Foto: B. Stöß ©
Parsifal, Richard Wagner
Deutsche Oper Berlin, 16. Oktober 2016
Nur ganz wenige Klassik-Begeisterte auf der Welt haben das Bühnenweihfestspiel Parsifal von Richard Wagner so oft gehört wie die Berlinerin Beate Friemel, 53. Einhundertfünfzig Mal hat sie Wagners letztes Werk, das der Komponist sein Opus ultimum nannte, live gesehen, dazu kommen unzählige Video-Aufzeichnungen. Dass sie alle zehn Parsifal-Aufführungen plus die Generalprobe der aktuellen Produktion der Deutschen Oper Berlin gesehen hat, versteht sich von selbst. So verfolgte die Opernenthusiastin auch die Wiederaufnahme des Stückes im Haus an der Bismarckstraße am Sonntag.
Warum immer wieder Parsifal? Ihre genauen empathischen Gefühle für Wagners Dreiakter kann Beate Friemel nicht benennen. „Wie beschreibt man das Gefühl etwa bei den ersten Takten des Vorspiels?“, fragt die Berlinerin. „Ist es nicht gerade die ‚Nicht-mit Worten-Beschreibbarkeit‘, die Musik so faszinierend macht? Wenn ich die Faszination genau beschreiben könnte, wäre das Magische nicht mehr da.“
Musikalisch setzt Wagner (1813 – 1883) im Parsifal zwei Welten gegeneinander: Die starre, feierlich düstere Gralswelt und die flirrende, kunstvoll-schwüle Atmosphäre von Klingsors Reich. „Zum einzigen Mal hat Wagner einen Orchesterklang vollkommen nach seinen theaterpraktischen Intentionen, das heißt für den verdeckten Orchestergraben des Bayreuther Festspielhauses, entworfen, welcher schwebende Impressionen, nebelhaft verschwimmende Nuancen und glühende Mischfarben präzise wiedergibt“, sagt der Musikkritiker Rolf Fath. „Die instrumental und klanglich homogenen, dicht gesteigerten Vorspiele und die Verwandlungsmusiken der Eckakte sind die schönsten Beispiele dieser altersreifen, klar strukturierten, gleichmäßig feierlichen wie sinnlich strömenden Musik.“
Auch an diesem Abend im fast ausverkauften Haus kommt das Meisterhafte, ja Göttliche des Parsifal immer wieder zum Vorschein, obwohl auch einiges zu kritisieren ist. Das Glanzlicht des Abends setzte der Tenor Klaus Florian Vogt aus Dithmarschen (Schleswig-Holstein). Er bot eine Weltklasse-Leistung ohne Fehl und Tadel. Es dürfte derzeit keinen Wagner-Tenor geben, der ihm das Wasser reichen kann. Er ist in der Höhe umwerfend brillant und jugendlich und hat mit seinen 46 Jahren mittlerweile auch im tieferen Register deutlich an Volumen und Resonanz gewonnen. Vogt bestätigte damit seine fulminante Leistung als Premieren-Parsifal der diesjährigen Bayreuther Festspiele, wo er seit 2007 jedes Jahr aufgetreten ist. 2017 wird er in Bayreuth den Walther von Stolzing in der Wagner-Oper „Die Meistersinger von Nürnberg“ geben.
„Wie Klaus-Florian Vogt in der letzten Szene des dritten Aufzuges im feinsten piano ‚Den Heilgen Speer, ich bring ihn euch zurück‘ singt, das ist Gänsehaut-Feeling pur“, sagte Beate Friemel. „Da gehen mir angenehm die Haare hoch.“ Auch der Hamburger Medienanwalt Ulrich Poser, 54, war bei seinem 30. Parsifal vollends vom Tenor angetan: „Allein für Vogt hat die Reise und die Übernachtung in Berlin gelohnt.“
Dabei müsste die Oper, wenn man allein die Quantität des Gesangs betrachtet, „Gurnemanz“ heißen, auch wenn der im zweiten Aufzug hinter der Bühne bleibt. Diese Rolle füllte der in Kopenhagen geborene Bass Stephen Milling in weiten Strecken sehr gut aus. Der Däne gibt seit 2015 einen phantastischen Hagen in der „Götterdämmerung“, dem vierten Teil des „Ring des Nibelungen“, in Bayreuth. Auch an diesem Abend offenbarte er in weiten Passagen einen sehr warmen, kräftigen und in den Tiefen sehr wohlklingenden Bass. Leider hatte Milling in den Höhen mehrfach Intonationsprobleme – zweimal besonders unsauber im ersten Aufzug, als er sich „verkickste“. Sicherlich haben René Pape und Matti Salminen den Gurnemanz schon vitaler und überzeugender dargeboten.
