ganz abgesehen davon, dass in ihrer Stimme von der „italienischen Buffo-Manier“ wenig zu hören war. Sie ist allerdings nicht die erste Zerbinetta, von der ich etwas enttäuscht bin. Vielleicht liegt das aber einfach daran, dass im Moment niemand an Edita Gruberová herrankommt. Wäre mal wieder höchste Zeit für eine richtig gute Koloratursopranistin!
Eine ähnliche Meinung hatte ich zu Sofia Fomina in Hamburg letztes Jahr.
Die übrigen Nebenrollen waren an der Lindenoper alle sehr stark besetzt. Ist ja auch nicht anders zu erwarten. Besonders der Zusammenklang der drei Nymphen (Evelin Novak, Natalia Skrycka und Victoria Randem) sowie jener Zerbinettas Partner (Gyula Orendt, Linard Vrielink, Frederic Jost und Andrés Moreno García) hat mir sehr gefallen.
Ähnliches konnte man über das Hamburger Ensemble sagen.
Zu Thomas Guggeis: Dieser Dirigent, der bereits im vergangenen Dezember eine überragende „Samson et Dalila“ mit einem spontan konzertanten 3. Akt „gerettet hat,“ hat erneut eine absolute Meisterleistung geliefert! Auch Barenboim wird nicht mehr ewig weiter machen können. Leider. Aber wenn schon so ein Nachfolger bereitsteht, dann braucht man sich um die Zukunft der Lindenoper keine Sorgen zu machen.
Guggeis Dirigat war vom ersten Ton an voller Energie, voller Freude. Molto vivace! Zudem war auf der Dirigentenkamera deutlich zu erkennen, dass es an ihm lag, dass die Staatskapelle den Gesang auf der Bühne nie musikalisch überwältigte. Und auch nicht mit einer Walküreartigen Wucht aus den SängerInnen Wotan- und Brünnhildeartige Klänge rauspresste. Schon fast wie Thielemann (neben Barenboim einer meiner weiteren Lieblingsdirigenten). Und was für ein Unterschied zu Methas Rosenkavalier!
Kent Nagano ist und bleibt ein sehr guter Dirigent, aber mit dieser Leistung von Guggeis kann kaum jemand mithalten. Wegen der hohen Standards, die Barenboim setzt, gibt’s noch einen Extrapunkt.
Die Staatskapelle Berlin an sich hat auch sehr schön gespielt. Man bedenke: Selbst die besten Dirigate setzen auch ein entsprechendes Orchester voraus, damit das Dirigat auch akustisch zu hören ist. Bis auf ein paar Intonationsprobleme bei den Celli in der Ouvertüre (Anmerkung: nicht zu verwechseln mit dem Vorspiel), entsprach die Leistung des Orchesters auch weitgehend jener von Guggeis.
Auch das Philharmonische Staatsorchester Hamburg konnte übrigens damals ausnahmsweise mal so richtig überzeugen.
Die reichlich mit Symbolen gefüllte Inszenierung von Hans Neuenfels war allerdings etwas verwirrend. Was war der Sinn dabei, den Haushofmeister in eine Hosenrolle umzudeuten? Ich habe es einfach nicht verstanden. Und habe ich das richtig gesehen, dass Ariadne bei Neuenfels am Ende sich ersticht? Würde mich mal interessieren, wo das im Libretto steht. Ansonsten hat die Inszenierung eigentlich nicht gestört. Das ist ja auch schon mal etwas.
Da hat die Hamburger Inszenierung von Christin Stückl deutlich mehr Sinn gemacht.
Insgesamt ein äußerst überzeugender Abend. Una sera molto bella! Man sieht: Oper geht auch trotz Corona. Und zwar ohne musikalische Einschränkungen! So kann das gerne weiter gehen!
