Die Amsterdamer zelebrieren Gustav Mahler unterm Vollmond

Royal Concertgebouw Orchestra, Michael Nagy, Iván Fischer  Wolkenturm, Grafenegg, 31. August 2023 

Iván Fischer © Stiller Àkos

Wolkenturm, Grafenegg, 31. August 2023 

Royal Concertgebouw  Orchestra
Iván Fischer, Dirigent

Michael Nagy, Bariton


Jörg Widmann:
Auszüge aus dem Liederzyklus „Das heiße Herz“ für Bariton und Orchester

Gustav Mahler: Symphonie Nr. 7 in e-moll

von Herbert Hiess

Oft ist das eigene Archiv der beste Ratgeber und hilft, sich an gewisse Ereignisse zu erinnern. So auch bei der selten gespielten 7. Mahler, die schwer zu spielen und auch schwer zu hören ist. Und an diesem Abend im Jänner 2023 hörte man bei dieser Symphonie im Wiener Konzerthaus mit den Wiener Philharmonikern den allseits beliebten und leider nicht so allseits exzellenten Andris Nelson – lesen Sie selbst: Gustav Mahler, Symphonie Nr. 7 in e-moll Wiener Konzerthaus, 17. Januar 2023 – Klassik begeistert (klassik-begeistert.de)

Nun hatte man sieben (!) Monate später das echte Glück, in einer wunderschönen Vollmondnacht in Grafenegg eines der traditionsreichsten (vor allem Mahler-Tradition) Orchester im Wolkenturm zu erleben und war de facto sprachlos, mit welcher Virtuosität diese Musiker dieses großartige Werk zelebrierten.

Diese e-moll-Symphonie ist ein wahrhafter Koloss; nicht nur hinsichtlich der Länge, sondern auch von den Anforderungen an die Musiker. Der Dirigent muss ein gewaltiges Ensemble zusammenhalten und zu einer Interpretation formen, den einzelnen Stimmführern und Solisten wird absolut nichts geschenkt. Neben Fortissimoausbrüchen gibt es immer wieder kammermusikalische Stellen, die technisch enorm anspruchsvoll sind.

Das fünfsätzige Werk beinhaltet zwei „Nachtmusiken“, die so richtige Stimmungsmusik zelebrieren. Während Nachtmusik I geisterhaft dahinflattert, flirrende Streichertremoli und dynamisch rasch wechselnde Passagen gekoppelt mit einem der schwierigsten Hornsoli. Chapeau vor der jungen Dame am ersten Horn, die ganz gerechtfertigt am Schluss einen tosenden Applaus kassierte.

Nachtmusik II war ein typisches Mahler-Andante mit berührenden Kantilenen; dazu gesellten sich in diesem Satz eine Laute und eine Mandoline. Dieser Satz war in dieser Aufführung einfach nur exemplarisch gebracht – berührend und nahegehend.

Der skurrile dritte Satz und das Rondofinale dazu gaben diesem Konzert das Attribut „Sternstunde“; man darf gar nicht anfangen, einzelne Musiker wie die Hornsolistin aufzuzählen, da man sonst Gefahr läuft, ungerechtfertigt andere zu vergessen.

Der Paukist zum Beispiel, der sich im Finale mit wilden Paukenschlägen so richtig ausleben konnte führte mit diesem Traumorchester vor, wie dieses Werk klingen soll.

(c) HH

Maestro Iván Fischer, dessen Grafenegger Einstand mit dem Budapest Festival Orchestra nicht so geglückt war, konnte mit den Amsterdamern sich zu Recht in die Grafenegger Annalen verewigen. Und das Orchester demonstrierte, dass sich andere Orchester hier „warm anziehen“ müssen.

Vor der Pause bewiesen das Orchester und Dirigent Fischer gemeinsam mit dem deutschen Bariton Michael Nagy, dass auch das moderne Repertoire für sie keine Schwierigkeit darstellt.

Komponist Jörg Widmann, der auch „Composer in Residence“ 2014 in Grafenegg war, kreierte mit dem Liederzyklus ein Werk, das nicht eine Selbstdarstellung eines Künstlers und eine konstruktivistische Selbstbeweihräucherung ist, sondern eine wunderbare, verständliche und anhörbare Sammlung von teils skurrilen Liedern, die Widmann für ein enorm großes Orchester gesetzt hat.

Ursprünglich wurde der Zyklus von Widmann für Christian Gerhaher geschrieben; doch Michael Nagy braucht sich hier nicht zu verstecken. Der Komponist schenkt den Sängern hier absolut nichts. Extreme Höhen sind hier genauso zu finden wie extreme Tiefen – dazu kommt auch noch eine Instrumentierung mit „schwerem Blech“ (also Posaunen und Basstuba); oft ist die Basstuba sogar mit Solostreichern kombiniert.

Alles in allem war dieses Konzert einer der Höhepunkte des Grafenegg Festivals 2023 und auch der Start des (leider!) letzten Wochenendes dieses Festes.

Herbert Hiess, 2. September 2023, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

RSO Berlin, Vladimir Jurowski, Kirill Gerstein, Klavier Wolkenturm, Grafenegg, 27. August 2023 

Mahler Chamber Orchestra, Daniel Harding, Daniil Trifonov, Klavier Grafenegg, 25. August 2023 

Budapest Festival Orchestra, Iván Fischer, Selina Ott, Trompete Wolkenturm, Grafenegg, 18. August 2023 

Schreiben Sie einen Kommentar

Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert