Ladas Klassikwelt 98: Der „Pilgerchor“ geht nicht aus dem Ohr

Ladas Klassikwelt 98: Der „Pilgerchor“ geht nicht aus dem Ohr  klassik-begeistert.de 26. September 2022

Bild: The Lobby Card aus dem Cartoon „What’s Opera Doc“, Wikipedia

von Jolanta Łada-Zielke

Während man sich in Ländern, die im Zweiten Weltkrieg gegen das Dritte Reich kämpften, von der deutschen Kultur mehr oder weniger distanziert, finden die Vorstellungen von Wagners Opern in den USA weiterhin statt.
Am 7. Dezember 1941, als die Japaner Pearl Harbor angreifen, läuft in der Metropolitan Opera „Die Walküre“, und an dem Tag des Eintritts der Vereinigten Staaten in den Krieg der „Lohengrin“.  In der „New York Times“ vom 21. März 1943 liest man, dass weder Künstler noch Zuschauer sich von einer „Kriegshysterie“ unterkriegen ließen, und die Karten für die Wagneropern-Aufführungen ausverkauft seien. Seine Werke spielt man auf den Bühnen in Boston und Chicago. Am 14.November 1943 findet das Konzert des New York Philharmonic Orchestra statt, in dessen Programm „Don Quixote“ von Richard Strauss und das Vorspiel zu „Die Meistersinger von Nürnberg“ stehen. Der vorgesehene Dirigent Bruno Walter ist kurz davor erkrankt und der fünfundzwanzigjährige Leonard Bernstein vertritt ihn. Ab diesem Ereignis startet seine Karriere. [1]

Eine andere Tendenz besteht darin, die Wagnerschen Motive zu nutzen, um das Nazideutschland lächerlich zu machen. Interessanterweise haben die Autoren dieser parodistischen Fassungen eine besondere Vorliebe für den „Pilgerchor“ aus dem „Tannhäuser“. Das Stück erklingt in einer Szene in der Screwball-Komödie „The Lady Eve“ von Preston Sturges (1941). Der Film erzählt von der schönen Betrügerin Eve (Barbara Stanwyck), die reiche Männer abzockt und sich schließlich in einen von ihnen verliebt. Die beiden heiraten. Zu Beginn der Hochzeitsnacht fängt Eve plötzlich an, ihrem frisch angetrauten Ehepartner (Henry Fonda) ihre ehemaligen Liebhaber aufzuzählen. Während dieser versucht, den Schock abzuschütteln, läuft das musikalische Thema vom „Pilgerchor“ im Hintergrund.

Die Liebesszene aus dem Film „The Lady Eve“, 1941 – YouTube.com

Ein interessantes Beispiel dafür ist die amerikanische Komödie „Hi Diddle Diddle“ von Andrew L. Stone (1943) – der vorletzte Film von der aus Polen stammenden Schauspielerin Pola Negri. Sie war ein großer Stummfilmstar, aber als die Ära der Tonproduktionen kam, begann der starke slawische Akzent der Schauspielerin die Regisseure zu stören. Deshalb gaben sie ihr die Rollen der osteuropäischen Frauen, um ihre Aussprache zu rechtfertigen, wie beispielsweise Vera im Filmdrama „Mazurka“ von Willi Forst (1935). In  „Hi Diddle Diddle“ spielt Negri die slawische Wagner-Sängerin Genya Smetana. Der Inhalt des Films ist verwirrend, es gibt dort jedoch einige witzige Momente mit der Teilnahme dieser Figur. Sie übt zu Hause die Arie „Hojotoho“, aber wahrscheinlich singt jemand anders die hohen Töne für sie, weil die Schauspielerin über eine tiefe Stimme verfügte.

Die lustigste ist die letzte Szene, wenn alle in Genyas Wohnung versammelten Personen den „Pilgerchor“ singen; zwar auf „la”, aber sehr bombastisch. Dann wird das Comic-Muster auf der Tapete lebendig, das Richard Wagner, Cosima, ihre zwei Töchter und den kleinen Siegfried auf einem Picknick darstellt. Der Komponist fasst sich an den Kopf, bedeckt seine Ohren, wirft wütend die Teller herum, schließlich fährt er mit der ganzen Familie und drei Hunden mit einer Kutsche weg.

