Foto: (c) Marco Borggreve
Laeiszhalle Hamburg, Großer Saal, 1. September 2018
The Ukulele Orchestra of Great Britain
Ein Gastbeitrag von Teresa Grodzinska
Großer Andrang am Johannes-Brahms-Platz in Hamburg an diesem lauen, schon herbstlich anmutenden Samstagabend. Ein anarchisches Ensemble lädt zum zweistündigen Konzert. Das Publikum mehrsprachig, viele Asiaten, sehr viele englische native speaker und – hurra! – mehrere Kinder im Alter zwischen vier (!) und zwölf Jahren. Es fielen vor allem zweisprachige Ehepaare auf, zu erkennen am verschiedenen Zugang zur Darbietung: ein Teil des Ehepaares (meistens der Ehemann) geht in der Musik auf. Er stampft mit den Füßen, er hüpft, er klatscht sehr laut, er pfeift ohrenbetäubend, er singt und blamiert damit die größeren Kinder. Die deutsche Mutter nickt dezent.
Auf der Bühne acht Musiker, sieben mit einer unseriösen Ukulele auf dem Schoß und eine Bassgitarre. Das Konzert ist restlos ausverkauft. Das bedeutet für Ihre Berichterstatterin: Hals ausstrecken, um wenigstens die vier Musiker von links zu sehen. Es sei denn, ich stehe auf. Geht nicht, wegen der Engländer hinter mir. Hab ich probiert, werte Leser, aber da war nichts zu machen. Menschen stehen in allen Logen und auf dem Balkon zwischen den Rängen, Eltern halten Kleinkinder auf dem Schoß. Es ist ein Familientreffen der hier lebenden Briten und ihrer hamburgischen Mitmenschen. Nicht mehr und nicht weniger.
Die Ukulele an sich (hüpfender Floh auf hawaiianisch, es geht um die rasante Bewegung der Finger über dem Gitarrengriff) ist in etwa 150 Jahre alt. Ein Spanier brachte sie mit nach Hawaii, ein anderer Spanier verbesserte die Bauweise, die Hawaiianer lernten sie zu spielen und lieben, amerikanische Soldaten nahmen sie mit nach Hause, Engländer ebenso. The Ukulele Orchestra of Great Britain ist gerade 33 Jahre alt und weltberühmt.
Warum wird ein „Gitarren-ähnliches“ Instrument (Wikipedia) von der Größe eines Tabletts rund um die Welt so geliebt und so eifrig noch dazu? Allein in Deutschland gibt es fünf Ukulele-Ensembles. Ich glaube, es an diesem Abend verstanden zu haben: Die Ukulele ist ein Instrument des Volkes. Sie ist erschwinglich, sie passt in jedes Gepäck und jede Hütte, sie ist leichter zu erlernen als Klavier oder die große Gitarre. Gleichzeitig kann sie in den Händen von Virtuosen zu einem veritablen Konzertinstrument erblühen, vergleichbar mit Bandoneon oder Akkordeon. Wie an diesem Abend in der Laeiszhalle.
Sieben Ukulelen und eine Bassgitarre klangen zuweilen wie eine Rockband, ein Kammermusikensemble, wie ABBA, wie die Beatles. Die Mitglieder des Ukulele Orchesters sind auch allesamt VollblutsängerInnen. Die Stimmen wunderbar tragend, saftig, vor allem bei den beiden Damen und dem zweiten Mann von rechts starverdächtig. Wow. Pop at its best auf oder mit sieben Ukulelen. Allerdings mit Mikros…
Es gab kein gedrucktes Programmheft, also nur was ich im Kopf behalten habe: Sweet Dreams, ein russischer Kasatschok, Smoke on the water, mehrere Liebeslieder, auch auf Italienisch. Aber der allerschönste love song stammte aus Transsylvanien. Dracula lässt gruseln. Kinder werden was in der Schule zu erzählen haben. Klasse.
Sonst die Popmusik der 50 Jahre von ABBA bis Zappa. Das Programm erinnerte mich an früher übliche „Musik zum Steak“ auf den Kreuzfahrtschiffen, auch hier auf höchstem musikalischem Niveau. Das Mini-Orchester tritt regelmäßig in der Carnegie Hall in New York und bei den wunderbaren „Nights of the Proms“ in London auf.
Also alles wunderbar? Nicht unbedingt. Es ist keine Kritik: Es ist eine sehr persönliche Meinung von mir. Ich fand einzelne Programmnummern amüsant, virtuos vorgetragen und streckenweise hinreißend. Ich fand es allerdings auf Dauer einseitig, begrenzend, ermüdend. Ich wünschte mir nach einer Weile eine echte Gitarre mit ihrem saftigen Klang, eine echte Band mit allem Drum und Dran und drums, ein echtes Orchester. Die Musik wurde an kurzer Leine geführt. Das gibt das Material, das Instrument vor.
Dem Publikum genügte diese sehr sympathische, sehr bühnenerfahrene Ukulele-Gruppe voll und ganz. Echte Fans kennen kein differenziertes, kritisches Hören. Da regiert die Liebe. Man tobt, klatscht, pfeift und lacht den ganzen Abend lang. Ein Abend gespickt mit Situationskomik, kleinen Witzeleien, Seitenhieben in Richtung Russen, Deutschen, Hawaiianern – halt jeden, der nicht das Empire seine Heimat nennen darf. Just an der Grenze zur Geschmacklosigkeit wurde jedoch rechtzeitig zur sicheren Waffe aller Komödianten und Kabarettisten gegriffen: zur Selbstironie. Darin sind Engländer Weltmeister. Erinnern Sie sich noch an den James Bond, der Her Majesty the Queen in der letzten Sekunde rettet? Ein Hauch dieser Verwegenheit wehte an diesem Abend durch die Laeiszhalle.
Teresa Grodzinska, 2. September 2018,
für klassik-begeistert.de