EIN TITAN DES KREATIVEN INDIVIDUALISMUS:
ZUM TOD VON KARL LAGERFELD

Zum Tod von Karl Lagerfeld am 19. Februar 2019,  klassik-begeistert.de

Foto: Karl Lagerfeld, Volkswagen People’s Night © Siebi

Zum Tod von Karl Lagerfeld am 19. Februar 2019

Karl Lagerfeld hinterlässt eine große Lücke, die schon beinahe einem Krater gleicht. Es wird nicht einfach so weitergehen. Es wird etwas Neues, Anderes kommen. Karl Lagerfeld wird in unserem Andenken bleiben; das Neue wird ihn nicht überdecken, sondern an seine Seite treten. Die Kreativität wird leuchten.

von Dr. Holger Voigt

Als am 6. Dezember 2017 Karl Lagerfeld mit seiner ‚Métiers d’Art’-Kollektion des Hauses Chanel die Hamburger Elbphilharmonie „rockte“, wurde dieses als Ehrerbietung des Chefdesigners an seine Geburtsstadt Hamburg verstanden: Der große Sohn kehrte – zumindest für diesen Abend – in seine Heimatstadt zurück.

Ob Karl Lagerfeld dieses tatsächlich auch so sah, dürfte eher fraglich sein. Patriotismus lag ihm nicht. Sein Verhältnis zu Hamburg war zwar ein grundsätzlich positives – er bekam „positive Gefühle“ beim Anblick des Hafens und dem „Herumschippern“ auf der Elbe – wie er selbst einmal sagte. Allerdings empfand er seine Geburtststadt Hamburg eher als „eine Tapete seines Lebens“, und von Tapeten weiss man, dass sie abgenommen oder übermalt werden können. Das Haus seines Lebens dürfte viele Zimmer haben, in denen dann eben auch viele Tapeten die Wände zieren.

Die Kindheitserfahrungen seiner norddeutschen Herkunft als Sproß einer begüterten Unternehmerfamilie umfassten zudem ja auch diejenigen, die er im Schleswig-Holsteinischen Bad Bramstedt während eines Teils seiner Schulzeit machte. Das wird oft vergessen, obwohl es neben Hamburg doch auch dazu beitrug, sein „Norddeutsches“ Lebensgefühl zu prägen. Mit dem Begriff „Heimat“ konnte er indes nie viel anfangen; seine Heimat wurde schnell die ganze Welt. Und die hat er dann auch nicht „Heimat“ genannt – warum auch? Bevor man ihn – wie jetzt nach seinem Tod bereits erkennbar wird – für irgendetwas oder irgendeine Herkunftsfrage zu vereinnahmen versucht, sollte man bedenken, dass ein Karl Lagerfeld nicht zu vereinnahmen ist. Karl Otto Lagerfeld war Karl Otto Lagerfeld. Das muss reichen.

Nachdem er im Januar 2019 bei der Haute Couture-Präsentation des Hauses Chanel im Pariser Grand Palais nicht mehr in der Lage gewesen war, persönlich mitzuwirken und zudem viele Bilder kursierten, die einen fragilen und krank aussehenden Karl Lagerfeld zeigten, der sich offenkundig auch nur noch schwer bewegen konnte, statt seiner Sonnenbrille nur eine normale Brille trug, ein fülligeres Gesicht zeigte als zuvor bekannt – zudem mit Bart – und einzelne Bilder ihn sogar mit Zahnlücken zeigten, war vielen bereits klar, dass er schwer krank sein musste. Seine Müdigkeit und Erschöpfung als mitgeteilter Verhinderungsgrund waren keine Ausreden. Dieser Mann mit einer eisenharten Disziplin konnte einfach nicht mehr. Nun ist er am 19. Februar im American Hospital in Paris verstorben – dem Vernehmen nach an den Komplikationen eines Krebsleidens. Die Welt trauert um einen der letzten großen kreativen Individualisten.

Der im Grunde eher kontaktscheue, gleichwohl gesprächige Modedesigner war ein Non-Konformist par excellance und galt als eine wandelnde Selbstinszenierung, quasi eine Art „Gesamtkunstwerk“. Für ihn galten eigene, interne Maßstäbe, und diese waren sehr hoch angesiedelt. Er designte sich selbst und wurde seine eigene Marke.

In Interviews und Talkshows nahm er kein „Blatt vor den Mund“ und sprach einfach aus, was er dachte, was nicht jedem gefiel. Das ist allein schon eine Hervorhebung wert. Er kokettierte mit dem Widerspruch, parlierte blitzschnell und pointiert und entwaffnete seine oft sehr „gewöhnlich“ daherkommenden Gesprächspartner umgehend. Er war bisweilen durchaus arrogant, aber seine Arroganz trug zumeist sympathische Züge. Verletzen wollte er niemanden, davor bewahrt ihn auch ein solides Fundament hanseatischen Anstands.

Der in Paris mit seiner Katze Choupette lebende Modedesigner, der viel mehr war, als in dieser Bezeichnung unterzubringen wäre, war Deutscher mit deutschem und monegassischem Pass. Er soll nicht über einen französischen Pass verfügt haben, doch denkt jeder, der seinen Name hört oder liest, sofort an Paris. Ihm selbst würde eine jedwede Zuordnung vermutlich gar nicht interessieren. Er sah sich selbst eher als eine Art Weltbürger, und er schätzte es überhaupt nicht, wenn man versuchte, ihn zu etikettieren und definitorisch einzuschachteln.

