Sommernachtskonzert Schönbrunn: Wundervolle Massenabfertigung

Wiener Philharmoniker, Valery Gergiev, Anna Netrebko,  Schlosspark Schönbrunn

Foto: Deutsche Grammophon (c)
Weltstar Anna Netrebko verzaubert mit ihrer Stimme

Schlosspark Schönbrunn, 31. Mai 2018
Wiener Philharmoniker
Valery Gergiev, Dirigent
Anna Netrebko, Sopran

von Thomas Genser

Zum jährlichen Sommernachtskonzert laden die Wiener Philharmoniker in den malerischen Schlosspark Schönbrunn. Unter der musikalischen Leitung von Valery Gergiev gibt man ein Potpourri mit dem Titel „Eine italienische Nacht” zum besten. Zwischen Bekanntem und weniger Bekanntem steht natürlich der Auftritt von Operndiva Anna Netrebko im Zentrum: Wieder einmal kann die Russin mit ihrer Stimme verzaubern, auch wenn die Veranstaltung mehr und mehr die Züge einer Massenabfertigung annimmt.
Die Bitte, während des Konzerts keine Mobiltelefone und Kameras zu verwenden und die Musik in Ruhe zu genießen, missachtet das buntgemischte Publikum in Schönbrunn von Anfang an: Sobald die eröffnenden Trompetensignale zu Rossinis Guillaume-Tell-Overtüre erklingen, schießen Smartphones massenhaft in die Höhe. Dirigent Gergiev gibt rasches Tempo vor, viele pfeifen und wippen zu dem bekannten Reitmotiv. Der Streicherapparat der Philharmoniker werkt punktgenau, das Schlagwerk ist hochaktiv, der Klang für ein Open-Air-Konzert transparent und ausgewogen.

Die folgende Ouvertüre zu Verdis Forza del destino leiten scharfe Blechbläserstöße ein, nach kurzer Entwicklung mündet die unruhige Streicherlinie in eine lyrische Passage. Mit delikaten Bewegungen führt Gergiev hier die Holzbläser, leider überdeckt das Geplapper des Publikums die ruhigeren Abschnitte. Gegen Ende wird es zum Glück wieder lauter: Pompös und mit beachtlicher Klarheit lassen die Streicher die triolische Linie hereinbrettern, die finale Kadenz ist laut und hochgradig publikumswirksam.

Und dann kommt SIE! Anna Netrebko. In den Momenten vor ihrem Auftritt beweisen alle Anwesenden, wie still knapp 105.000 Menschen sein können. Der Star des Abends beginnt mit Io son l’umile ancella aus Francesco Cileas Oper Adriana Lecouvreur. Die Sopranistin setzt sich über seidenweiche Streicher als Dienerin der Kunst wirkungsvoll in Szene. Strahlendes Timbre und große Gesten kennzeichnen ihren Vortrag – das hohe As am Ende schickt sie mit erhobenem Arm in den Schlosspark hinaus.

Als sinfonisches Zwischenspiel folgt dann das Intermezzo aus Mascagnis Cavalleria Rusticana. Es ist unverkennbar, dass hier die absolute Oberklasse der klassischen Musik am Werk ist. Mit starkem Fokus auf die Streicher stellt Gergiev des Idyll des kleinen Dorfes aus der Verismo-Oper dar. Die Musik scheint zu schweben, doch klingt gleichzeitig geerdet, so etwas können nur wenige Orchester – und dies trotz der Open-Air-Konzertsituation. Gergiev, der mit ausladenden Bewegungen vorangeht, hat schließlich Erfahrung damit: 2018 dirigiert er das Sommernachtskonzert bereits zum dritten Mal.

Der Triumphmarsch aus Aida ist geprägt vom durchdringenden Klang der langen Aida-Trompeten, die Verdi eigens für seine Oper entwickeln ließ. Der Russe am Pult dirigiert mit fester Hand, währenddessen verlassen die ersten Gäste das Konzert bereits. Leider wird beim Sommernachtskonzert eine Tendenz stark erkennbar: Bei den bekannteren Werken filmt das Publikum kurz mit dem Smartphone, um die eigene Anwesenheit zu beweisen, ansonsten wird munter geplaudert. Dies zeigt sich auch bei Tschaikowskys Neapolitanischem Tanz und in Prokojews martialischen Montagues & Capulets, die Gergiev wieder sehr schnell in Angriff nimmt.

Netrebko, nun ganz in schwarz gehüllt, feiert dann die großartige Arie Vissi d’arte, vissi d‘amore aus Puccinis Tosca. Da die Einleitung nur spärlich instrumentiert ist, bleibt ihr mehr Platz, um alle Nuancen ihrer Stimme zu zeigen. Umwerfend sind Vibrato und Tongebung, die Philharmoniker schmachten dazu in großen Bögen. Diese gibt es auch im Intermezzo aus Manon Lescaut, ebenfalls von Puccini. Sanfte Streicher machen den Anfang, Flöte und Harfen folgen hinten nach und sorgen für träumerische Stimmung in der frühsommerlichen Nacht. Die Bässe sind unerwartet kräftig, den piano-Stellen fehlt leider wieder ein wenig Schmackes.

Als letzter offizieller Programmpunkt steht Stridono lassù aus Leoncavallos Pagliacci auf dem Programm. Dem Grün von Netrebkos Kleid entsprechend wird das Schloss Schönbrunn im Hintergrund in grünes Licht getaucht. Während die Philharmoniker ihr viel Raum lassen, lässt die Sängerin noch einmal so richtig die Diva heraus: In hohen Lagen schmetternd, sind ihre Übergänge beim Wechseln in die Tiefe sehr fein. Eine wahre Ohrenweide! Das effektvolle Stück beschließt die Sängerin mit einer kurzen Pirouette. Dafür gibt es riesigen Applaus und Blumen. Bravissimo!

Zugaben:

O mio babbino caro aus Gianni Schicchi von Giacomo Puccini
Florentiner Marsch von Julius Fucik
Wiener Blut von Johann Strauss jun.

Thomas Genser, 31. Mai 2018, für
klassik-begeistert.de

Gioacchino Rossini: Ouvertüre & Finale aus Guillaume Tell
Giuseppe Verdi: Ouvertüre aus La forza del destino
Giacomo Puccini: Vissi d’arte, vissi d‘amore aus Tosca
Pietro Mascagni: Intermezzo aus Cavalleria rusticana
Giuseppe Verdi: Triumphmarsch & Ballettmusik aus der Oper Aida
Pjotr Iljitsch Tschaikowsky: Neapolitanischer Tanz aus Schwanensee
Sergei Prokofjew: Montagues & Capulets aus Romeo und Julia, Suite Nr. 2 op. 64b, Nr. 1
Francesco Cilea: Io son l’umile ancella aus Adriana Lecouvreur
Giacomo Puccini: Intermezzo aus Manon Lescaut
Ruggero Leoncavallo: Stridono lassù aus Pagliacci

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