„…das Geheimnis der Liebe ist größer als das Geheimnis des Todes“ – Richard Strauss’ „Salome“ glänzt in Lübeck

Salome, Oper von Richard Strauss  Theater Lübeck, Musiktheater, 18. November 2022 Premiere

Salome, Musiktheater Lübeck 2022 Photos: Jochen Quast

Diese ausgezeichnete Inszenierung, der das Premierenpublikum mit atemlosen Gebanntsein folgte und die sie mit langanhaltendem, jubelndem Beifall bedachte, muss man einfach sehen!

Salome
Oper von Richard Strauss

Philharmonisches Orchester der Hansestadt Lübeck
Stefan Vladar, Dirigent

Inszenierung: Christiane Lutz

Theater Lübeck, Musiktheater, 18. November 2022  PREMIERE


von Dr. Andreas Ströbl

Der größte Skandal bei der österreichisch-ungarischen Erstaufführung von Richard Strauss’ Oper „Salome“ im Grazer Opernhaus am 16. Mai 1906 war weniger das biblische Sujet, dargestellt in einer Mischung aus Gier, Hybris und Erotik, als vielmehr der tosende Beifall des Publikums. Die deutsche Uraufführung hatte am 9. Dezember in der beschaulichen Vorweihnachtszeit des Jahres 1905 in Dresden bereits für Furore gesorgt. Hier lohnt der Blick auf die Etymologie des mittlerweile etwas abgegriffenen Wortes, denn „Furor“ bedeutet ja auch „Raserei“. In der Tat versteigen sich die Protagonisten dieses Dramas in Raserei, Maßlosigkeit und Selbstüberschätzung, was schließlich in der Katastrophe endet.

Es gab reichlich Stimmen, die diese Schlüsseloper des noch ganz jungen 20. Jahrhunderts am liebsten gleich ins Höllenfeuer verdammt hätten und an der Wiener Hofoper blieb ihre Aufführung bis 1918 streng verboten, obwohl Gustav Mahler, der die Genialität des Werks sofort erkannte, sich leidenschaftlich für die „Salome“ eingesetzt hatte. Kaiser Wilhelm sagte Strauss voraus, dass er sich mit diesem Werk „furchtbar schaden“ werde. Nun gut, der Kaiser hielt auch das Automobil für eine vorübergehende Mode und der Komponist erzählte später gerne, dass er sich von diesem Schaden seine Garmischer Villa hatte bauen lassen.

Im Theater Lübeck feierte ein wiederum begeistertes Publikum die mit Spannung erwartete Inszenierung dieses Dramas um eine degenerierte Herrscherfamilie und den Wegbereiter Jesu am 18. November 2022 im ausverkauften Haus. Wieder einmal konnte man sich überzeugen, dass die Hansestadt stolz auf eine erstklassige Opernbühne sein darf, denn die Produktion in der Regie von Christiane Lutz und unter der musikalischen Leitung von GMD Stefan Vladar ist ein Gesamtkunstwerk von höchster Qualität.

Das Bühnenbild von Christian Tabakoff, der auch die Kostüme entworfen hat, lässt erst gar keine orientalisierende Wohlfühlatmosphäre aufkommen und verfügt lediglich über den Saal des Herodes mit riesigem, krakenartigem Designerleuchter und den Küchen- bzw. Servicebereich mit Edelstahlanrichte, hellen Kacheln und hoher, grob verputzter Wand, die jeweils herabgelassen bzw. hochgezogen wird. Der minimalistischen Einrichtung entspricht der Mangel an Liebe, echter Familiarität und Aufrichtigkeit im Palast des Herodes und seiner Gattin Herodias, der Witwe seines Bruders – solch eine Verbindung galt als Blutschande im antiken Galiläa. Diese Sippe erinnert an eine dieser neureichen Familien im sündhaft teuren Wannsee-Glasbungalow aus dem „Tatort“, wo man schon am Anfang ahnt, dass deren Mitglieder sich entweder gegenseitig umbringen oder im Wahnsinn enden.

De profundis ruft der Mahner Jochanaan aus der Zisterne, die hier passend mit einer in sich leuchtenden, tellerähnlichen Abdeckung versehen ist und auf die spätere Darreichung des abgeschlagenen Täuferhauptes auf der Silberschale vorausweist.

© Jochen Quast

Christiane Lutz setzt in ihrer detailliert gestalteten Personenregie einerseits auf knallharten Realismus im Ausdruck von Emotionen oder Handlungen wie der imaginierten oder tätlichen Übergriffigkeit des Königs auf seine Stieftochter. Andererseits spielt sie mit Tableaus oder der Darstellung von Beziehungen durch Berührungen oder Distanzierungen sowie einer spielerischen Zeichenhaftigkeit, indem beispielsweise Salomes Schleier und andere Kleidungsstücke als Bänder oder Fesseln ein Miteinander, eine Abhängigkeit oder eine Dominanz in der Interaktion symbolisieren. Es erinnert manchmal etwas an Johann Kresniks semiotisch aufgeladene Ausdrucksformen, in denen die Akteure in gemeinsamen Figuren spezifische Beziehungsaspekte wiedergeben.

Das funktioniert auch deshalb so gut, weil das theatralische Spiel mit dem einzigartigen Miteinander von Musik und Libretto ausgewogen und detailakzentuiert interagiert. Strauss’ subtile Wiedergabe psychologischer Gesichtspunkte und Emotionen versteht das Philharmonische Orchester der Hansestadt Lübeck ebenso sensibel wie kraftvoll wiederzugeben. Zu Beginn müssen sich die Sängerinnen und Sänger mitunter anstrengen, um dem satten Klang des Orchesters die Kraft der eigenen Stimme entgegenzusetzen, was allerdings im weiteren Verlauf glänzend gelingt.