Nach dem ersten Besuch einer Modenschau im Hotel Esplanade in Hamburg in den 50er Jahren war er fest entschlossen, nach Paris zu gehen und dort in der Modebranche Fuß zu fassen. Durch seine wohlhabenden Eltern, die ihm wirtschaftliche Unabhängigkeit gewährleisten konnten, wurde dieser Schritt auch umgesetzt. Alternative berufliche Perspektiven eröffneten sich ihm in Hamburg nicht – all das, was in der „Stadt der Pfeffersäcke“ sonst so üblich war, hielt er für langweilig und nervtötend. Seine Eltern stellten sich nicht dagegen, sondern bestärkten ihn in dieser Entscheidung. Seine Mutter – mit ihm nach Paris gegangen – sprach aus, was er selbst schon immer gedacht hatte: Hamburg ist das Tor zur Welt. Aber eben auch nur das Tor. Man muss hindurchgehen, um in die Welt zu gelangen. Er tat dieses mutig und ohne zu zögern. Damit war er einer der ersten Deutschen, die Deutschland verließen, um im Ausland das machen zu können, was im Inland eben nicht geht.

In Paris dreisprachig aufgewachsen, begann er frühzeitig, die kreative Atmosphäre dieser Stadt geradezu zu inhalieren. Er ging lieber in Paris spazieren, als in einer langweiligen Schule mit langweiligen Schülern und noch langweiligeren Lehrern langweilige Dinge zu lernen. Aber das führte nicht zu Selbstgefälligkeit oder gar Faulheit, sondern zum direkten Gegenteil. Er kultivierte seine Grundhaltung, in steter Wissbegierde sich alles an Kenntnissen selbst zu erarbeiten und anzueignen, was er brauchte und nutzen konnte, um seine Vorstellungen zu verwirklichen. Und das sollte bis zu seinem Tod so bleiben: Arbeit als schöpferische Gestaltung des eigenen Lebens. Den Begriff „workoholic“ verabscheute er zutiefst, doch fühlte er sich tatsächlich am wohlsten, wenn er sich in seine Wohnung zurückziehen konnte, um am Schreibtisch zu zeichnen, zu lesen, zu entwerfen.

Mit durchschnittlich 8 Kollektionen pro Jahr (!) war er schwindelerregend kreativ. Immer kam eine neue Sichtweise oder Variante hinzu, immer gestaltete er die abenteuerlichsten Szenerien und überraschte stets aufs Neue. Ich persönlich hoffte bis zum Schluss auf eine grosse Operninszenierung mit eigenen Kostümen, eigenem Bühnenbild, eigenen Licht- und Farbeffekten. Waren nicht auch schon viele seiner Präsentationen eigentlich kleine Operninszenierungen gewesen?

Karl Lagerfeld konnte Farben und Formen haptisch erfassen und kreativ verarbeiten. Nur eine Dimension zu sehen, war für ihn eine geradezu anstößige sinnliche Einschränkung. Er, der auch ein exzellenter Photograph war, oszillierte stets mit allen Sinnen gleichzeitig. Er konnte Schwarz und Weiss als Farben begreifbar machen, und diese Begreifbarkeit in Mode transponieren. Er komponierte geradezu mit Farben und Formen.

Nachdem er für die Kategorie „Mantel“ den ersten Preis beim International Woolmark Prize gewonnen hatte, bekam er bei Pierre Balmain die Möglichkeit, als Assistent zu arbeiten und absolvierte gleichzeitig eine Schneiderlehre. Nach und nach öffnete sich für ihn aufgrund seiner innovativen Gestaltungsideen eine Tür nach der anderen. In den 60er und 70er Jahren erhielt er immer mehr Aufträge renommierter Markenhäuser und wurde schliesslich künstlerischer Direktor bei Chloé. 1983 wurde er Chefdesigner des abwärts trudelnden Konzern Coco Chanels, dem die Jugendlichkeit abhanden gekommen war. Es gelang ihm in eindrucksvoller Weise, die Marke Chanel zu reanimieren und in die Spitzengruppe des Modedesigns zurückzuführen. Der Rest ist Geschichte – wir waren alle Zeitzeugen.

Karl Lagerfeld war und ist allen bekannt. So etwas nennt man eine „Ikone“. Er begleitete uns in stetiger Präsenz durch unser eigenes Leben. So präsent, wie es beispielsweise Queen Elizabeth II und Prinz Philip noch heute sind. Wann immer jemand aus diesem Teil unseres eigenen Lebens und Erlebens herausfällt, wird uns erst bewusst, was auf einmal fehlt und was wir verloren haben.

Karl Lagerfeld hinterlässt eine große Lücke, die schon beinahe einem Krater gleicht. Es wird nicht einfach so weitergehen. Es wird etwas Neues, Anderes kommen. Karl Lagerfeld wird in unserem Andenken bleiben; das Neue wird ihn nicht überdecken, sondern an seine Seite treten. Die Kreativität wird leuchten.

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