Schweitzers Klassikwelt 17: Das Leben des Sängers Ljubomir Pantscheff, Teil 2

Schweitzers Klassikwelt 17: Das Leben des Sängers Ljubomir Pantscheff, Teil 2  Wiener Staatsoper

Im ersten Teil der Biografie des Bassisten Ljubomir Pantscheff erfuhren wir von seinen ersten Begegnungen mit der Kunst, wenn ihn sein Vater zu Stummfilmvorführungen mitnahm, die nicht nur von Pianisten begleitet wurden, sondern manchmal auch von Sängern. Der tragische Tod seines Vaters liest sich wie ein Politthriller. Sein Gesangspädagoge ebnete ihm dann den Weg nach Wien. Doch jetzt im zweiten Teil erfahren wir bald, dass Amerika ruft, unser Opernsänger knapp an einer Filmkarriere in Hollywood vorbeigegangen ist und seine Heimkehr nach Wien in den sicheren Hafen der Wiener Volksoper.

Foto: Ljubomir Pantscheff, 1939 in Sofia © Pantscheff-Archiv, Wien

von Lothar Schweitzer

Wien wird zweite Heimat

Im Herbst 1935 begann für Ljubo nach der Aufnahmeprüfung sein Studium an der Staatsakademie für Musik und darstellende Kunst, für seinen Lehrer Zlatew die Assistentenstelle bei Professor Lierhammer. Der Alltag der Studenten Pantscheff, sein Bruder Boris studierte Architektur in Wien: Ein gemeinsames unbeheizbares Zimmer in dem zwei Betten mit Mühe Platz hatten  und in welches vom Nebenzimmer Rauch einer nie verlöschenden Virginia-Zigarre ins Zimmer des zukünftigen Sängers eindrang. Für die Schummerbeleuchtung bei ihrer Stief-Großmama galt das Argument, man könnte ja die Lampe versehentlich brennen lassen, was teuer käme. Ein Schmalzbrot zum Frühstück, je zwei Schmalzbrote für Mittag- und Abendessen.

Ljuba Welitsch war sehr unbekümmert, was das Erlernen der deutschen Sprache betraf. Bei der Prüfung in Musikgeschichte bot sich Ljubo als Dolmetscher an, der nicht nur übersetzte.

Die SchülerInnen konnten an sogenannten „Fragmentabenden“ ihre Fortschritte testen. An einem Abend, an dem Ljubo den König Philipp darzustellen hatte, sang zur selben Zeit die gleiche Partie der Wiener Liebling Josef von Manowarda in der Staatsoper. Es wurde die Szene König – Großinquisitor ausgesucht. Alois Pernerstorfer, zukünftiger Protagonist und Kollege Pantscheffs war mit der Rollenverteilung merklich unzufrieden. An der Staatsoper ist dann bei gemeinsamen Auftritten in Partien ähnlicher Tessitur (Monterone – Ceprano, Bartolo – Antonio) der umgekehrte Fall eingetreten. Alois Pernerstorfer konnte in der größeren Rolle glänzen. Wahrscheinlich besaß unser Bassist weniger Durchsetzungsvermögen.

Schicksalswende

1937 wurde für unseren Sänger ein Jahr der Entscheidung. Paul Csonka wollte eine private Oper gründen. Sol Hurok, der US-amerikanische Manager u.a. der Tänzerinnen Isadora Duncan, Margot Fonteyn und Anna Pawlowa, würde eine Tournee durch die USA organisieren. Prof. Lierhammer warnte seinen Schüler vor dem riskanten Abenteuer. Csonka kürzte das Vorsingen ab, da er Ljubo schon in Konzerten gehört hatte. Er war engagiert. Dem Argument, er wäre von über 800 Bewerbern unter den sechzehn Auserwählten, konnte der zuerst Zweifelnde nichts mehr entgegensetzen. Er war jetzt Mitglied der „Salzburg International Opera Guild“.

Die Abgeschiedenheit eines Schlosses in Mondsee nahe der Stadt Salzburg war der ideale Ort für die musikalische und szenische Vorbereitungsarbeit unter der musikalischen Leitung des damals 29-jährigen Alberto Erede, der mir von Opernaufnahmen der Firma Decca mit dem Orchester der „Accademia di Santa Cecilia“ ein Begriff wurde. Auf dem Programm standen „Così fan tutte“, „Angélique“ von Jacques Ibert, Rossinis selten gespielte Oper „La cambiale di matrimonio“ (im Buch irrtümlich männlich il cambiale), „Der arme Matrose“ (Darius Milhaud) und Monteverdis „L´incoronazione di Poppea“ in einer Bearbeitung von Ernst Krenek (!). Alles in damals nicht selbstverständlicher Originalsprache. Wie wir sehen, war es eine eigenwillige Auswahl aus dem Opernschatz.