Eine ganz starke Leistung bot an diesem Abend der Bariton Thomas Johannes Mayer als Amfortas. Er hat an den richtigen Stellen den richtigen Wumms im Bariton und gab die Leiden des Amfortas überzeugend zum Besten. Dass er eine nuancenreiche, volle und auch vokalklare Stimme hat, hat er in diesem Jahr auch als Holländer im „Fliegenden Holländer“ in Bayreuth unter Beweis gestellt. Im kommenden Jahr wird er auf dem Grünen Hügel den Wanderer im „Siegfried“ singen.
Der australische Bassbariton Derek Welton, Ensemblemitglied an der Deutschen Oper Berlin, als Klingsor muss bei zweifelsohne hervorragenden Stimmanlagen noch zeigen, dass er auch versteht, was er gerade singt und spielt. Ihm fehlte in weiten Strecken der nötige Ausdruck in der Stimme.
Überragend war hingegen die Mezzosopranistin Daniela Sindram als Kundry. In ihrem zweiten Aufzug in Klingsors Zauberschloss kam sie nach kurzer Aufwärmphase immer besser in Fahrt. Sie hatte eine bestechend schöne Höhe, die nie scharf wurde, und eine wunderbar warme und weiche Tiefe und brachte die Besessenheit und Verdammtheit der Kundry phantastisch zum Ausdruck. „Die Sindram ist eine Wucht“, sagte die Berlinerin Beate Friemel. „Sie hat eine Gänsehautstimme. Vor allem bei ihrem dunklen Timbre, gepaart mit dem hellen von Vogt, bin hin und weg.“
Das Orchester unter der Leitung von Generalmusikdirektor Donald Runnicles bot in weiten Passagen einen schönen Wagner-Sound. Die Musik atmete. Doch was mit dem Auslöser der Gralsglocken an diesem Abend los war, bleibt dessen Mirakel. Im ersten Aufzug erklangen die Glocken viele Takte zu früh, im dritten Aufzug zu lange. „Chor und Orchester müssen wohl noch ein bisschen üben“, bilanzierte die Parsifal-Kennerin Beate Friemel. „Ich habe selten so viele falsche Noten bei den Bläsern und so miese Einsätze beim Chor gehört.“
Über die Inszenierung von Philipp Stölzl scheiden sich, wie so oft bei Inszenierungen, die Geister. Er zeigt die Handlung in weiten Teilen in historisierenden Kostümen von Kathi Maurer und einem historisierenden Bühnenbild, das den Zuschauer leicht an die vom Komponisten geforderten „nördlichen Gebirge des gotischen Spanien“ denken lässt. „Man muss es nicht immer künstlich auf modern trimmen“, sagte der Göttinger Manfred Koller, 63. „Der mythologische Kontext um den heiligen Gralskelch, in dem das Blut Jesu unter dem Kreuz aufgefangen wurde, wird schon im Vorspiel gut beleuchtet. Trotzdem bleibt die Inszenierung gewöhnungsbedürftig und sehr konventionell.“
Ulrich Poser aus Hamburg brachte es so auf den Punkt: „Die Inszenierung ist indiskutabel, sie erinnert zu 100 Prozent an die Passionsfestspiele in Oberammergau. Richard Wagner, Hans von Wolzogen, Cosima Wagner und Ludwig II. hätten ihre wahre Freude gehabt.“
Weitere Aufführungen: Samstag, 22. Oktober, 17 Uhr;
Sonntag, 30. Oktober, 16 Uhr
Andreas Schmidt, 17. Oktober 2016
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