Nordische Weite: ein Sinfoniekonzert der Staatskapelle Halle

2. Sinfoniekonzert, Händel-Halle Halle (Saale)  25. Oktober 2021

Dies zählt zu den vielen Ungerechtigkeiten der Musikgeschichte, an denen die ausgefallenen Programme der Sinfoniekonzerte der Staatskapelle Halle in dieser Saison etwas ändern wollen.

Foto: Wilhelm Stenhammar (1871-1927) © Gothenburg Concert Hall

Staatskapelle Halle, Fabrice Bollon (musikalische Leitung), Martin Sturfält (Klavier).

von Dr. Guido Müller

Der schwedische, international gefragte, leider hierzulande noch viel zu wenig bekannte Pianist Martin Sturfält brilliert in diesem Sinfoniekonzert mit dem technisch höchst anspruchsvollen, in Form und Klanglichkeit sehr originellen und vor musikalischen Einfällen sprühenden zweiten Klavierkonzert des schwedischen Pianisten, Dirigenten und leider in Deutschland kaum bekannten Komponisten Wilhelm Stenhammar (1871-1927) – uraufgeführt 1908 in Göteborg.

Wilhelm Stenhammar ist aus derselben Generation wie der viel berühmtere Finne Jean Sibelius (1865-1957), mit dem er befreundet war, und dessen gleichaltriger dänischer Kollege Carl Niesen (1865-1931), deren Werke das Klavierkonzert von Stenhammar einrahmen.

In Anbetracht des genialen und dreißig Minuten dauernden zweiten Klavierkonzerts von Stenhammar ist es absolut unverständlich, dass dieser schwedische Spätromantiker mit sehr persönlich geprägten Ausblicken in die Moderne des 20. Jahrhunderts kaum bekannt und nicht häufiger aufgeführt wird. In seiner Originalität und seinem Einfallsreichtum überragt es deutlich etwa Richard Strauss’ „Burleske“ für Klavier und Orchester. Aber auch viele andere spätromantische Klavierkonzerte, die oft mit überdrehtem Prunk auftreten.

Dies zählt zu den vielen Ungerechtigkeiten der Musikgeschichte, an denen die ausgefallenen Programme der Sinfoniekonzerte der Staatskapelle Halle in dieser Saison etwas ändern wollen.

Alle vier Sätze des zweites Klavierkonzerts von Stenhammar gehen ineinander über. Die vielen Inselstellen für Soli des Pianisten erinnern zunächst an Ludwig van Beethovens Viertes Klavierkonzert.

Doch über klassische und romantische Vorbilder führt das Klavierkonzert weit hinaus. Vor allem die Tonalität wird zunächst über die Chromatik etwa bei Richard Wagner oder Franz Liszt hinaus gehend erweitert durch kontrastierende Tonalitäten zwischen Klavier und Orchester, also Bitonalitäten vor allem im ersten Satz, der so starke Spannungen schafft, die auch zum Schluss des Satzes keine Aufhebung finden.

Weitere kühne Experimente folgen in den rhapsodisch und impressionistich angehauchten Episoden der folgenden Sätze „Molto Vivace“, „Adagio“ (mit wunderschönen lyrischen und stimmungsvollen Momenten) und „Tempo moderato“. Dabei werden Formen u.a. mit Einsprengseln schwedischer Volksmelismen immer wieder aufgelöst und sorgen für Überraschungen. Auch in den Farben der originell kombinierten Soloinstrumente. Dabei fallen die Holzbläser der Staatskapelle Halle durch exquisites Spiel auf, dem aber die Streicher besonders auch im gut abgestimmten Spiel ihrer Gruppen in nichts nachstehen.

Staatskapelle Halle (c) Felix Broede

Das Finale schließlich triumphiert mit höchst virtuosen Partien für den Pianisten im Wechsel mit prächtigen, sich immer mehr steigernden Passagen u.a. der Blechbläser. Dem Komponisten war als Pianist sein eigenes Konzert wohl zu schwierig, vor allem durch die geforderte große Dehnung der Hände, so dass er es durch die schwedische Pianistin Zelmica Morales-Asplund uraufführen ließ.