Erfahrungen in Amerika

In Amerika begann eine hektische Zeit. An Stimmhygiene war nicht zu denken, wenn in insgesamt hundert  Städten der USA und Kanadas fast jeden Tag Vorstellungen angesagt waren.  Zuerst in Baltimore, dann erst durfte nach Verbesserungen die Operntruppe in New York auftreten. Eine schlechte Rezension in der Kulturmetropole hätte das ganze Unternehmen ruinieren können.

Ljubomir Pantscheff wurde mit Ezio Pinza verglichen, der in den USA sogar Schaljapin vorgezogen wurde. Besonders aufgefallen ist der Bass wegen seiner bravourösen Interpretation des damals so genannten „Negertanzes“ in „Angélique“, wo er einen Afroamerikaner darzustellen hatte. Hollywood und Warner Brothers zeigten Interesse ihn für ein Film-Porträt über den Revuestar, „Neger“imitator und Schauspieler Al Jolson zu engagieren, als Asa Yoelson im heutigen Litauen geboren.

(Im Buch steht versehentlich Jonson.)

In den Los Angeles News erhielt er überschwängliche Kritiken mit seinem Foto neben dem Artikel. Das deutete er als beginnende Werbung für den geplanten Film. Er begann sein Englisch zu intensivieren, um beim Vorsprechen Shakespeare auswendig rezitieren zu können. Aber Schweigen von Seiten Hollywoods. Ljubo begann seine Träume vom Filmstar zu vergessen. Er begnügte sich damit, dass ihn Clark Gable und Charlie Chaplin persönlich in seiner Garderobe aufgesucht hatten und dass  er von Tito Schipa in seine Wohnung eingeladen wurde. Doch da meldete sich der Manager von Warner Brothers, der sich nach einem guten Gespräch dann wieder bezüglich eines Engagements skeptisch zeigte, ob nicht das Highlife Hollywoods ein so junges Talent korrumpiere. Während der kurzen Vorstellung beim Direktor telefonierte dieser ständig und sagte nur „All right!“ Der Manager verstand dies positiv und gratulierte Ljubo.

Der Tag der Rückreise nach Europa kam näher. Pantscheffs Beziehungen zu Hollywood waren noch immer nicht geklärt. Angesichts der politischen Lage konnte es kompliziert werden, Aufenthaltspapiere in kurzer Zeit zu erlangen. Seine  Reaktion scheint typisch für seinen ausweichenden Charakter zu sein. Er äußerte, dass er in den USA nicht begraben sein möchte, bemühte sich um die Papiere nicht weiter und war bereit zurückzufahren.

Der Heimkehrer

In den wenigen Monaten seiner Abwesenheit hatte sich viel verändert. Österreich gab es nicht mehr. Einige Tage vor seiner Rückkehr war sein Lehrer Prof. Lierhammer gestorben. Damit ging auch Zlatews Position an der Akademie verloren. Ende Juni 1938 holte Ljubo seine Abschlussprüfung nach. Aber die Schwierigkeiten in den Höhen blieben bestehen und er stieg weiter als Schüler der Vokalpädagogin Marga Wißmann (in der Zednik-Biografie Wissmann geschrieben) die 140 Stufen bis zu ihrer Wohnung in der Inneren Stadt.

Es gab auch positive Veränderungen. Das Haus am Gürtel wurde endgültig als zweites Opernhaus in Wien etabliert. Dort erhielt Ljubo einen Elevenvertrag als Cover für Fidelio-Minister, Collin und Zuniga. Er hatte es schwer, denn er musste seine frühere Mitgliedschaft bei einer jüdischen Opernunternehmung verschweigen und mit seiner Amerikareise wäre er ebenfalls als suspekt angesehen worden.

