Hamburgische Staatsoper, 11. September 2021
Sylvia, Ballett von John Neumeier, die zweite Besetzung
Alessandro Frola (Endymion), Hélène Bouchet (Diana), Madoka Sugai (Sylvia), Markus Lehtinen (Musikalische Leitung), Atte Kilpinen (Aminta), Félix Paquet (Eros/Thyrsis/Orion) und das Ensemble (Foto: R. Wegner)
von Dr. Ralf Wegner
Kilpinen tanzte ausgezeichnet, mit eher überspannt hibbeligen Bewegungen; wie jemand, der von seinen Gefühlen, nicht aber von der Liebe übermannt wird. Trusch’s Aminta wurde dagegen von der Liebe getroffen, wie die Titanic vom Eisberg.
Bei Neumeier sind die zweiten Besetzungen nicht besser oder schlechter, sie sind anders. Die ursprünglich für die Partie der Sylvia vorgesehene Emilie Mazon tanzte nicht wie zunächst angekündigt, zumindest nicht die Hauptpartie, sondern wie in der Voraufführung eine der Jägerinnen. Dafür wird man sie im Oktober in der Rolle der Ophelia sehen können. Bis auf Madoka Sugai, die abermals eine superbe Leistung zeigte, waren die anderen Rollen neu besetzt, so der gerade 21 Jahre alt gewordene Alessandro Frola mit der des Endymions, Félix Paquet übernahm die Partie des Eros, Hélène Bouchet war Diana und statt Alexandr Trusch wagte sich der erst vor kurzem zum Solisten beförderte Atte Kilpinen an die Rolle des Aminta.
Kilpinen tanzte ausgezeichnet, mit eher überspannt hibbeligen Bewegungen; wie jemand, der von seinen Gefühlen, nicht aber von der Liebe übermannt wird. Trusch’s Aminta wurde dagegen von der Liebe getroffen, wie die Titanic vom Eisberg. Trusch versank als Aminta in eine tiefe Melancholie und Traurigkeit, die ihn wohl bis ans Lebensende nicht loslassen wird. Bei Kilpinens Aminta kann man sich dagegen sicher sein, dass er in wenigen Wochen Trost bei einer anderen Jägerin oder Bauerstochter findet.
Die charismatische Tänzerin Hélène Bouchet scheidet Ende des Jahres aus dem Ballett aus. Es ist wirklich schade, dass die Tänzerinnen und Tänzer in den Vierzigern wegen der natürlicherweise nachlassenden physischen Kapazität den schönen Ballettberuf aufgeben müssen. Leider entwickeln sich körperliche Leistungsfähigkeit und interpretatorische Kunst nicht parallel, sondern gegenläufig. So hat man vor kurzem noch Bouchets herausragendes komödiantisches Talent bei ihrer Helena-Interpretation im Sommernachtstraum bewundern können. Anders als Anna Lauderes sehr diesseitige Interpretation war Endymion in der heutigen Aufführung nicht Dianas Liebesspielzeug, vielmehr schien Bouchet als Diana der Erinnerung an eine einstige Liebe nachzuhängen. Auch das ist interpretatorisch schlüssig.
Félix Paquet wirkte als Eros anfangs noch angespannt. Die Souveränität, mit der Christopher Evans die verschiedenen Rollen des Eros, Thyrsis und Orion in der Voraufführung tanzte, wird sich Paquet im Laufe der Zeit sicher noch erarbeiten. Beim zweiten Sehen dieses Balletts fallen auch die technisch anspruchsvollen Ensembleszenen stärker ins Auge. Ricardo Urbina beeindruckte tänzerisch mit Giorgia Giani, ebenso David Rodriguez sowie Matias Oberlin und Yaiza Coll als zweite Jägerin. Der langanhaltende Beifall des ausverkauften Hauses galt allen Beteiligten, auch dem Dirigenten Markus Lehtinen.
Dr. Ralf Wegner, 12. September 2021, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
Hamburg Ballett, Sylvia, Ballett Wiederaufnahme an der Hamburgischen Staatsoper am 5. September 2021