Fotos: Francesca © Barbara Aumüller
Insgesamt 58 Opern schrieb Saverio Mercadante (1795 – 1870) und dennoch ist sein Name heute fast ganz vergessen. Selten werden seine Opern aufgeführt. Dabei darf er als das musikalische Bindeglied zwischen Gioachino Rossini und Giuseppe Verdi angesehen werden. Seine Oper “Francesca da Rimini” erlebt jetzt in Frankfurt ihre deutsche Erstaufführung.
Saverio Mercadante
Francesca da Rimini
Dramma per musica in zwei Akten
Musikalische Leitung Ramón Tebar
Inszenierung Hans Walter Richter
Bühnenbild Johannes Leiacker
Kostüme Raphaela Rose
Frankfurter Opern- und Museumsorchester
Chor der Oper Frankfurt (Leitung: Tilman Michael)
Francesca Jessica Pratt
Paolo Kelsey Lauritano
Lanciotto Theo Lebow
Guido Erik van Heyningen
Frankfurt, Oper, 26. Februar 2023
von Jean-Nico Schambourg
Zuerst sollte die Oper in der Saison 1830/31 an der Oper in Madrid uraufgeführt werden. Aus nicht geklärten Gründen kam es aber nicht hierzu und Mercadante reiste noch vor Ende der Saison ab. Im Winter 1831 sollte die Oper dann an der Mailänder Scala erstmals gespielt werden. Auch dieses Projekt scheiterte, teils an den Kapriolen der Primadonna Giuditta Pasta, die für die Hosenrolle des Paolo vorgesehen war und nicht für die Titelrolle, teils an Streitereien betreffend des Honorars des Komponisten. So fiel die Partitur in Vergessenheit, bis sie 1990 in der Bibliothek des Konservatoriums von Bologna wiedergefunden wurde. 2016 wurde sie dann schlussendlich beim Festival della Valle d’Itria in Martina Franca uraufgeführt. In Frankfurt kann man die Oper jetzt erleben, in Kooperation mit den Tiroler Festspielen Erl, wo sie im Dezember 2022 mit viel Erfolg zu sehen war. Für die Inszenierung zeichnet Hans Walter Richter verantwortlich.
Das Libretto stammt von Felice Romani und basiert auf einer Erzählung aus Dante Alighieris “Divina Comedia” (Die göttliche Komödie). Die Handlung der Oper gibt dramatisch nicht viel her: Francesca da Rimini wurde aus politischen Gründen mit dem missgebildeten Lanciotto Malatesta verheiratet, obschon sie glaubte dessen Bruder Paolo, genannt “Il Bello”, zugedacht zu sein. Beide haben sich vom ersten Moment an ineinander verliebt. Lanciotto überrascht die Liebenden und läßt sie gefangen nehmen. Nur durch Eingreifen von Guido, dem Vater von Francesca, entkommen die beiden vorerst dem Tod. Als Paolo Francesca im Kloster besucht, um sie zur gemeinsamen Flucht zu überreden, werden sie erneut von Lanciotto entdeckt. Francesca schluckt Gift um der Rache ihres Ehemanns zu entkommen, woraufhin Paolo sich erdolcht.
Die Kompositionen von Mercadante bilden, wie schon erwähnt, eine Brücke zwischen der Musik von Rossini und jener von Verdi. Einige Passagen der Oper lassen den großen Einfluss von Rossini erkennen. Als Beispiel sei die erste Arie von Paolo genannt, in der Oper von Mercadante eine Hosenrolle, wie eben auch viele Mezzosopran-Rollen aus der Feder des Meisters aus Pesaro. Schon die Szene allein erinnert an den Auftritt des Tancredi in der gleichnamigen Oper von Rossini. In anderen Teilen der Oper glaubt man Musik von Verdi herauszuhören, obschon diese erst später komponiert wurde. Mercadante befreite seine Musik von dem hauptsächlich durch Koloratur-Gesang geprägten Bel Canto Stil und gab seinen Opern einen vorher nicht in diesem Maße vorhandenen dramatischen Elan.