Martha Scott und Pola Negri im Film „Hi Diddle Diddle

Nach dem Krieg zieht sich nach Richard Wagner eine „schwarze Legende, weil er der Lieblingskomponist von Hitler war. In Polen „rehabilitiert der Musikwissenschaftler Zdzisław Jachimecki Wagner erst in der zweiten Hälfte der fünfziger Jahre. Im Gegensatz dazu ruft sein Name in den Vereinigten Staaten keine negativen Konnotationen hervor. Paul Henry Hang schreibt in seinem Artikel „Background Music for »Mein Kampf«“ („Saturday Review“, Januar 1945), dass es zu keiner Hexenjagd kommen würde. In der Metropolitan Opera führt man alle Werke Wagners auf, und zwar unter Teilnahme deutscher Sänger, wie Hans Hotter („Der fliegende Holländer“, 1950) oder Martha Mödl („Der Ring des Nibelungen“, 1957). [2]

Ein Bild aus dem Cartoon „Herr Meets Hare“

In Hollywood kommt es zu der so genannten „Amerikanisierung Wagners. Die Motive aus seinen Opern verwendet man nach wie vor in Produktionen, die als Pastiche oder Parodie zu Nazi-Deutschland fungierten, zum Beispiel die Zeichentricks mit Bugs Bunny, wie „Herr Meets Hare“ (1945) und „What’s Opera Doc“ (1957)  unter der Regie von Chuck Jones. In „Herr Meets Hare“ (Herr trifft Hase) tritt  Hermann Göring auf, der, als er Bugs Bunny als Brünnhilde verkleidet sieht, das Siegfried-Kostüm anzieht. Man hört im Hintergrund die Melodie des Pilgerchors, dann tanzen Bugs-Brünnhilde und Göring-Siegfried zu Strauß’ Walzer „Wiener Blut“.

Bild aus dem Cartoon „What’s Opera Doc“

In „What‘s Opera Doc“ spielen Bugs und sein Antagonist Elmer Fudd die Rollen von Brünnhilde und Siegfried. Die Musik vom „Ring des Nibelungen“ ist dort kaum zu hören. Zu Beginn gibt sich Elmer als Siegfried – kleiner Mann mit dem großen Schatten – bei dem laufenden Mitschnitt der Ouvertüre zu „Der fliegende Holländer“. Dann erklärt er „Be very quiet, I’m hunting wabbits“ – so spricht er das Wort „rabbit“ (Kaninchen) aus. Dann läuft er mit dem Speer, herumsingend zur Melodie des Walkürenritts: „Ki-ill the wab-bit, ki-ill the wab-bit!“. Bugs antwortet ihm mit ein paar zu Siegfrieds Leitmotiv deklamierten Phrasen. Um der Gefahr zu entgehen, verkleidet sich Bunny als Brünnhilde und reitet auf einem weißen, fetten Ross. Als Siegfried-Elmer dies sieht, singt er Brünnhilde seine Liebeserklärung vor – wieder auf die „Pilgerchor“- Melodie. Wenn ich schlecht gelaunt bin, schaue ich dieses Video an und lache mich dabei zu Tode.

Na und, habt Ihr schon den Pilgerchor-Ohrwurm? Zack! …

 

Jolanta Łada-Zielke, 26. September 2022, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

[1] Basierend auf dem Vortrag von Prof. Dr. Reinhard Kapp „Wagnerprobleme in Nachkriegszeiten“, gehalten beim Wagner-Symposium im Juli und August 2017 im Museum Villa Wahnfried

[2] Ebenda.

Ladas Klassikwelt (c) erscheint regelmäßig am Montag.

Jolanta Łada-Zielke, Jahrgang 1971, kam in Krakau zur Welt, hat an der Jagiellonen-Universität Polnische Sprache und Literatur studiert und danach das Journalistik-Studium an der Päpstlichen Universität Krakau abgeschlossen. Gleichzeitig absolvierte sie ein Gesangsdiplom in der Musikoberschule Władysław Żeleński in Krakau. Als Journalistin war Jolanta zehn Jahre beim Akademischen Radiorundfunksender Krakau angestellt, arbeitete auch mit Radio RMF Classic, und Radio ART anläßlich der Bayreuther Festspiele zusammen. 2003 bekam sie ein Stipendium vom Goethe-Institut Krakau. Für ihre  journalistische Arbeit wurde sie 2007 mit der Jubiläumsmedaille von 25 Jahren der Päpstlichen Universität ausgezeichnet. 2009 ist sie der Liebe wegen nach Deutschland gezogen, zunächst nach München, seit 2013 lebt sie in Hamburg, wo sie als freiberufliche Journalistin tätig ist. Ihre Artikel erscheinen in der polnischen Musikfachzeitschrift „Ruch Muzyczny“, in der Theaterzeitung „Didaskalia“, in der kulturellen Zeitschrift für Polen in Bayern und Baden-Württemberg „Moje Miasto“ sowie auf dem Online-Portal „Culture Avenue“ in den USA.  Jolanta ist eine leidenschaftliche Chor-und Solo-Sängerin. Zu ihrem Repertoire gehören vor allem geistliche und künstlerische Lieder sowie Schlager aus den zwanziger und dreißiger Jahren. Sie ist seit 2019 Autorin für klassik-beigeistert.de.

 

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