Stefan Vladars leidenschaftliches und fein differenziertes Dirigat verhilft dieser tiefgründigen und an Ebenen reichen Musik zu dem schillernden und schwülen Strauss-Klang, dessen Exotismus hier mit dem unterkühlten Bühnenbild eine spannungsreiche Dialektik schafft. Daraus entstehen psychologische Hochspannung und ein unverstellter Zugang zum Inhalt des Geschehens.

Solistinnen und Solisten glänzen sämtlich sängerisch und spielerisch, in Mimik und Gestik. Allen voran Evmorfia Metaxaki in der Titelrolle – Strauss hatte sich ja eine „16-jährige Prinzessin mit der Isoldenstimme“ vorgestellt. Die bewährte Haussopranistin versteht es tatsächlich, mädchenhafte Launenhaftigkeit, ja ein echtes kleines Luder zu verkörpern, das feststellt, wie einfach man selbst gestandene Könige mit Erotik zu wirklich allem herumkriegt, und dies mit der Kraft der erfahrenen Sängerin. Wie sie auf der Anrichte liegend in die Schale – ist es auch ein Spiegel? – hineinblickt, hat gleichermaßen die Grazie und lasterhafte Sinnlichkeit eines symbolistischen Gemäldes. Eine brillante Leistung!

© Jochen Quast

Ein Gast, der aber wegen seiner vielen Lübeck-Auftritte schon fast zum Ensemble gehört, ist der Tenor Wolfgang Schwaninger als Herodes, der den geilen Machthaber in allen Facetten von der völligen Selbstüberschätzung bis zur Resignation bravourös spielt und singt. Fast kann er einem leid tun, wie er glaubhaft versucht, alles aufzubringen, nur um nicht den Täufer opfern zu müssen.

Edna Prochnik ist seine Gattin, eine Mezzosopranistin mit großartiger, ja königinnenhafter Ausstrahlung, stimmlicher Stärke und Präsenz, die glücklicherweise nun am Haus angestellt ist. Ihre Herodias ist eine selbstgefällige, intrigante Matrone, die gerne zum Weinglas greift, wie auch die anderen im Palast.

Der berühmte dänische Bariton Bo Skovhus gibt den Jochanaan und das tut er bewusst mehrdimensional. Natürlich, er ist der Gesandte des Herren, stark durch seinen Glauben und seine Mission, aber er zeigt auch Angreifbarkeit. Seine Stimme klingt sowohl aus der Zisterne, in der er gefangen ist, als auch im Thronsaal kraftvoll und oft mit hymnisch-prophetischem Ton. Die schwarzen Handschuhe versinnbildlichen Distanz zu denjenigen, die ihn umgeben, aber er muss sich immer wieder überwinden, um sich nicht doch in eine Art von Nähe zur neckenden und lockenden Salome ziehen zu lassen.

Mitleid heischt tatsächlich Yoonki Baek als Narraboth, den unglücklich in die Prinzessin verliebten Hauptmann, dessen mitunter schluchzender Tenor seinen Warnungen eine geradezu flehende Innigkeit verleiht.

Ebenfalls zu Herzen geht Friederike Schultens Page in der Darstellung tiefster Erschütterung angesichts der Bluttat – sie überbringt Salome das abgeschlagene Haupt in einem schwarzen Netz, das aufgrund der das Hohelied Salomos zitierenden Frucht-Metaphorik im Libretto an ein Obstnetz erinnert, möglicherweise hat sich die maßlose Prinzessin den Kopf auch in einem ihrer Netzstrümpfe bringen lassen.

Das Juden-Quintett während der Bankettszene ist ungeheuer anspruchsvoll, denn in hysterischer Diskussion jagt hier ein Standpunkt den anderen, der Text muss ebenso rasend schnell wie deutlich gesungen werden und das schaffen Gustavo Mordente Eda, Mark McConnell, Tomasz Mysliwiec, Swjatoslaw Martynchuk und Benedikt Al Daimi problemlos.

© Jochen Quast

Eine solche Inszenierung kann nicht platt enden, im Sinne von „Salome dreht endgültig ab und Herodes lässt sie töten“, denn „das Geheimnis der Liebe ist größer als das Geheimnis des Todes“. In dieser Familie liebt niemand den anderen, letztlich sind alle auf ihre Art einsam. Salomes Trauma ist darin begründet, dass ihre Mutter in ihrer Egomanie sie nie wirklich wahrgenommen hat, deswegen ist sie so geworden, wie sie ist. Eigentlich sehnt sie sich nach Liebe, aber kann mit ihr nicht umgehen; sie hat sie ja nie wirklich erlebt. An ihre Stelle treten Gier, das maßlose Ausloten der eigenen Möglichkeiten und eine tödliche Biestigkeit. Die Einsicht, dass ihr der Weg zu einem wahrhaften, liebevollen Miteinander offenbar versperrt ist, führt zum Entschluss, sich das Leben zu nehmen.

Wie das geschieht und dann auch noch stimmig mit Herodes letztem Satz, „Man töte dieses Weib!“, der das Drama beschließt, übereingebracht wird, sei hier nicht verraten.

Diese ausgezeichnete Inszenierung, der das Premierenpublikum mit atemlosen Gebanntsein folgte und die sie mit langanhaltendem, jubelndem Beifall bedachte, muss man einfach sehen!

Die nächsten drei Vorstellungen sind am 25. November, am 2. und am 9. Dezember.

Dr. Andreas Ströbl, 19. November 2022, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

Salome, Richard Strauss, Premiere am 18. November 2022 Theater Lübeck, 8. November 2022

Richard Strauss, Salome Opéra national de Paris, 21. Oktober 2022

Richard Strauss, Salome (1905) Theater Basel, 14. Oktober 2022

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