Allerdings zeigt sich im Laufe des Abends auch die Schwäche seiner Musik: mit Momenten scheint es, als ob der Komponist seinen eigenen Weg sucht und noch nicht gefunden hat. So zum Beispiel beim Finale des ersten Akts, wo sich Rossini-Passagen mit Verdi-ähnlichen Teilen abwechseln, um dann wieder in eine andere Stilrichtung zu verlaufen. Auch die Dauer der Oper (erster Akt 100 Minuten, zweiter Akt 60 Minuten) ist problematisch, da im zweiten Teil die Handlung nicht von der Stelle zu kommen scheint und die Oper, szenisch wie auch musikalisch, etliche Längen aufweist. Im Gegensatz zum ersten Akt, gab es vom Publikum kaum mehr Zwischenapplaus.
Da die Handlung der Oper begrenzt ist, richtet die Inszenierung von Hans Walter Richter ihr Hauptaugenmerk auf die Tragödien der drei Hauptpersonen: Francesca, die ihr Leben nicht selbst bestimmen darf und sich erst mit dem Freitod durch Gift befreit von allen Zwängen der sie erdrückenden Männerwelt; Paolo, der hin- und hergerissen ist zwischen der Liebe zu Francesca und seiner Bruderliebe; und schließlich Lanciotto, dessen Eifersucht ihn wahnsinnig macht. Das Bühnenbild von Johannes Leiacker bekräftigt die physische, wie auch psychische Gefangenschaft der Protagonisten. Die Bühne wird nach hinten von einer Wand eingeengt. Richter läßt sich diese allerdings immer wieder öffnen, um die Träume, Hoffnungen und Ängste der drei Hauptfiguren zu zeigen. Diese werden von drei Tänzer:innen dargestellt. Im zweiten Akt mischen sich die Tänzer:innen immer öfters direkt in das Operngeschehen ein: die Illusionen werden von der Realität eingeholt!
Jessica Pratt singt Francesca. Die Spezialistin von unbekannten Koloratur-Rollen klingt in ihrem ersten Auftritt gesanglich ein wenig zögerlich. Dann steigert sie sich aber gleich und zeichnet, auch stimmlich, eine verzweifelte, aber sich nicht unterwerfende Frau, die ausbrechen will aus ihrem unglücklichen Leben, das ihr von Männern aufgezwungen wurde. Mit ihren Spitzentönen rebelliert sie auf, weiß aber auch ihre “schuldvolle” Liebe zu Paolo, die Francesca schlußendlich in den Tod führt, mit weicher Stimme zu zeichnen.
Paolo wird von der japanisch-amerikanischen Mezzosopranistin Kelsey Lauritano gesungen, einem Mitglied des Ensembles der Oper Frankfurt. Sie nutzt diesen Abend für einen großen persönlichen Erfolg, der auf Grund ihrer gesanglichen Leistung vollauf verdient ist. Ihr gutgeführter Mezzosopran entspricht vorzüglich dem jugendlichen Elan des liebenden Paolo, ebenso dessen Verzweiflung zwischen Liebe und Brudertreue hergerissen zu sein.
Theo Lebow spielt einen vor Eifersucht fast wahnsinnig werdenden Lanciotto. Die von dem Komponisten gestellten gesanglichen Anforderungen meistert er ausgezeichnet. Mit Spitzentönen “duelliert” er sich auch stimmlich in einigen Szenen mit Jessica Pratt.
Erik van Heyningen singt die Rolle des Vaters von Francesca mit gepflegter Stimme. Karolina Bengtsson fällt angenehm auf in der kurzen Partie der Isaura. Brian Michael Moore komplettiert das Gesangensemble als Guelfo, dem fiesen Helfer von Lanciotto.
Dem Chor der Oper Frankfurt, gut einstudiert von Tilman Michael, kommt eine eher begleitende Rolle zu wie bei einer griechischen Tragödie. Im Orchestergraben führt Ramón Tebar das Frankfurter Opern- und Museumsorchester mit Verve durch die Partitur.
Als “Raritätensammler” muss man der Oper Frankfurt danken für Aufführung dieser sicherlich interessanten Oper, deren musik-historischer Wert jedoch größer ist als ihr künstlerischer. Das Publikum spendete am Schluss allen Beteiligten verdienten, aber nicht frenetischen Applaus, was eher am Werk selbst als an den exzellenten Leistungen der Ausführenden lag.
Jean-Nico Schambourg, 27. Februar 2023, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
Peter I. Tschaikowski, DIE ZAUBERIN, Oper in 4 Akten Oper Frankfurt, 21. Dezember 2022
Georg Friedrich Händel, Rodelinda (Premiere), Oper Frankfurt, 12. Mai 2019
Gioachino Rossini, Der Barbier von Sevilla Royal Opera Covent Garden, 2. Februar 2023 PREMIERE