Übrigens: in meinem Direkt-Vergleich steht es im Ariadne-Derby zwischen der Lindenoper und der Hamburgischen Staatsoper unentschieden. Soviel zu einigen Stimmen, denen zufolge in Hamburg in der Opern-Regionalliga gespielt werde. Allerdings wurden die ursprünglich für Oktober und November geplanten Aufführungen in der zweitgrößten deutschen Stadt gestrichen. Warum das denn? Daniela Fally (Zerbinetta), Burkhard Fritz (Bacchus) und Dorothea Röschmann (Ariadne) sollten singen. Vorschlag für HH: Die abgespeckte Così fan tutte komplett streichen, stattdessen Ariadne wieder in den Spielplan aufnehmen.
Johannes Karl Fischer, 14. September 2020 für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
Viele Regisseure unsrer Zeit scheinen einer pessimistischen Lebenseinstellung à la Thomas Bernhard zu frönen.
Lothar Schweitzer
Ich habe auch beide Aufführungen gesehen und teile die Eindrücke sehr weitgehend. Ja, Ariadne erdolcht sich. Ich habe es mir damit erklärt, dass es im Vorspiel heißt: (der Komponist) „Einzig nur darum geht sie mit ihm – auf sein Schiff! Sie meint zu sterben! Nein, sie stirbt wirklich.“ Warum man in Hamburg „Ariadne auf Naxos“ vom Spielplan genommen hat, ist mir auch rätselhaft. Vielleicht standen die entsprechenden Sänger nicht zur Verfügung?
Lars Rüter
Sehr geehrter Herr Rüter,
Ein sehr interessanter Gedanke, den Schluss dieser Inszenierung mit dem von Ihnen erwähnten Zitat zu verknüpfen. Wenn man tatsächlich alles was KomponistInnen im Laufe der Entstehung ihrer Werke so von sich geben wortwörtlich nehmen würde, so würde man auf Werke kommen, die aus heutiger Perspektive teils sehr skurril wirken würden. Eine kleine Auswahl:
-Ariadne auf Naxos ohne Vorspiel. Diese Version der Oper wurde tatsächlich von Strauss veröffentlicht, und steht bis heute im Werkverzeichnis der Edition Schott (die auch die Richard-Strauss Ausgabe veröffentlicht).
-Beethoven 9 ohne Chor
-Modest Mussorgskis „Bilder einer Ausstellung“ für Solo-Klavier. Diese Version wurde ebenfalls vom Komponisten veröffentlicht. Obwohl sie noch gelegentlich aufgeführt wird, steht sie mittlerweile deutlich im Schatten der weit bekannteren Orchesterfassung. Letztere stammt tatsächlich nicht von Mussorgski selbst, sondern von Maurice Ravel (auch die von Ravel ist nur einen von vielen Orchesterbearbeitungen diese Stückes).
Zur gestrichenen Hamburger Ariadne: Ich bezweifele, dass das an der Verfügbarkeit der SängerInnen liegt, schon allein deswegen, weil die entsprechenden Verträge sicherlich nicht erst nach Beginn der Corona-Krise unterzeichnet wurden. Vielmehr liegt es glaube ich daran, dass die Opernhäuser jetzt unbedingt das Bedürfnis haben, ausgerechnet das spielen zu müssen, was nicht gespielt werden kann. Pünktlich dazu wurde heute der angepasste Lindenoper-Spielplan für Oktober veröffentlicht. Dass Macbeth und Tannhäuser nicht gespielt werden können, ist nicht verwunderlich. Aber was wird an den freiwerdenden Abenden gespielt? Eine Verdi-Gala und eine gekürzte Zauberflöte! Warum nicht einfach mehr Vorstellungen von Ariadne aus Naxos oder Les Pêcheurs de Perles?
Ich bin der Meinung, dass man locker eine Spielzeit ohne Wagner und Verdi leben kann. Auch zwei oder drei. Aber die Leute wollen anscheinend lieber abgespeckte Versionen von großen Opern, anstatt dass sie sich mit den vielen schönen Opern zufriedengeben, die man trotz Corona ganz normal spielen kann.
Johannes Fischer
Dorothea Röschmann als Ariadne hätte mich schon sehr interessiert. Vor allem, ob der Guten, deren Mozart– und Haydn-Interpretationen ich enorm schätze, auch der Wechsel ins jugendlich-dramatische deutsche Fach gelingt/gelungen ist.
Jürgen Pathy