Martin Sturfält (c) Facebook Martin Sturfält

Für den schwedischen Pianisten Martin Sturfält gab es keinerlei technische Probleme. Im Gegenteil überzeugte er nicht nur durch stupende Virtuosität sondern ganz besonders auch in den lyrischen Passagen. Das Publikum brachte ihm Ovationen dar, für die er sich mit einem pianistischen Gruß aus seiner nordischen Heimat bedankte: Als Zugabe spielte er die Dritte Fantasie op.11 von Stenhammar.

Das Sinfoniekonzert wurde mit der populären kurzen Tondichtung „Der Schwan von Tuonela“ aus der „Lemminkäinen“-Suite (1896) von Jean Sibelius eingeleitet.

Den Abschluss bildete die Erste Sinfonie des Dänen Carl Nielsen, komponiert von 1889 bis zur Uraufführung 1894 von der Dänischen Hofkapelle in Kopenhagen, die ihn mit knapp 30 Jahren in seiner Heimat und auch bald darüber hinaus berühmt machte. Ihr sollten noch fünf weitere Sinfonien, Opern, diverse Solokonzerte, Klavierzyklen und fast 300 Lieder folgen, die ihn in Dänemark besonders populär und zum Nationalkomponisten machten.

Mit Mitte Zwanzig hatte Nielsen, der aus sehr einfachen Verhältnissen stammte und als Geiger in der Hofkapelle Orchestererfahrungen sammeln konnte, die Komposition begonnen. Und die Jugendlichkeit, die Erfahrung seiner großen Liebe, einer Bildhauerin, die seine Ehefrau wurde, das Feuer eines symphonischen Aufbruchs und musikalische Reiseerfahrungen u.a. in den damaligen Weltstädten Berlin und Paris, aber auch in Italien, prägen den Charme dieser Sinfonie.

Sowohl für die schwelgerischen Seiten, die sich dem Hörer unmittelbar in der Ersten Sinfonie Nielsens mitteilen, wie in den instrumentalen Details behält souverän der französische, erfahrene Dirigent Fabrice Bollon den Überblick und animiert die Staatskapelle zu konzentriertem und klangschönen Musizieren.

Fabrice Bollon (c) Konzertdirektion Martin Müller

Bollon studierte u.a. bei Michael Gielen, Nikolaus Harnoncourt, Georges Prêtre und Mauricio Kagel. Er leitet seit 2008 mit großem Erfolg und breiter Anerkennung als Generalmusikdirektor Orchester und Oper der Stadt Freiburg im Breisgau. Diese Erfahrung kommt in diesem Konzert deutlich zum Tragen und wird ihm vom Publikum durch langanhaltenden Beifall gedankt. Leider sind viele Stuhlreihen doch sehr gelichtet, da eine Großzahl der Konzertbesucher wohl leider zu viele Raritäten im Konzertprogramm nicht zu schätzen wissen.

Das wird sicher bei der anstehenden Ballett-Premiere in der Oper Halle am 30. Oktober anders aussehen, wenn u.a. die populärste nordische Musik mit der zu „Peer Gynt“ des norwegischen Kollegen Edward Grieg erklingen wird. Dann erwarten uns wohl tänzerische Weiten nach diesem klug vor der Ballettpremiere programmierten Sinfoniekonzert. Eine noch nicht oft aufgeführte Oper über einen schwedischen Stoff, August Strindbergs „Ein Traumspiel“ (1902) von Aribert Reimann (1963/64) erwartet den Besucher der Oper Halle auch noch in dieser Saison ab dem 7. Mai 2022.

Dr. Guido Müller, 31. Oktober 2021, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

KS Anke Berndt, Liederabend, Oper Halle, 17. Oktober 2021

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