Ein Glücksfall trat ein. Die Wiedereröffnung der Volksoper wurde mit „Fidelio“ gefeiert. Die Rolle des Ministers war aufgewertet. Die Strophe „Nein, nicht länger kniet sklavisch nieder“ sollte auf den Anschluss Österreichs an das Deutsche Reich bezogen werden. Der Sänger dieser Rolle versagte bei den Proben immer wieder. So kam Ljubo zu seinem Debüt. Nur sein Vorname auf den Programmzetteln wurde auf Ludwig verändert. Erst als Kollege Georg Oeggl nach einer Meistersinger-Vorstellung, in der er den Beckmesser verkörperte und Ljubo den Hans Foltz, seinen Freund dem ehemaligen Zaren von Bulgarien Ferdinand von Coburg-Gotha, dessen Lieblingssänger zu sein Oeggl die Ehre hatte, in dessen Loge vorstellte, gab dieser dem Intendanten die Weisung der Namensrückänderung auf Ljubomir.

Die weiteren Kriegsjahre an der Volksoper

Auf den ehemaligen Wagner-Sänger Fleischer setzte Ljubo alle Hoffnung seine Höhenprobleme in den Griff zu kriegen, bis dieser aus rassischen Gründen gehen musste. Ljubos Vertrag wurde verlängert. Als er als Sparafucile nach dem großen F vor seinem Abtritt Szenenapplaus erhielt, geriet er unschuldig in den Verdacht mit Claqueuren zu arbeiten.

Georgi Zlatew mit seinem Schüler Ljubomir Pantscheff als Philipp II. © Pantscheff-Archiv, Wien

Reichspropagandaminister Goebbels gab den Auftrag, an die Stelle der Kritik müsste „Kunstbetrachtung“ treten. Schlechte Kritiken wären auch aus der nicht unbegründeten Furcht vor einer Parteiprotektion der Künstler nicht ratsam gewesen.

Das Ensemble der Volksoper bestand in der Kriegszeit aus SängerInnen frisch von der Akademie, aus Kroaten, Bulgaren und Rumänen und Gastsolisten aus dem großen Haus. Alois Pernerstorfer und Ljuba Welitsch stießen aus Graz dazu.

Ljubo war von 1940 bis zur Sperre 1944 der einzige Sparafucile  und der einzige Hans Foltz (im Buch beharrlich ohne t gedruckt). In 72 Vorstellungen der „Verkauften Braut“ war er der Micha, den Kezal sang – obwohl Bassbariton und später mit dem Alberich assoziiert – Alois Pernerstorfer.  87mal trat er als Angelotti auf. In Don Carlos sang er alternierend Philipp II. und den Mönch Karl V., in der „Zauberflöte“ wechselte er zwischen Sprecher und Zweitem Geharnischten.

Teil 3 erscheint am 29. Oktober 2020.

Lothar Schweitzer, 28. Oktober 2020, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

Schweitzers Klassikwelt 16, Ljubomir Pantscheff, Teil 1 Wiener Staatsoper

Ljubomir Pantscheff, der Mensch Wiener Staatsoper

Lothar Schweitzer ist Apotheker im Ruhestand. Gemeinsam mit seiner Frau Sylvia schreibt er seit 2019 für klassik-begeistert.de: „Wir wohnen im 18. Wiener Gemeindebezirk  im ehemaligen Vorort Weinhaus. Sylvia ist am 12. September 1946 und ich am 9. April 1943 geboren. Sylvia hörte schon als Kind mit Freude ihrem sehr musikalischen Vater beim Klavierspiel zu und besuchte mit ihren Eltern die nahe gelegene Volksoper. Im Zuge ihrer Schauspielausbildung statierte sie in der Wiener Staatsoper und erhielt auch Gesangsunterricht (Mezzosopran). Aus familiären Rücksichten konnte sie leider einen ihr angebotenen Fixvertrag am Volkstheater nicht annehmen und übernahm später das Musikinstrumentengeschäft ihres Vaters. Ich war von Beruf Apotheker und wurde durch Crossover zum Opernnarren. Als nur für Schlager Interessierter bekam ich zu Weihnachten 1957 endlich einen Plattenspieler und auch eine Single meines Lieblingsliedes „Granada“ mit einem mir nichts sagenden Interpreten. Die Stimme fesselte mich. Am ersten Werktag nach den Feiertagen besuchte ich schon am Vormittag ein Schallplattengeschäft, um von dem Sänger Mario Lanza mehr zu hören, und kehrte mit einer LP mit Opernarien nach Hause zurück.“

Lothar und Sylvia Schweitzer

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